Kunstfestival in der Glotze

Von Volker App · 08.09.2013
Ein Programm aus internationaler Video- und Medienkunst präsentiert das "Ikono On Air Festival", ausgestrahlt in über 30 Ländern und als Live-Stream im Internet. Stars wie Bill Viola oder Reynold Reynolds sind dabei, das vielseitige Programm gleicht einer Wundertüte.
In seiner Montur und mit seinem Funksprechverkehr wirkt er fast wie ein Astronaut, doch es ist ein Taucher, der hier in ein Bassin hinabsteigt. Dieser Trailer deutet bereits an, dass das ungewöhnliche Festival "Tiefgang" beansprucht und zugleich hoch hinaus will.

Rund 200 Künstlerinnen und Künstler aus mehr als 40 Nationen möchten mit ihren Videos für Überraschungen sorgen. Auf zwei Millionen wird in Deutschland die Zahl der potentiellen Adressaten des Ikono-Fernsehsenders geschätzt, sie dürfte bei diesem Festival durch den zusätzlichen Live-Stream im Internet noch einmal gewaltig ansteigen. Ohnehin ist Ikono ein international agierender Sender, stark verankert auch im arabischen Raum. Es ist so eine riesige Community, die in diesen Tagen noch nicht so berühmte Video-Künstler kennen lernt - und die Bekanntschaft mit prominenten Vertretern erneuert.

Bill Viola hat in diesem älteren Werk höchst unterschiedliche Bildfolgen montiert: unscharfe Unterwasserlandschaften und magisch wirkende Straßen - und mittendrin zeigt er ein Zimmer, in dem sich ein seltsamer Mann an einen Tisch setzt, aus einer Schale löffelt und langsam eine Flüssigkeit aus einer Karaffe in ein Glas gießt. Am Schluss steht er am Zimmerrand und kippt nach vorne weg in ein Gewässer, das hier niemand vermutet hätte.
Eine Erzählung, so geheimnisvoll und bedrohlich wie andere Werke dieses US-amerikanischen Künstlers. Die Aufmerksamkeit des Betrachters lässt trotz der Länge und der optischen Zäsuren kaum nach.

Häuserabrisse, brennende Häuser, einsame Reiter – die Bandbreite ist groß
Das Festival von Ikono bietet eine kaum mehr zu überschauende Bandbreite. Eben noch waren dokumentarische Aufnahmen mit urbaner Tristesse zu sehen, dann gehen verrätselte Spielszenen über den Bildschirm oder es sind in rasanter Folge geometrische Formen, abstrakte Zeichen und Linien.

Wir beobachten ein Flugzeug, das einem Gewitter ausweicht, begleitet vom gelegentlichen Dialog eines Pärchens. In einem Video von Reynold Reynolds sehen wir dagegen, wie auf zweigeteilter Bildfläche Abrisskräne Häuser dem Erdboden gleich machen.
Derselbe Künstler lässt außerdem in einem lichterloh brennenden Haus Figuren agieren, als wäre nichts geschehen. Ein Gleichnis unserer Zeit?

In einem Video von Sergio Belinchon erscheint schließlich ein einsamer Reiter, der sich durch eine öde Landschaft mit bizarren Felsen bewegt. Ein lebendiger Mythos, Filmtraditionen und Werbe-Klischees werden durch diese Elegie belebt. Während der Reiter nahe am Abgrund innehält und über das weite Gelände blickt, hinterlässt ein Flugzeug am Himmel einen Kondensstreifen.

Überraschungstüte eines europäischen Kuratorenteams
Jeder erlebt bei Ikono sein eigenes Festival - je nachdem, wann und wie lange er zuschaut. Und der Betrachter muss Glück haben. Denn gezielt zuschalten kann er sich in der Regel derzeit nicht, um das Produkt eines bestimmten Künstlers zu sehen. Eine mediale Erfahrung, die man "Lost in Live-Stream” nennen könnte. Oder man genießt dieses Programm eben als Wundertüte, die - von einem europäischen Kuratorenteam zusammengestellt - für positive Überraschungen gut ist.

Immerhin gibt es Wiederholungen und hin und wieder auch Schwerpunkte, längere Strecken mit den Werken eines einzelnen Künstlers. Als vielseitiger Vertreter präsentierte sich gleich zum Auftakt Nicolas Provost. Er hat die nervöse Stimmung in New York eingefangen und zugleich inszeniert: ein mit dramatischer Musik untermaltes Bedrohungs-Szenario - mit Streifenwagen und Cops, Hubschraubern, Sicherheitsleuten in noblen Anzügen und mit dunklen Brillen, und mit Passanten, bei denen man nicht weiß, was sie vorhaben oder worauf sie warten.

Dieser belgische Künstler ist aber auch mit erkennbar experimentellen Produkten vertreten: so hat er Szenen aus Hollywood-Klassikern aneinander geschnitten und ineinandergeblendet: z.B. ein Stakkato aus Film-Küssen.

Ein Festival als opulente Gemengelage! Die thematischen Rubriken in der Ankündigung helfen bei der Orientierung nur am Rande. Bei diesem Live-Stream-Abenteuer sind allein die Neugier und das konzentrierte, geduldige Zuschauen gefragt. So gesehen, ein etwas anderes Fernseh-Erlebnis. An der dringend benötigten Website mit mehr Informationen zum laufenden Programm wird noch gearbeitet. Doch es lohnt schon jetzt, hier auf Entdeckungsreise zu gehen.
Webseite des ikono On Air Festival
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