Felix Thürlemann: Mehr als ein Bild. Für eine Kunstgeschichte des hyperimage
Wilhelm Fink Verlag, München 2013
224 Seiten, 34,90 Euro
Eine Paarung von Eleganz und Akribie
Bilder aussuchen, einordnen, zusammenstellen, das wird heute unter "kuratieren" zusammengefasst. Den Mehrwert, also etwas zu schaffen, das mehr ist als die Summe seiner Teile, untersucht Felix Thürlemann anhand von Fallstudien.
Das Verb "kuratieren" erfreut sich heute diffuser Allgegenwart. Auch der Duden hat nachgezogen und es in seinen Bestand genommen. "Als Kurator betreuen", so lautet die Begriffserklärung. Ein Kurator, heißt es weiter, ist der "wissenschaftliche Leiter eines Museums, einer zoologischen Sammlung, einer Ausstellung o.Ä.". Diese Definition stimmt mit der heute gängigen Verwendung allerdings wenig überein. Denn wenn Ausstellungen, Festivals, Film- und Konzertabende, Radioprogramme, Konferenzen und sogar Kunstwerke kuratiert werden, so ist der gemeinsame Nenner nicht das wissenschaftliche Leiten, sondern der Akt des Zusammenstellens von Einzelwerken zu einem nicht-willkürlichen größeren Ganzen.
Ausstellungswand rund um ein Werk Raffaels
So gesehen, liegt Felix Thürlemanns jüngstes Buch "Mehr als ein Bild. Eine Kunstgeschichte des hyperimage" bestens in der Zeit. Denn der Konstanzer Kunsthistoriker beschäftigt sich in neun Kapiteln genau damit. In Fallstudien aus 400 Jahren skizziert er Formen der "kalkulierten Zusammenstellung von ausgewählten Bildobjekten zu einer neuen übergreifenden Einheit". Und genau die nennt er hyperimage. Überraschenderweise spielt dabei nur in einem Kapitel ein Kurator die zentrale Rolle: 1802 unternahm Vivant Denon, frischgebackener Direktor des Musée Napoléon in Paris, die Neuhängung einer Ausstellungswand rund um ein Werk Raffaels. Besser als bisher wolle er dem Publikum eine visuelle "Vorlesung über die Kunst der Malerei" bieten.
Neben dem Kurator findet Thürlemann andere hyperimage-Gestalter, so den Frankfurter Konditor und Sammler Johann Valentin Prehn im späten 18. Jh. Dessen eklektische Universalsammlung umfasste auch 750 kleine Ölbilder. Die aber zeigte er nicht einzeln, sondern baute Gehäuse, um sie darin zu Konvoluten zu bündeln. Ganz ähnlich verfuhr auch der flämische Barockmaler Frans Francken d. Jr., allerdings in seinen Bildern. In ihnen schuf er Arrangements aus Natur- und Kunstobjekten. Während die Exponate in der Regel belegbar sind, ist ihre Zusammenstellung fiktiv – nicht aber zufällig. Genauso wohlüberlegt sind auch die Konstellationen, die der zeitgenössische Fotograf Wolfgang Tillmans aus seinen eigenen Werken arrangiert und zuweilen wiederum abfotografiert.
Fotografische Reproduktion weitete das Feld
Der jüngste Neuzugang unter den hyperimage-Bildnern ist überraschenderweise der Kunsthistoriker. Denn ein hyperimage setzt für Thürlemann den Zugriff auf die Einzelwerke voraus und den haben vor allem Sammler, Künstler und Museumsleuten. Erst die fotografische Reproduktion weitete das Feld. Bahnbrechende kunsthistorische Arbeiten, wie Aby Warburgs verschollenes Mnemosyne–Projekt oder André Malraux' berühmtes Musée imaginaire, wären ohne die Fotografie nie entstanden.
Das Berückende an Thürlemanns Buch ist nicht das Thema an sich, das im Grunde wenig überrascht, sondern die Paarung von Eleganz und Akribie, mit der er in unterschiedlichen Metiers einen vergleichbaren Umgang mit Bildwerken herausarbeitet. Der verwässerte Begriff des Kuratierens wird dabei irrelevant. Im Zentrum steht eine Tätigkeit, die egal ob von Künstlern, Kuratoren, Wissenschaftlern oder Sammlern mit dem Ziel geschieht, etwas zu schaffen, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Diesen Mehrwert exemplifiziert der Autor in jedem der neun Fälle. Zu einer Conclusio kommt er dabei allerdings genauso wenig, wie zu der im Titel suggerierten Genealogie. Sein Versprechen löst er dennoch ein. Denn Kunstgeschichte zeigt sich hier nicht als lineare Entwicklung, sondern als kontinuierliche Neuordnung.