"Kunsthalle ist ein dringendes Muss"

Moderation: Dieter Kassel |
In der Debatte um ein privates Museum für Kunst des 21. Jahrhunderts am Berliner Hauptbahnhof hält Ex-Kultursenator Christoph Stölzl das von der Stadt angestrebte Modell, einem Investor ein Grundstück zu schenken und dafür ein Museum zu erhalten, für legitim. Darüber hinaus benötige Berlin eine Kunsthalle für zeitgenössische Kunst.
Dieter Kassel: Berlin soll ein neues Museum bekommen. Direkt am Hauptbahnhof, am sogenannten Humboldt-Hafen soll ein 11.000 Quadratmeter großes Museum für zeitgenössische Kunst entstehen, gebaut von einem privaten Investor. Im Gegenzug erhält dieser Investor ein Filetgrundstück am gleichen Ort, auf dem er ein Stadtquartier mit überwiegend gewerblicher Nutzung auf einer Fläche von bis zu 60.000 Quadratmetern errichten darf. Wer dieser Investor sein soll, offiziell weiß das noch niemand, spekuliert wird schon eifrig.

Das wollen wir nur ganz am Rande tun. Eigentlich wollen wir reden über Sinn und Unsinn dieser Berliner Idee. Und wir wollen das tun mit Christoph Stölzl. Er war unter anderem bis 1999 der Generaldirektor des Deutschen Historischen Museums. Danach war er Wissenschaftssenator in Berlin, und im Moment widmet er sich beruflich dem Forum an der Museumsinsel, auch ein Filetgrundstück mitten in Berlin, auf dem ab 2009 etwas Neues entstehen soll. Schönen guten Morgen, Herr Stölzl!

Christoph Stölzl: Guten Morgen!

Kassel: Gilt für Berlin der Satz: "Es kann gar nicht genug Museen geben"?

Stölzl: Der Satz gilt für alle großen Städte der Welt und für Berlin besonders, weil wir Berliner ja immer eine Fehlwahrnehmung der Stadt haben. Die Stadt ist an Quadratkilometern so groß wie das Ruhrgebiet. Und niemand würde sagen, dass wir weniger Museen haben wollen oder sollen als die Ruhrstätte, das ist prima. Die Frage ist, ob das ein Museum ist, was da entsteht, das bezweifele ich. Ein Museum ist eine Institution, die auf Langfristigkeit angelegt ist, wo Dinge gesammelt werden, für immer wissenschaftlich beleuchtet werden. Und so wie ich das aus Zeitungen entnommen habe, ist das ja eher eine Ausstellungshalle, wo private Sammler ihre Schätze zeigen sollen.

Kassel: Das heißt, Sie rechnen auch damit, dass jemand, der bereit ist, viel Geld auszugeben, um so ein riesiges Gebäude, wir werden noch darüber reden, dass Berlin auch schon konkrete Vorstellungen von der Architektur hat, um so ein riesiges Gebäude zu bauen, dass so jemand ja auch erwartet, mit den Kunstausstellungen Geld zu verdienen?

Stölzl: Ach, ich glaube, mit den Ausstellungen kann man nicht Geld verdienen. Der Deal, der da ist, ob der gut oder falsch ist, das muss der Landesrechnungshof sagen. Da bin ich als Steuerbürger ganz getrost, dass die Aufsichtsbehörden das schon so machen, dass alles richtig ist. Nein, verdienen kann man, glaube ich, nicht wirklich Geld, sondern man kann sich darstellen. Die großen Sammler sind ja Leute, die Geld schon mitbringen müssen, mit dem Sammeln selber verdient man eigentlich weniger Geld, und die gerne nach Berlin kommen, weil Berlin so eine Art weißes Blatt Papier ist. Im Gegensatz zu den anderen großen Metropolen der Welt, wo in der Innenstadt um die Quadratzentimeter ja gekämpft wird.

Wenn Sie an New York denken, wie da die Grundstücke zusammengekauft werden müssen, um einen Wolkenkratzer zu errichten, ist Berlin ein Eldorado. Es wurde mal von über fünf Millionen Menschen bewohnt, jetzt sind es dreieinhalb. Es ist jetzt eine einzige riesige Fläche, eigentlich für Investoren, wo man sich selbst verwirklichen kann. Darum dieser Zug nach Berlin, und ich finde den natürlich prima.

Kassel: Nun ist die Frage, Sie haben es ja auch schon angesprochen, was wird da zu sehen sein, wird es eher ein Museum oder doch eine Ausstellungshalle, und was bringt das der Stadt. Es ist geschrieben worden in den letzten Tagen in Berlin schon viel darüber, dass Nicolas Berggruen der Investor sein könnte. Wollen wir gar nicht drüber reden, wie wahrscheinlich das ist. Er hat bisher weder dementiert noch hat er das bestätigt. Aber wenn wir das mal als Theorie annehmen, das ist zum Beispiel ein Mann, der ist dafür bekannt, dass er über eine große Sammlung von Kunstwerken von zum Beispiel Damian Hirst, Andy Warhol und Jeff Koons verfügt. Auf der anderen Seite heißt es immer wieder: Berlin braucht eigentlich eine neue Ausstellungshalle oder gleich auch ein Museum für die zeitgenössische Kunst, die jetzt im Moment in Berlin entsteht. Das klingt doch so, als könnte diese Lücke durch das private Museum nicht gefüllt werden?

Stölzl: Nein, das sind wirklich zweierlei Dinge. Ich finde, dass Glanz und Elend des Privaten ist, dass hier in der Tat die öffentliche Hand nichts dreinzureden hat, sondern zwischen dem Waagemutigen, der das tut, und dem Publikum entweder Freundschaft entsteht oder Langeweile. Wenn Nicolas Berggruen das tut und die Sammlung mitbringt, die ja interessant klingt, mehr das Drastische, das ummittelbar Schockierende. Wir erinnern uns ja an "Sensation", diese tolle Ausstellung im Hamburger Bahnhof, wo Herr Hirst zum ersten Mal in Berlin gezeigt wurde - dann ist das eine Sache. Es kann andere Sammler verlocken, dahin zu gehen und ein Quartier, das bisher so im Windschatten unserer Berliner Aufmerksamkeit liegt, weil wir uns mehr so auf Linden, Brandenburger Tor, Kreuzberg usw. konzentrieren.

Wenn so ein Quartier aufgewertet wird, ist das prima, so ähnlich wie wir das mit der Freiberger Holding tun werden, mit diesem Museums-Quartier, mit diesem Forum Museuminsel, das an die Insel angrenzt, wo ja auch Kunst und Sammlungen zu sehen sein werden. Dies nur nebenbei.

Aber die Kunsthalle, die ist ganz was anderes. Das muss wirklich ein Verein machen oder die öffentliche Hand, das fände ich am besten als Förderung. Berlin ist ein Eldorado, ein Magnet für Künstler aus der ganzen Welt, weil hier Weltstadtkulturen mit den Mieten einer Provinzstadt kombiniert sind, was es nirgendwo gibt. Das ist einfach ein Paradies. Es ist unglaublich, wer alles nach Berlin gezogen ist. Und die sollten sich viel schneller zeigen können als mit dem langen Umweg über die Galerien. Das ist ja auch nicht jeden Künstlers Sache, sich sofort zu binden. Das ist ein dringendes Muss, und das muss gebaut werden, auch unbedingt an einer Stelle, die erreichbar ist. Das muss nicht unbedingt zentral liegen.

Ich finde ja, dass die Entwicklung, die urbanistische Entwicklung Berlins unbedingt noch sozusagen mehr Kreativität braucht. Der ganze riesige Osten ist theaterlos jenseits der Volksbühne, ist kunsthallenlos, ist kunstlos. Da sind ja noch sozusagen mehrere Großstädte gestapelt vom Alexanderplatz aus, aber auch nach Norden. Ich finde, die Kunsthalle, die könnte tatsächlich auch urbanistisch ein neues Zentrum bilden, wenn man in der Innenstadt keinen Platz findet.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Christoph Stölzl über die Pläne für ein Jahr, Sie haben es erwähnt, im Grunde genommen mehrere neue Museen und Ausstellungsflächen in Berlin. Die Kunsthalle, um das zu erklären, das ist nun ein offizieller Plan. Sie haben es ja schon gesagt, das muss auch so sein, da geht es nicht um Privatinvestoren, und das soll wirklich der Ort werden für die wirklich zeitgenössische Kunst im wahrsten Sinne des Wortes. Da sind verschiedene Standorte im Moment geplant, Kreuzberg ist durchaus ein möglicher, aber durchaus auch etwas direkt um die Ecke von diesem privaten Museum.

Stellen wir uns das noch mal vor, Herr Stölzl. Es gibt da, nehmen wir nur mal die moderne Kunst, es gibt dann immer noch den Hamburger Bahnhof, es gibt das neue Privatmuseum, es gibt dann irgendwann auch die Kunsthalle. Nun denken wir an den kunstinteressierten Berlin-Touristen, der Freitagmittag anreist und Montagvormittag wieder ab. Der wird sich doch wahrscheinlich sagen, ich gucke mir die tollen Sachen von Jeff Koons im Neuen Museum an. Ich gucke mir aus Prinzip auch noch, weil ich was Altes sehen will, das Pergamonmuseum an, gehe zweimal essen, dann fahre ich wieder nach Hause. Ist das nicht doch auch ein musealer Verdrängungswettbewerb?

Stölzl: Das glaube ich nicht. Das ist so wie in einer Ladenstraße. Das Shopping wird immer mehr, je mehr nebeneinander in einer Straße sind. Und wenn man den unglaublichen Multiplikationseffekt bei MoMa gesehen hat, wo auf einmal Massen von Leuten kamen, die Lust auf Kunst hatten. Niemand hatte vorher gewusst, dass es so was gibt, (. . .) und warum die kommen, in Schlafsäcken übernachten. Wenn die Kunst gut genug ist und attraktiv genug ist, dann kommen auch die Menschen. Der Metropolentourismus, ich kenne das gut, die Zahlen von Berlin, die sind steil ansteigend, auch international. Die Welt entdeckt Berlin neu, so wie Berlin vor 1933 einfach ein heißester Punkt auf der Erdoberfläche war, wo man unbedingt hin musste.

Und ich glaube, dass wir da noch lange nicht bei Zahlen sind, wie sie realistisch sind. Das wird viel, viel mehr werden und immer vorausgesetzt, das Programm, diese verschiedenen Kunsthäuser, ist spannend genug, werden die Leute auch kommen. Und wenn nicht, dann wird eben zugesperrt. Aber die großen Institutionen, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die ja auch den Hamburger Bahnhof mitbetreibt, die haben einen vollkommen anderen Zugriff auf die Kunst, haben historische Tiefenschärfe, die können auch ein anderes Programm machen als eine Kunsthalle, die ins nächste Atelier geht und sagt, hier ist ein Genie, junger Mann, junge Frau, nächste Woche sollst du dein Bild bei uns aufhängen. Das sind ganz verschiedene Strategien.

Kassel: Da sind wir aber doch, Herr Stölzl, auch schon wieder, ich darf Sie zitieren, beim Glanz und Elend solcher Praktiken. Denn umgekehrt ist es doch auch so, dass ein privater Investor, wenn der auch noch sein kommerzielles Gelände daneben hat und andere Einkünfte für gewisse Kunstwerke ganz andere Preise zahlen kann als zum Beispiel der Hamburger Bahnhof?

Stölzl: Ja, aber das ist eine Entwicklung, die ist längst abgeschlossen. Dass der internationale Kunstmarkt, die Preise für auch frisch gemalte, frisch geschaffene Kunst in schwindelnde Höhen getrieben hat, das ist ein Faktum. Und da sollte die öffentliche Hand auch einfach weise sein und sagen, es ist ja mal so. Statt die Steuergelder sozusagen blind hastend hinter dem Kunstmarkt her auf irgendein Werk zu konzentrieren, dann lieber zu warten, so wie das Werner Schmalenbach gemacht hat in Düsseldorf. Diese großartige Kunstsammlung in Nordrhein-Westfalen ist ja entstanden, weil der Mann gesagt hat, so ist es mal, Kunst ist zu teuer, ich warte, bis später die Kunstgeschichte entschieden hat, was der zentrale Wert ist, dann kaufe ich dann sehr teuer, aber ich habe mir das angespart.

Hier muss, finde ich, die öffentliche Hand entweder klug sein und in die Ateliers gehen, von vornherein, aber eben schneller sein. Aber da kommt es eben auf einen scharfen Blick an. Ob es den gibt bei den öffentlichen Museen, das weiß ich nicht. Das gab es mal. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben ja die jungen Kustoden auch hier im Kronprinzenpalais oder in Lübeck die jungen Kunsthistoriker haben mit einer unglaublichen Genauigkeit erraten, was die Kunst des 20. Jahrhunderts ist - ob Dix, ob Grosz, ob Klee - obwohl die Künstler damals noch ganz jung waren. So was kann man sich nur wünschen, dass die Kustoden auch so klug sind.
Kassel: Herr Stölzl, aber kommen wir noch mal drauf, was natürlich auch jenseits der Kunst ein interessantes Phänomen ist, ist dieser Deal, der da angeboten wird. Jemand baut auf eigene Kosten ein riesiges Museum, dafür bekommt er ein sehr wertvolles Grundstück mitten in der Stadt geschenkt. Ist das ein typisch Berliner Modell oder könnte das die Zukunft sein auch für andere Orte?

Stölzl: Das müssen die anderen Orte entscheiden. Ich glaube, dass die Immobilienliegenschaftsverwaltungen und die Stadtkämmerer oder Finanzsenatoren der Länder, die sind da ganz kühl, die können das ja durchrechnen, wie sie besser stehen. Ob sie lieber die Steuern wollen vom Investor, ob er kommt und dann mit den eingenommen Steuern selber Kultur machen, oder ob sie sozusagen im Tauschverfahren gleich machen. Ich bin da ganz sicher, dass so was überhaupt keine Hintergrundnebel sind, sondern dass das völlig klar gerechnet werden kann, wie kommt die öffentliche Hand besser weg.

Schauen Sie, zum Beispiel, ganz anderes Feld, die Literatur lebt davon, dass aus Büchern der halbe Mehrwertsteuersatz, sogar noch nur sieben Prozent erhoben wird, dadurch gibt es Literatur. Würden die alle 19 Prozent zahlen müssen, würde ein Großteil der Literatur wegfallen. Da schenkt auch der Staat den Kapitalistunternehmern, Verlegern Geld, damit sie Kultur machen. Solche Modelle gib es ja, sie sind nicht unanständig. Man muss sie nur rechnerisch prüfen, ob tatsächlich eben die öffentliche Hand und wir als Bürger nicht den Kürzeren ziehen.

Kassel: Sagt Christoph Stölzl, langjähriger Museumsdirektor, Berliner Wissenschaftssenator ist er gewesen und jetzt hauptberuflich beschäftigt mit der Entwicklung des Forums an der Berliner Museumsinsel. Und deshalb ist er auch jetzt in Bayern gewesen und war ausnahmsweise am Telefon. Herr Stölzl, ich danke Ihnen für das Gespräch!

Stölzl: Danke! Guten Morgen!