Manufaktur in Sebnitz
Die „Deutsche Kunstblume Sebnitz“ stellt Blumen in Handarbeit auf höchstem Niveau her und setzt sich damit von Massenprodukten aus Asien ab.
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Kunstblumen für Bühnen, Hotels und Knopflöcher
10:49 Minuten
Im sächsischen Sebnitz werden seit 200 Jahren Kunstblumen produziert, doch es gibt nur noch einen Betrieb und schon lange keine offizielle Ausbildung mehr. Um das traditionelle Handwerk zu erhalten, geht die Stadt nun ungewöhnliche Wege.
Kunstblumenfacharbeiter – dieser Beruf gehört zu einer Reihe alter Handwerksberufe, die heute selten geworden sind. So ist es auch beim Posamentierer – er fertigt Schmuckelemente für andere Textilprodukte wie Kleidung, Polstermöbel oder Lampenschirme und beim Blaudrucker, der blau-weiße Muster auf Naturstoffen erschafft.
Noch gibt es Werkstätten, aber die können das jahrhundertealte Wissen kaum noch weitergeben. Denn in diesen Berufen werden keine Lehrlinge mehr ausgebildet, die Lehrberufe wurden abgeschafft – zu wenige Interessenten, kein Bedarf. Für bestehende Betriebe ist das ein Problem. So etwa für die Schaumanufaktur „Deutsche Kunstblume Sebnitz“ in Sachsen.
Das „Blümeln“, wie es die Sebnitzer liebevoll nennen, hat in der Region eine 200-jährige Tradition. Mit dem Beitritt Sachsens zum Deutschen Zollverein im Jahr 1834 wurden die Waren der böhmischen Blumenmacher erheblich teurer, weil nun Zoll erhoben wurde. Das führte dazu, dass viele Manufakturen auf die deutsche Seite umzogen. Sebnitz entwickelte sich zum Zentrum der deutschen Kunstblumenindustrie. Und ist es bis heute.
Ende der Ausbildung 1990
Die Ausbildung zum Kunstblumenfacharbeiter wurde 1990 abgeschafft. „Wir haben 1990 das Berufsbildungsgesetz aus Westdeutschland übernommen“, erklärt Torsten Köhler, der bei der Industrie- und Handelskammer Dresden für den Geschäftsbereich Bildung zuständig ist. Darin sei festgeschrieben, welche Ausbildungen und Ausbildungsinhalte in Frage kommen. Aktuell gibt es in Deutschland 330 Ausbildungsberufe. „Der Beruf aus DDR-Zeiten – oder viele andere Berufe aus DDR-Zeiten – gehörten eben nicht dazu.“
Sprich: Der Kunstblumenfacharbeiter hat den Sprung in die Bundesrepublik nicht geschafft. Weil es ihn praktisch nur in Sebnitz gab und man ihn in anderen Teilen Deutschlands nicht kannte.
Aus Sebnitz kam zunächst kein Aufschrei. Denn die Sebnitzer Manufakturen konnten mit der Öffnung des Marktes nicht mit der Konkurrenz aus Fernost mithalten. Der VEB Kunstblume, in dem 1953 über hundert Firmen zusammengeführt worden waren, wurde kurz nach der politischen Wende treuhänderisch abgewickelt. Somit gab es keinen Bedarf an neuen Fachkräften.
Im Besitz der Stadt
1992 nahm ein Kunstblumen-Betrieb in Sebnitz wieder die Arbeit auf. Inzwischen firmiert das Unternehmen unter dem Namen „Deutsche Kunstblume Sebnitz“ und ist im Besitz der Stadt. Die Manufaktur stellt Blumen in hundert Prozent Handarbeit auf höchstem handwerklichen Niveau her und setzt sich damit von Massenprodukten aus Asien ab.
Theater bestellen Bühnenschmuck, Hotels Tischdekoration, ein Großkunde in den USA Knopflochblumen. Die Nachfrage sei so groß, dass die Angestellten kaum hinterherkommen, sagt Manufakturleiterin Lisa Schmidt.
Zwölf Blümlerinnen und ein Blümler arbeiten derzeit in der Produktion. „Wir haben drei neue Mitarbeiter eingestellt“, so Schmidt.
Korina Backasch zum Beispiel ist Quereinsteigerin in der Kunstblume Sebnitz. „Ich habe was anderes gelernt und mir das abgeguckt bei anderen, bissl Geschick mitgebracht.“ Schon ihre Mutter habe in der Manufaktur gearbeitet. Die Tochter hätte den Beruf auch gern ergriffen, aber da war er schon abgeschafft worden.
Viola Scheibe hingegen ist Kunstblumenfacharbeiterin. Sie hat den Beruf zu DDR-Zeiten gelernt. „Meine Schwester hat vor mir gelernt, zwei Jahre, und das hat mir gefallen und deshalb habe ich den Beruf auch gelernt.“
Schaumanufaktur für Seidenblumen
In der Manufaktur wird noch immer mit den alten Stanz- und Prägeeisen und Maschinen gearbeitet. Mit den 75.000 Stanz- und Prägeeisen in den Beständen der Manufaktur können die Mitarbeiterinnen und ihr Kollege etwa 5000 verschiedene Blumen herstellen.
Zusätzlich zur Produktion gibt es bei der Kunstblume Sebnitz die Schaumanufaktur: Von Donnerstag bis Sonntag können Besucher beim Blümeln zuschauen. Der Altersdurchschnitt der Mitarbeiterinnen und des Mitarbeiters liegt bei Mitte 50.
„Nächstes Jahr geht die erste Kollegin, dann dauert es nochmal drei Jahre – und dann geht jedes Jahr eine Kollegin in Rente“, erklärt Manufakturleiterin Lisa Schmidt.
Die Kleinstadt an der tschechischen Grenze wirbt mit dem Slogan: „Sebnitz – die Seidenblumenstadt in der Sächsischen Schweiz“. Für Oberbürgermeister Ronald Kretzschmar ist die Rechnung klar: Ohne neue Fachkräfte stirbt der Beruf aus und Sebnitz verliert sein Aushängeschild.
„Wir haben uns dafür entschieden, nichts unversucht zu lassen und wollen mit der Ausbildung versuchen, auch junge Leute dafür zu gewinnen und dann entsprechend auch Arbeitskräfte zu binden, die in der Kunstblume weitermachen können.“
Ein langfristiges Arbeitsverhältnis
Im September hat mit der 17-jährigen Lisa das erste Mal seit 30 Jahren wieder eine Auszubildende in der Kunstblumenbranche eine Lehre aufgenommen. Lisa lernt den klassischen Beruf der Verkäuferin in einem Laden für Kunstblumen - oder Stoffblumen, wie die Produkte auch genannt werden. Kommunikation mit dem Kunden, Marketing, Pflege des Webshops werden ihre Ausbildungsinhalte sein.
Da die Auszubildenden aber nicht nur im Verkauf, sondern auch als Nachwuchs für die Kunstblumenfacharbeiter dringend gebraucht werden, habe man sich eine attraktive Zukunftsperspektive für die Lehrlinge der Kunstblume überlegt, sagt Oberbürgermeister Ronald Kretzschmar. Man biete eine anerkannte Ausbildung – in diesem Fall zum Einzelhandelskaufmann oder -frau– an, und daran könne ein weiteres Jahr mit einer klassischen Kunstblumenausbildung drangehängt werden. Für den Anschluss werde ein langfristiges Arbeitsverhältnis in Aussicht gestellt. „Da rede ich dann über zehn Jahre mit einer weiteren Verlängerungsoption auf weitere zehn Jahre“, so Kretzschmar.
Umschulung oder Zusatzqualifikation
Bereits 2015 hatte sich die Stadt Sebnitz darum bemüht, so Bürgermeister Kretzschmar, den Beruf des Kunstblumenfacharbeiters wieder anerkennen zu lassen. „Aber es ist leider gescheitert, weil das mit der Berufsbildung in Deutschland nicht vereinbart werden kann, weil dieses Handwerk zu spezifisch ist und zu regional und eben nicht überall ausgebildet werden kann.“
Für regionale Handwerke, wie das der Spielzeugmacher im Erzgebirge oder eben die Kunstblumenherstellung in Sebnitz, könnten aber Sonderformen der Ausbildung gefunden werden, meint Torsten Köhler von der IHK. So könne man auf eine bestehende Ausbildung mit einer Umschulung oder einer Zusatzqualifikation aufbauen und so den Berufsabschluss erlangen.
Aber: „Das erfordert natürlich eine ganze Menge Anstrengungen in der Vorbereitung, wenn man so etwas erlassen will. Es ist ja nicht allein damit getan, dass die Inhalte festgelegt werden.“ Es brauche Menschen, die diese Inhalte vermitteln können und verfügbar sind.
Viele Berufe gibt es nicht mehr
Zudem müssten Lehrpläne aus DDR-Zeiten aktualisiert werden, Prüfungen entworfen und abgenommen werden – und das von den noch existierenden Fachkräften, sprich den Mitarbeiterinnen der Kunstblumenmanufaktur. Diese Möglichkeit bestehe prinzipiell für alle alten Berufe, in denen nicht mehr ausgebildet werde, so Köhler. Vorausgesetzt, es gibt noch Facharbeiter, die als Ausbilder in Frage kommen.
Für so manchen Beruf kommt das aber zu spät. Seit Gründung der Bundesrepublik ist die Zahl der Berufe um fast zwei Drittel gesunken.
Der Sebnitzer Oberbürgermeister ist entschlossen, alles dafür zu tun, dass nach Lisa noch viele weitere Lehrlinge in der Sebnitzer Kunstblume das Blümeln erlernen. Denn wenn das Handwerk einmal verschwunden sei, wäre es das endgültige Ende des Berufs, ist er überzeugt.