Hans-Ulrich Obrist mit Asad Raza: Kuratieren!
Aus dem Englischen übersetzt von Annabel Zettel und Andreas Wirthenson
C.H.Beck Verlag, München 2015
206 Seiten, 19,95 Euro
Narzisstische Bestandsaufnahme
Das Berufsbild des Kurators bleibt vage: Statt in "Kuratieren!" seine eigene Tätigkeit kritisch zu betrachten, flüchtet sich Hans Ulrich Obrist in Plattitüden - und präsentiert eine Hitliste seiner kuratorischen Erfolge.
Was haben Chris Dercon und Hans Ulrich Obrist gemeinsam? Der 1958 geborene, belgische Kurator und sein zehn Jahre jüngerer, Schweizer Kollege sind beide Kunsthistoriker. Beide wohnen in London. Vor allem aber stehen sie für die Überdehnung eines schillernden Begriffs.
Kritische Analyse bleibt aus
Das Treffen junger Künstler, Aktivisten und Wissenschaftler, das Obrist zur Epochen-Wende 1989 organisierte, nannte er "Zukunft kuratieren". Und Dercon, derzeit Chefkurator der Londoner Tate Modern Galerie, wird als Intendant der Berliner Volksbühne gehandelt. "Curating everything", der Titel einer Tagung kürzlich, war also nicht nur ironisch gemeint.
Natürlich liegt das Vage des "Berufs" Kurator im Begriff selbst. Doch so wie diese Spezies und seine "Arbeit" vom außerordentlichen Beamten des Römischen Reichs in den letzten 15 Jahren zur coolen Zentralfigur des globalisierten Kunstsystems im 21. Jahrhundert aufgerückt ist, wäre dessen kritische Analyse eigentlich überfällig. Genau das leistet Obrists jüngstes Buch "Kuratieren!" aber überhaupt nicht.
Obrist beschreibt darin nämlich nicht viel mehr als seinen persönlichen Werdegang. Sein Initialerlebnis hatte er 1985. Damals besuchte der 16-Jährige in Basel eine Ausstellung des Künstlerduos Fischli und Weiss – Beginn einer lebenslangen Freundschaft.
Es wimmelt von Definitionen
Zwar wimmelt es in dem Band nur so von Definitionen des Kuratierens. Mal lauscht sie Obrist den Künstlern ab. Der italienische Arte-Povera-Artist Alighiero Boetti vertraut ihm den Gemeinplatz an, Kuratieren bedeute, "Unmögliches möglich zu machen". Mal ringt sich Obrist selbst zu einer schwammigen Definition durch, die den Catch-all-Begriff aber nur weiter bläht:
"Die Funktion des Kurators besteht darin, Freiraum zu schaffen, und nicht, bestehenden Raum zu besetzen."
Den größten Teil des Buches hechelt er die Hitliste seiner kuratorischen Erfolge durch. Oder sucht sich mit Name Dropping seinen Platz in der Phalanx der Kunst-Celebrities zu sichern, die er persönlich kennengelernt hat. So mäandert Obrist zwischen Systematik und Narzissmus.
Obrist-Skeptiker begegnen in Obrists Buch weniger dem großen Scharlatan, als einem intellektuellen Scheinriesen, der je kleiner wird, desto näher man dem Mann rückt. Denn bei ihm ist Kuratieren nichts als naiver Wille und Vorstellung: Ich ersinne ein ungewöhnliches Konzept, steige ins Flugzeug und realisiere es in der großen weiten Welt. Dass Kuratoren mit Geld, Leihgebern und Sponsoren kämpfen müssen, kommt bei Obrist nicht vor.
Flucht in treuherzige Plattitüden
Der Gedanke, dass der Begriff Kurator eine Ordnungs- und Potenzfantasie bedient, die diese Abhängigkeiten nur verschleiert, kommt ihm nicht einmal versuchsweise. Ein Wort wie "prekäre Arbeitsverhältnisse" fällt kein einziges Mal. Stattdessen flüchtet sich der große Zampano in treuherzige Plattitüden:
"Das Kuratieren großer Ausstellungen kann eine allumfassende und ungeheuer anstrengende Aufgabe sein".
Chris Dercon sollte sich seinen Wechsel an die Volksbühne nach Berlin, über den derzeit viel spekuliert wird, gut überlegen!