Kollektive Erfahrungen auf Video
Früher war das Hotel Marina Lucica an der dalmatischen Adriaküste fast ein bisschen zu schick für Jugoslawien. Im Krieg zweckentfremdet, ist es heute eine Ruine. Die Künstlerin nutzt Aleksandra Domanovic die Geschichte des Hotels, um ihre zerstückelte Heimat wieder zusammenzusetzen.
Eigentlich war das auffallend dezente, moderne Hotel Marina Lucica an der dalmatischen Adriaküste ja ein bisschen zu schick für Jugoslawien, erzählt die Künstlerin Alexandra Domanovic, eher etwas für italienische und deutsche Touristen. Aber es gefiel ihrer Familie, und die Großmutter schickte rasch noch etwas Geld. Ein wunderschöner Strand, Wasserski, Tennis, Minigolf, Freiluft-Schachspiel – für alles war hier gesorgt, im August 1990:
Aleksandra Domanovic: "Es waren Ferien, niemand las die Nachrichten, und alle waren ganz entspannt. Wir wollten gern noch ein bisschen länger bleiben als zehn Tage, zwei Wochen, aber dann hätten wir die Zimmer wechseln müssen und haben entschieden, es ist einfacher, nach Hause zu fahren. Wir fuhren durch Bosnien zurück, weil meine Eltern uns Kindern einige Sehenswürdigkeiten zeigen wollten. Doch es war eigenartig, die Leute liefen in Nationaluniformen herum, und es lag Spannung in der Luft."
Einen Tag nachdem Alexandras Familie nach Novy Sad zurückgekehrt war, am 17. August 1990, begann die sogenannte "Log revolution". In Kroatien lebende Serben blockierten die Straßen mit großen Holzblöcken und reagierten so auf die stärker werdenden Unabhängigkeitsbestrebungen der Kroaten. Wären sie nur einen Tag später losgefahren, hätte Alexandras Familie festgesessen – wie viele andere Urlauber.
Bald war es mit dem Tourismus im Hotel Marina Lucica vorbei. Seit 1992 wurden dort kroatische Soldaten rekrutiert, später war es Flüchtlingsunterkunft. Das einst so wohlüberlegt gebaute und geführte Hotel ist inzwischen eine Ruine, denn alles, was irgendwie wiederverwendet werden konnte – inklusive Kabel und Wasserrohre – wurde abmontiert. Kürzlich fuhr die 34-jährige Künstlerin, die in Ljubljana Architektur und in Wien angewandte Kunst studiert hat, erstmal wieder nach Primošten, um Spuren der Vergangenheit zu suchen. Das war schwierig, doch ein ehemaliger Rettungsschwimmer des Marina Lucica half:
"Er sagte nur, warte, fuhr mit dem Fahrrad nach Hause, und brachte ein paar Stunden später einen ganzen Stapel Broschüren und Original-Fotografien. Es war ihm anzusehen, wie bewegt er war. Er hat 20 Jahre in dem Hotel gearbeitet, von den 70ern bis in die 90er-Jahre."
Im Museum Art Space Pythagorion auf Samos hat Aleksandra Domanovic die Lobby des Hotels Marina Lucica nachempfunden. Zwischen Grünpflanzen und vor Meereskulisse liegt nun die Broschüre mit neuen Fotos, Originalmaterial und Interviews mit ehemaligen Hotelangestellten aus.
Zerstörung und Heilung
Ein nachgebautes originales Namensschild "Hotel Marina Lucica" und ein übergroßes Freiluft-Schachspiel vor dem Museum gehören ebenfalls zu den Attributen des vergangenen Ortes.
Die Künstlerin beschäftigt sich noch auf andere Weise mit den Ereignissen in ihrer Heimat, so in ihrer Videodokumentation "Turbo Sculpture":
"Dabei geht es um Skulpturen im öffentlichen Raum, Denkmäler im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens. die nach den 90er-Jahren entstanden sind. Sie wurden zu Ehren westlicher Prominenter aufgestellt, die kaum etwas mit dieser Region zu tun haben."
Als Gipsfiguren zu sehen sind u.a. der Hollywood-Schauspieler Johnny Depp, der in Ex-Jugoslawien einen Film drehte; der frühere US-Präsident Bill Clinton, der die Kosovo-Hauptstadt Pristina besuchte, und der verstorbene amerikanische Rap-Sänger Tupac Shakur. Diese "neuen Monumente" kontrastiert die Künstlerin mit drei Bildern, die an offizielle Porträts des ehemaligen jugoslawischen Staatspräsidenten, Josip Broz Tito, angelehnt sind.
Eine weitere Videodokumentation bringt zwei kollektive Erfahrungen zusammen, erklärt Aleksandra. Einmal sind es die täglichen Nachrichtensendungen im Fernsehen, die während des Krieges sehr wichtig wurden.
In den Rundfunkarchiven der inzwischen unabhängigen früheren jugoslawischen Republiken suchte Aleksandra nach den Nachrichten-Jingles von den Anfängen in den 50er-Jahren bis in die Gegenwart. Jingles und optische Logos spiegeln die fortschreitende Teilung des Landes wieder, aus dem "Studio Sarajevo" etwa wurde "Radio Television Bosnien Herzegovina".
Parallel zu dieser Videodokumentation präsentiert Aleksandra – ebenfalls als Video – eine zweite kollektive Erfahrung: Technokonzerte. In den späten 90er-Jahren halfen die Technopartys den jungen Leuten, wieder zusammenzukommen, erklärt sie, wir reisten dazu in die Clubs nach Bosnien, Kroatien und Slowenien. Die zierliche blonde Künstlerin trägt auch heute noch gern Techno-Kleidung, T-Shirt, Hose, Baseball Cap, alles ganz in schwarz, auch bei fast vierzig Grad Hitze.
Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten sind über fünf Jahre hinweg unabhängig voneinander entstanden. Sie kreisen jedoch alle um dasselbe Thema: Zerstörung und Heilung. Es ist, als wäre ein Film angehalten worden, vor 25 Jahren. Damals ist Aleksandra Domanovic das Land, in dem sie aufwuchs – Jugoslawien – unter den Händen zerbrochen, ohne dass jemand etwas dagegen tun konnte. Auf künstlerischem Wege versucht sie nun, die Teile wie ein Mosaik wieder zusammenzusetzen. Wenn man die Ausstellung in Ruhe auf sich wirken lässt, empfindet man diesen Versuch als sehr berührend.