Gemäldeforschung mit Neutronenstrahlen
Alte Meister wie Rubens, Vermeer oder Rembrandt übermalten und korrigierten ihre Werke, manchmal halfen sogar andere Künstler nach. Ein Forschungsprojekt in Berlin macht das sichtbar: Hier werden Gemälde mit Neutronen beschossen und buchstäblich durchleuchtet.
Andrea Denker öffnet eine schwere Sicherheitstür aus Metall, geht in eine große Halle, in der ein blauer Baucontainer steht. In diesem schmucklosen Ambiente werden kostbare alte Gemälde bis ins Detail ergründet – mittels Neutronen.
"Dass dieser gesamte Raum so groß ist, liegt daran, dass wir da das Klima einstellen können, Luftfeuchtigkeit, Temperatur, damit das wirklich für die Gemälde passend ist."
In den blauen Container führt eine lange, mit Bausteinen ummauerte Leitung, die quer durch die Halle verläuft: In ihr schießen die aus Atomkernen herausgelösten Neutronen vorwärts, treffen auf die Gemäldeoberfläche, reagieren mit ihr.
"Die Neutronen treffen auf die Atomkerne, die in dem Gemälde sind. Und wir messen dann hinterher diesen radioaktiven Zerfallsprozess, wenn das Atom dann hinterher wieder in einen stabilen Kern zerfällt. Und dieser radioaktive Zerfallsprozess erzählt uns, was für ein Atom da zerfallen ist. Und damit können wir dann zurückschließen, welche Atome im Gemälde waren, und damit, welche Farben der Künstler verwendet hat."
Farben können unter anderem präzise Auskunft darüber geben, wann ein Bild entstanden oder auch übermalt worden ist. Ist das Gemälde erst einmal mit Neutronen beschossen, dann ist es schwach radioaktiv und kommt in einen fensterlosen Kellerraum.
Der Rotlichtkeller und seine Geheimnisse
Andrea Denker tippt einen Sicherheitscode in die Schließanlage der Kellertür, öffnet sie. In dem Raum dahinter stehen Filmrollen, auf einem großen Tisch liegt eine flache Holzkiste mit Styropor. Darin ist ein Bild:
"Auf die Gemäldeoberfläche werden dann die Filme dicht an dicht vom Restaurator aufgelegt, dann wird die Kiste zugemacht, das Ganze passiert unter Rotlicht, wie in einer Dunkelkammer. Und dann verbleiben diese Filme auf dem Gemälde, und jeder Film verrät uns Informationen für ein bestimmtes Element."
Am Ende haben die Forscher durch radioaktive Strahlung belichtete Filmfolien. Andrea Denker nimmt so eine Negativ-Folie aus ihrer papiernen Schutzhülle: Auf der Folie sind die Spuren von ehemals grünen Farbschichten zu erkennen, die unter dem endgültigen Farbauftrag des Bildes schlummern.
"Das hier ist aus dem Sten-Bild 'Wie die Alten sungen, so pfeifen die Jungen'. Wenn Sie jetzt mal genau hier in dieses Eckchen gucken, da sieht man noch ein Detail, einen Baum gemalt mit all den Blättern einzeln."
Das Originalbild von Jan Sten hängt in der Berliner Gemäldegalerie. Auf ihm sind die Bäume von einem engen Torbogen dunkel übermalt – und nicht mehr zu erkennen. Restauratorin Claudia Laurenze zeigt auf das Gemälde an der Museumswand und freut sich: Auch weitere Details des ursprünglichen Bilds wurden durch die Untersuchung sichtbar!
"Die Frau, die jetzt durch einen dunklen Tordurchgang kam, war da noch nicht vorhanden. Der Tordurchgang war wesentlich größer und man hatte den Blick auf einen Garten mit einem Palast."
Jetzt bewiesen: Er greift ihr an die Brust!
Mit Neutronen beschossen wurde auch ein Gemälde von Rembrandt, das in einem extra Raum ausgestellt ist: Auf diversen Kopien des Bildes wird dessen Entstehungsprozess nachgezeichnet. Dunkle Farben dominieren das Gemälde, auf dem eine halbnackte Frau und zwei bekleidete Männer zu sehen sind, erläutert Kunsthistorikerin Katja Kleinert:
"Das ist eines der großen Werke hier in der Gemäldegalerie. Das Thema ist Susanna und die beiden Alten. Das ist ein alttestamentarisches Thema von der frommen Susanna, die von zwei alten Richtern bedrängt wird, in ihrem Garten."
Einer der Männer greift Susanna von hinten an das Tuch, das sie sich lose um die Hüften gewickelt hat. 12 Jahre lang arbeitete Rembrandt an dem Werk, hat es immer wieder korrigiert. In einer frühen Fassung ging es handgreiflicher zu – doch Rembrandt übermalte die Szene.
Katja Kleinert: "Der eine Alte greift ihr dann wirklich an die Brust direkt, und dann wird das wieder von Rembrandt zurückgenommen. Also diese Interaktion von den Figuren ist so ein Austarieren bei Rembrandt gewesen, wie man das am besten macht, diese ganz bedrohliche Situation darzustellen und gleichzeitig das nicht so ordinär übergriffig wirken zu lassen."
Im Bild aus dem 17. Jahrhundert, das hier in der Gemäldegalerie hängt, sind die ursprünglichen Versionen erhalten. Und die lassen sich sichtbar machen – indem man das Bild mit Neutronen beschießt. So wurde deutlich, dass noch ein anderer Künstler bei der Susanna seine Hand im Spiel hatte. Restauratorin Claudia Laurenze steht vor dem Gemälde und zeigt auf die linke Bildhälfte, in der ein dunkler Garten samt Bäumen zu sehen ist:
"Hier, in diesem Bereich, sehen wir eine Schwärzung, die durch Antimon entstanden ist. Und Antimon ist in einem Pigment enthalten, das erst ab Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend in Gebrauch kam. Und somit war klar, das eigentlich der ganze Garten erst später hinzugefügt worden war."
Bei ihrer Spurensuche fanden Claudia Laurenze und Katja Kleinert heraus, dass der Garten vom englischen Maler Reynolds hinzugefügt worden war. Der besaß das Bild im 18. Jahrhundert. Und hat sich damals das Recht herausgenommen, Rembrandt ein wenig zur Hand zu gehen.