Eva Atlan, Raphael Gross, Julia Voss (Hrsg.): 1938. Kunst-Künstler-Politik
Wallstein 2013
339 Seiten, 24,90 Euro
Die "Arisierung" des Kunsthandels
Der Begleitband zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt stellt die Ausrichtung der NS-Kulturpolitik dar - und ihre Folgen: den Kunstraub aus jüdischem Besitz und das Vergessen jüdischer Künstler auch nach 1945.
Warum "1938" und nicht "1937"? 1937 wurde die Ausstellung zur "Entarteten Kunst" eröffnet, im selben Jahr zeigte die "Große Deutsche Kunstausstellung" die vom Regime geförderte Kunst. Dennoch passt der Titel dieses Buches. 1938 wurden in den November-Pogromen Juden inhaftiert und ermordet. Der Kunsthandel war jetzt endgültig "arisiert".
Einer der bedeutendsten jüdischen Kunsthändler, Hugo Helbing, wurde in seiner Wohnung niedergeschlagen und starb wenig später an seinen Verletzungen. Jetzt begann eine Massenauswanderung, für viele Menschen eine endgültige Auswanderung aus Deutschland. Viele Werke verfolgter Juden wurden auch nach 1945 nicht mehr in Deutschland gezeigt. In mehreren Beiträgen verdeutlicht das Buch: 1938 bedeutete das Ende jüdischen Lebens in Deutschland.
1938 wurde Österreich an das Deutsche Reich "angeschlossen". In kürzester Zeit waren die österreichischen Juden genauso diskriminiert und verfolgt wie die Juden in Deutschland. Das "Sudetenland" wurde "eingegliedert", auch hier verbunden mit dem Ausschluss der Juden aus dem öffentlichen Leben. 1938: Das war das Jahr, in dem der Weltkrieg und der Holocaust unmittelbar vorbereitet wurden.
Rassenpolitik und Antisemitismus
Das Buch mit 22 Beiträgen ist Begleitband einer Ausstellung, die in Frankfurt/M. im November 2013 eröffnet wurde. Ziel ist es, die Ausrichtung der NS-Kulturpolitik darzustellen – und ihre Folgen: den Kunstraub aus jüdischem Besitz und das Vergessen jüdischer Künstler auch nach 1945.
Zentrales Moment der NS-Kulturpolitik sei nicht ein Kampf gegen die "Moderne" gewesen, so die These dieses Buches, sondern Rassenpolitik und Antisemitismus. Als Beispiel wird die Malerin Lotte Laserstein vorgestellt. Noch 1934 konnte sie sich an der Berliner Ausstellung zur "weiblichen Kunst im 20. Jahrhundert" beteiligen.
Ihr Ausschluss aus dem Kunstbetrieb basierte in den folgenden Jahren nicht auf ihrer Malerei, sondern auf ihrer jüdischen Herkunft. Sie konnte nach Schweden emigrieren und starb 1993. Über ihren Tod hinaus blieb sie in Deutschland unbeachtet.
Elfriede Lohse-Wächtler war keine Jüdin, aber sie galt nach den Kriterien der NS-Gesundheitspolitik als "geisteskrank" und war deshalb "erblich belastet". 1940 wurde sie in der Gaskammer der "Heilanstalt Pirna-Sonnenstein" ermordet. Diese "erbliche Belastung" bedeutete zugleich den Ausschluss aus dem Kunstbetrieb. Ihre Eltern bewahrten den Nachlass ihrer Tochter auf. Erst seit den neunziger Jahren wurde ihr Werk in Deutschland wieder in Gruppenausstellungen gezeigt.
Unbestimmtheit der Kunstpolitik
"Arischen" Künstlern dagegen wurde die Gelegenheit gegeben, sich zu rehabilitieren. Bei erfolgreicher "Bewährung" konnten sie später wieder in den Kunstbetrieb aufgenommen werden. Die Unbestimmtheit der Kunstpolitik wird ausführlich am Beispiel Emil Noldes aufgezeigt. Selbst Joseph Goebbels sammelte zunächst seine Kunst.
Interne Streitigkeiten, besonders die Feindschaft Rosenbergs und Hitlers gegenüber Noldes Kunst, führten zum Ausschluss aus dem Kunstbetrieb. Emil Nolde fühlte sich als "urdeutscher" Künstler, war Mitglied in einer NS-Organisation, aber selbst seine Angriffe gegen eine angeblich "übergroße jüdische Vorherrschaft" führten nicht zu seiner Rehabilitierung. Nach dem Krieg wurde er dagegen als ein zentrales Beispiel für die verfolgte Kunst ausgegeben, seine Nähe zur NS Ideologie blieb unbeachtet.
Das Buch stellt auch die Frage, ob von einer NS-Kunstrichtung gesprochen werden kann. Die Antwort: am ehesten war es die Repräsentationskunst etwa eines Arno Breker oder die Architektur Albert Speers. Das Material für diese Staatskunst wurde in Steinbrüchen bereitgestellt, die an Konzentrationslagern angegliedert waren: Kunst und Architektur als Teil des Vernichtungsapparates – wie die Stadtplanungen Albert Speers, für die Berliner Juden aus ihren Wohnungen vertrieben wurden.
Verbrechen in der Kunstpolitik ungenügend deutlich
Nach dem Krieg betonte die bundesdeutsche Kunstkritik die Feindschaft des NS gegenüber einer nicht näher definierten "Moderne". Der zugrunde liegende Antisemitismus blieb weitgehend unerwähnt. Wie sehr dies eine Folge von Kontinuitäten war, beschreibt das Buch ausführlich: Kunstkritiker begeisterten sich für die "Moderne", oft auch, um ihre eigene Täterschaft vor 1945 zu verstecken. Die "Arisierungen" durch die Museen wurden nicht erforscht.
Der Begleitband zu der Frankfurter Ausstellung bietet eine Fülle an Material für die wichtigste These der Ausstellung: die zentrale Rolle des Antisemitismus auch in der nationalsozialistischen Kunstpolitik. Aber das ganze Ausmaß der Verbrechen in der Kunstpolitik machen die Autorinnen und Autoren nur ungenügend deutlich: So wird leider die Beteiligung auch der "Volksgenossen" an dem Kunsthandel nicht analysiert: Spätestens ab 1941, mit dem Beginn der Deportationen, versteigerten die Finanzämter Kunstwerke gegen Meistbietende.
Die Listen mit den Adressen der Käufer befinden sich immer noch in deutschen Archiven, bis jetzt ein "offenes Geheimnis", das auch durch die Ausstellung und ihren Begleitband nicht gelüftet wird.