Zeichnungen zum Einheitspreis
05:30 Minuten
Während auf Kunstmessen wie der Art Basel Millionen umgesetzt werden, geht es beim Berliner Kunstprojekt "Anonyme Zeichner" darum, dem Markt ein Schnippchen zu schlagen: 600 Zeichnungen wechseln zu einem günstigen Einheitspreis den Besitzer.
Eine riesige Bilderwand: 600 Zeichnungen an den Wänden der kommunalen „Galerie im Körnerpark“ in Berlin-Neukölln. Dicht an dicht gehängt und doch aufeinander abgestimmt, liebevoll kuratiert von einem Team rund um die Berliner Künstlerin Anke Becker.
Die Bilder stehen für sich und doch im Dialog miteinander. Kein Name einer Künstlerin oder eines Künstlers taucht auf. No-Names oder Kinderzeichnungen hängen hier neben Größen der Zeichner-Szene.
Kunst zum Einheitspreis
Das Publikum an diesem Eröffnungsabend ist aber nicht nur zum Staunen da. Es soll auch kaufen, und zwar zum Einheitspreis von 250 Euro. Hunderte von Menschen sind da in dem lang gestreckten Ausstellungsraum, aber auch draußen mit einem Glas Wein, manchmal mit einem großen Pappumschlag in der Hand. Ah, die haben also was gekauft, denke ich mir. Offenbar kann man das hier nicht beurteilen, wenn man nicht selbst mitmacht.
So stelle ich mich zum Bezahlen an, drei bis fünf Favoriten habe ich schon im Blick, etliche Lücken sind in der so überwältigenden Bilderflut schon entstanden. Denn immer, wenn sich jemand eine Zeichnung ausgesucht hat, wird sie sofort von der Wand genommen, und der Name der Künstlerin oder des Künstlers sowie der Ort, an dem sie oder er arbeitet, werden an die leere Stelle geschrieben.
Teilnehmen ist genauso wichtig wie verkaufen
Hier teilzunehmen, sei für Künstlerinnen und Künstler wirklich toll, sagt die Berlinerin Inken Reinert. Eine ihrer Zeichnungen hängt dort noch. „Ich sehe mich da auch in einem Ensemble, umgeben von anderen Zeichnungen, umgeben von Kollegen und Kolleginnen, die ich zum Teil gar nicht kenne. Ich finde es so toll, dass Zeichnen so vielfältig ist, dass auch Dinge, die ich selber gar nicht zeichnen könnte, ganz gut neben meiner Zeichnung existieren können.“
Dass ihre Zeichnung immer noch hängt und nicht verkauft ist, stört sie wenig: „Natürlich wäre ich auch froh, wenn die Zeichnung verkauft würde, aber ich finde es genauso schön, wenn die Zeichnung lange in der Ausstellung hängt.“
Sammlerinnenglück und Kuratorentrauer
Es handelt sich also um eine Ausstellung, die schon am ersten Abend zu zerfallen beginnt, und zugleich erfährt man mehr und mehr, welche Künstlerinnen und Künstler hier mitgemacht haben. Die Bilder werden durch ihre Legende ersetzt.
„Das ist auch immer ganz schön schlimm und schmerzhaft für uns“, sagt Anke Becker, „weil die Blätter sind dann einfach weg. Wir hatten uns ja vorher all diese Übergänge ausgedacht“.
Neben mir hat gerade die Sammlerin und Verlegerin Janine Sack eine Zeichnung gekauft und kontert den Kuratorenschmerz mit Sammlerinnenglück: „Die Zeichnung hatte der Wand hier richtig gutgetan, aber jetzt tut sie meiner Wand gut.“
Eine Selbstversuchung
Seit 2006 arbeitet Anke Becker an der Kunstaktion Anonyme Zeichner. In diesem Jahr erhielt sie mehr als 3000 Einsendungen von Künstlerinnen und Künstlern, von sehr bekannten, aber auch unbekannten oder noch nicht bekannten. Entstanden ist nicht nur ein Netzwerk von Künstlerinnen und Künstlern, die mit dem Medium Zeichnung arbeiten, sondern auch eine Kunstaktion, die die Mechanismen des Marktes unterläuft. Es geht erst einmal um die Kunst selbst, um die eigene Urteilskraft und Entscheidungsfreude.
Ich merke, dass ich aufgeregt bin. Ich habe zwar bei einigen Zeichnungen eine Ahnung oder mehr als eine Ahnung, aber mich zieht es fast magisch zu einem Blatt, das bunte Punkte in flirrenden Reihen anordnet. Ja, das ist die Wahl dieses späten Abends. Anke Becker nimmt das Blatt vorsichtig von der Wand, legt es in einen Pappumschlag. Der Name des Künstlers: Miro Ćuković aus Österreich.
Wow, denke ich, habe ich noch nie gehört. Den muss ich gleich mal googeln. Anke Becker kommentiert lakonisch: „Wieder eine Lücke in der Wand und die wunderbare Kombination mit der Arbeit nebenan ist weg. Da bin ich als Kuratorin traurig, aber ich freue mich, dass Miros Arbeit weg ist und einen guten Ort findet.“