"Eine wundervolle, kreative Anarchie"
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Experimentell, feministisch, queer: Trotz der Isolation gibt es in Myanmar eine lebendige, moderne Kunstszene, sagt die Galeristin Nathalie Johnston aus Yangon. Derzeit protestierten viele Künstler mit kreativen Straßenaktionen gegen das Militär.
Es ist nicht leicht, Nathalie Johnston ans Telefon zu kriegen. Ihre neue Heimat Myanmar steht Kopf. Das Internet ist instabil, nachts wird es vom Militär komplett abgestellt.
"Hallo Nathalie, endlich. Kannst du mich jetzt hören?" - "Ja, ich bin froh, dass du mich endlich erreicht hast."
Dennoch ein schlechter Zeitpunkt für ein Interview. Es ist gerade kurz nach acht Uhr abends. Die mittlerweile traditionelle Uhrzeit in Yangon fürs Töpfeschlagen.
"Am Anfang sind wir dafür alle auf die Straße gegangen", berichtet Nathalie. "Aber jetzt gibt es eine Sperrstunde. Also stehen alle an ihren Fenstern, Balkonen oder auf den Dächern und schlagen die Töpfe. Willst du es mal hören? Es ist wirklich laut."
Nathalie Johnston lebt seit 2012 in Myanmar. Das Land lernt sie auf einer Reise mit ihren Eltern kennen, damals als Teenager Ende der Neunziger. Die Abgeschiedenheit berührt sie tief – aber auch der spürbare Schrecken der damaligen Militärdiktatur. Myanmar wird zu ihrem Sehnsuchtsort. Zunächst studiert sie Kunst in Singapur. Für ihre Abschlussarbeit dann möchte sie Performance Art in Myanmar untersuchen. Ihr Professor winkt ab: Die gibt es da doch gar nicht.
"Ich hatte immer das Gefühl, dass das nicht stimmt", sagt Nathalie. "Ich dachte, mein Professor hat einfach keine Ahnung. Als ich 2009 für meine Recherchen hierher kam, verbrachte ich viel Zeit mit den Künstlern und merkte: Die arbeiten schon längst so, wie wir es in Europa und den USA als zeitgenössisch verstehen. Sie waren einfach nur so isoliert."
Mit dem Kunstabschluss in der Tasche zieht sie mit 29 schließlich nach Yangon, gemeinsam mit ihrem Mann, der für eine internationale Organisation arbeitet. Johnston erfährt, wie die Künstler aufleben, mehr wagen. 2016 eröffnet sie ihre Galerie "Myanm/art". In dem Jahr wird auch Aung San Suu Kyi, die Lady, zur De-facto-Regierungschefin gewählt.
Der neue Mut der Künstler
Im Galerieprogramm: moderne Kunst natürlich, darunter extreme Position von feministischen oder queeren Künstlerinnen und Künstlern. Die sind jetzt alle auf der Straße, sagt die 37-Jährige. Bemalen Häuserwände, projizieren nachts Kunst auf Fassaden.
Karikaturen vom Militärchef sind da zu sehen. Johnston staunt über den neuen Mut. Trotz Demokratisierung war es beispielsweise verboten, Führungspersonen zu beleidigen – ohne genaue Definition, was eigentlich beleidigend ist.
"Die Künstler, mit denen ich arbeite, sind wirklich experimentell und machen sehr merkwürdige Sachen. Darin haben wir sie immer bestärkt. Sie jetzt auf der Straße zu sehen, wie sie ihre Stimme finden – ich bin so stolz auf sie", sagt Nathalie. "Und wirklich überwältigt, wie Yangon gerade in einer wundervollen, kreativen Anarchie versinkt."
Auch Nathalie Johnston ist jeden Tag unterwegs. Sie dokumentiert die künstlerischen Proteste, etwa die eines neu gegründeten Künstlervereins. Der blockiert seit dem Putsch mit Kunstaktionen die Straße vor dem Obersten Gericht. Natürlich könnten die Künstler auch unter einem Militärregime bestehen, sagt Johnston. Das haben sie schließlich jahrelang ertragen. Aber sie wollen es eben nicht mehr. Und ihre Galerie?
"Noch schmeiße ich nicht das Handtuch. Ich habe Vertrauen in diese Bewegung. Eine Galerie unter einem Militärregime kann ich mir nicht vorstellen. Die ganze Bürokratie, die damit verbunden ist. Die Zensur. Dieses ständige Sich-Rechtfertigen. Die Kunst, die wir unterstützen, sprengt Grenzen. Sie ist dunkel, sexuell oder satirisch. Eine Galerie zu haben, in der wir all das nicht feiern können und stattdessen wieder Bilder an Touristen verkaufen müssen, das will ich nicht."