Verbotene Bücher bei der documenta
Der "Parthenon der Bücher" ist das größte Kunstwerk in der Geschichte der documenta: 60.000 Bücher sollen nach Willen der Künstlerin Marta Minujín in Kassel an einem Metallgestell angebracht werden. Grundvoraussetzung: Sie müssen verboten worden sein. Spenden werden noch angenommen.
Danny Krebs schiebt sein Fahrrad durch eine Lücke im gut bewachten Bauzaun. Der documenta 14-Mitarbeiter hat gerade seine Inspektion der größten documenta-Baustelle aller Zeiten beendet. Den Aufbau des sogenannten "Parthenon der Bücher" nämlich – einem monumentalen Werk der argentinischen Künstlerin Marta Minujín. Dazu wird der antike Athener Parthenon-Tempel in Originalgröße auf dem Kasseler Friedrichsplatz aufgebaut- als Leichtmetall-Konstruktion, an die 60.000 Bücher oder mehr gehängt werden sollen. Bücher, die einst verboten oder auf andere Weise stark politisch zensiert worden sind.
"Wir suchen natürlich, wir sammeln", sagt dazu Danny Krebs. "Wir haben nochmal einen öffentlichen Aufruf gestartet. Und wir sind dankbar für jeden, der noch ein Buch in seiner Büchersammlung spendet. ... Es gibt zwei Listen, auf einer sind so 170 Titel verzeichnet und dann gibt es eine große Liste, da sind 70.000 verbotene Bücher verzeichnet. Nach Kassel schicken, oder in eine der Boxen hier werfen. Wir suchen und wir brauchen."
Buchspenden aus aller Welt
Auf der anderen Seite ist es erstaunlich, wie viele Bücher und in welch guter Qualität Menschen aus aller Welt bereits für das "Parthenon der Bücher" gestiftet haben. Das hebt documenta-Sprecherin Henriette Gallus hervor:
"Das Parthenon ist jetzt in seiner finalen Fertigstellungsphase. Nachdem das Gerüst ab Ende März sich so langsam auf dem Friedrichsplatz installiert hat, sind jetzt seit ungefähr zwei Wochen die Kollegen dabei, die Bücher zu installieren. Die ja in den letzten sechs Monaten gesammelt wurden, in einer großen, weltweiten Sammelaktion, an der sich Verlage, aber auch Bürger beteiligt haben. Dann wurden diese Bücher gesichtet, gemeinsam mit der Universität Kassel. Dann gestempelt und nummeriert, mit einem speziellen Stempel, den die Künstlerin entwickelt hat und dann eingeschweißt."
…und zwar in luftdicht abgeschlossene Plastikhüllen, die nun mit Kabelbindern in luftiger Höhe an die Metallstangen gebunden werden. Schon jetzt ist das "Parthenon der Bücher" auf dem zentralen Platz gleich neben der belebten Haupteinkaufsstraße Kassels und der Kunsthalle Fridericianum sowie dem Theater der Stadt das Wahrzeichen der documenta 14. Viele Schaulustige bleiben bereits vor der riesigen Skulptur stehen und fotografieren. Die Künstlerin Marta Minujín wird erst wieder zur Eröffnung des Kasseler Teils der documenta 14 vor Ort sein, aktuell schlägt auf dem Friedrichsplatz vor allem die Stunde der Installateure und Statiker, die den Baufortschritt überwachen und für das Wohl der Bücher sorgen.
Das Wetter ist Thema
"Das Parthenon hat ja einen Vorgänger 1983 in Argentinien gehabt", erklärt Henriette Gallus. "Da hingen die Bücher aber nur für drei Tage und das Parthenon war auch nur Eins zu Vier. Jetzt haben wir Originalgröße. Das ist natürlich eine ganz andere klimatische Bedingung, als wir das hier in Kassel haben. Sonnenschein über vier Tage ist sicher auch nicht für ein Buch das Allerbeste, aber Regen und dann Sonne und die Luftfeuchtigkeit und der Sturm und die Windanfälligkeit war ein echtes Thema."
Probleme, die das documenta-Team nun gelöst zu haben glaubt. Anders als die Frage, wie man eigentlich Bücherverbote und Zensur in politischen Systemen erfasst, die nicht wie die Nazis mit ganz offiziellen Verbotslisten agierten. Wie beispielsweise die DDR:
"Zensur in der ehemaligen DDR, das ist ein sehr komplexes Thema. Eine Liste existiert nicht. Das war sehr viel mehr auf individueller Basis der Bibliothekare oder sagen wir, eine enge staatliche Begleitung der Autoren bereits beim Schreiben natürlich stattgefunden hat. Da muss man sich dann fragen, was für Texte sind eigentlich gar nicht erst erschienen. Und das ist natürlich immer noch eine wahnsinnig virulente Frage. An alle Germanisten da draußen, die noch ein Forschungsthema brauchen: Das ist wirklich nicht beackert und das ist wahnsinnig interessant."
Den Druckwerken wird gehuldigt
Ob sich Germanisten finden, die zur DDR-Zensur arbeiten oder nicht: die documenta 14 kommt aus Athen mit Verve nun auch in Kassel an. Das hat auch damit zu tun, dass der "Weiße Rauch", der nach einer Papstwahl im Vatikan aus dem Schornstein steigt, nun auch symbolisch aus dem Zwehrenturm über der Kunsthalle Fridericianum weht, seitdem die documenta in Athen eröffnet wurde. Henriette Gallus beschäftigt diese Aktion des Künstlers Daniel Knorr tagtäglich - nicht nur wegen der Anrufe, die bei der Feuerwehr eingehen:
"Seit es im Zwehrenturm raucht, ist es die Attraktion der Stadt gewesen. Es finden wahnsinnig tolle Gespräche darüber auf der Straße statt. Ich gehe da oft vorbei und die Leute bleiben stehen und wundern sich. Es entstehen ganz tolle Gerüchte, wie zum Beispiel, dass Marta Minujín die verbotenen Bücher auf dem Zwehrenturm verbrennt und deswegen der Raum auch aufsteigt. Es ist so toll, in der Stadt der Grimms zu sehen, wie sich so Märchen entspinnen um dieses Kunstwerk – das ist wirklich toll."
Für die größte Erzählung in der Stadt der Brüder Grimm wird allerdings während der documenta 14 wirklich Marta Minujins "Parthenon der Bücher" sorgen. Das ist jetzt schon klar. Ein riesiges Konstrukt an zentralem Ort – als Huldigung an Druckwerke. Im Zeitalter der Digitalisierung ist das wirklich ein starkes politisches Zeichen.