"Es ist wichtig, mit seinem Namen eins zu sein"
"Bei deinem Namen genannt. Maria und Nikolaus": So heißt eine Ausstellung des Kulturbüros der Evangelischen Kirche in Deutschland. Der Kunsthistoriker Klaus-Martin Bresgott hat sie kuratiert – und erklärt, was Namen mit Menschen, Kulturerbejahr und Religionen zu tun haben.
Anne Françoise Weber: Wenn ein Mensch getauft wird, dann ist da meist ein Spruch aus dem Buch Jesaja der hebräischen Bibel, des Alten Testaments, zu hören, der heißt: "Fürchte dich nicht – ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein." Der Eintritt in die kirchliche Gemeinschaft beginnt also über das Ansprechen mit dem eigenen Taufnamen. Dieser Gedanke steckt auch hinter einer Ausstellung, die nächste Woche beginnt. Sie heißt "Bei deinem Namen genannt: Maria und Nikolaus" und wurde konzipiert vom Kulturbüro der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Das ganze Jahr über ist sie jeweils in 16 Marien- und Nikolai-Kirchen in Deutschland zu sehen sein, also in jedem Bundesland zweimal, und sie ist Teil des offiziellen Programms zum Europäischen Kulturerbejahr 2018. Die Ausstellung kuratiert hat der Kunsthistoriker Klaus-Martin Bresgott. Mit ihm habe vor der Sendung gesprochen und ihn zunächst gefragt, was Namen denn überhaupt mit dem europäischem Kulturerbe zu tun haben.
"Kirchen haben Namen"
Klaus-Martin Bresgott: Der Name und das europäische Kulturerbe, die beiden verstehen sich besser, als man denkt, und nicht nur auf den zweiten, sondern auch schon auf den ersten Blick. Dieser erste Blick heißt ganz eindeutig, dass man bei "Sharing Heritage", bei dem Kulturerbe, natürlich an Gemäuer denkt, an große steinerne Zeugen der Zeit. Und dann ist man sofort bei Kirchen, und Kirchen haben Namen.
Und damit sind wir angekommen bei dem Thema Namen. "Ich habe dich bei deinem Namen genannt" ist also auch das Thema, was letztlich jede Kirche angeht. Man steht vor einer großen Kirche und fragt sich, wo kommt sie her, was hat sie uns zu sagen, und dann heißt sie Marienkirche oder Nikolaikirche oder Andreaskirche. Und dann heißt es: Herzlich willkommen im Europäischen Kulturerbejahr.
Weber: Über die Namensauswahl sprechen wir gleich noch. Was war aber denn zuerst da: diese Idee, wir machen mal eine Ausstellung zum Thema Namen, oder die Anfrage, beteiligen Sie sich doch am Europäischen Kulturerbejahr, und dann haben Sie gedacht, na, wir können ja nicht nur über unsere schönen Kirchen reden, sondern wir müssen schon noch eine Ebene darüber finden?
"Wie soll es denn nun heißen, unser Kind?"
Bresgott: Ich glaube, das hat sich beides so gegenseitig beflügelt. Das eine war, dass wir uns mit Namen schon öfter auseinandergesetzt haben. Das geht ja schon zu Hause los, wenn man ein Kind bekommt – und ich habe davon eine ganze Hand voll –, dann fragt man sich jedes Mal, was machen wir denn nun, wie soll es denn nun heißen, unser Kind. Die Gretchenfrage nach der Identität.
Und insofern kam uns natürlich sehr zupass, dass wir bei "Sharing Heritage" andocken konnten und sagen konnten, der Name ist eigentlich der Urgrund der Frage von "Wo komme ich her? Wo will ich hin?" Was kriegen wir aus unserer Vergangenheit, was tragen wir in der Gegenwart, und womit geben wir unseren Kindern eine Zukunft?
Weber: Namen sind aber nichts typisch Europäisches und auch nichts typisch Christliches. Im Judentum spielt der Name, der Name Gottes, eine enorme Rolle, im Islam gibt es die 99 Namen Gottes. Auch in muslimischen Gesellschaften sind noch viel mehr Namen auf die Religion hin gedacht. Sehen Sie einen besonderen Zugang des Christentums zum Namen, oder des Protestantismus sogar?
Bresgott: Ich bin überzeugt davon, dass wir im Christentum eine ganz dichte, große Nähe zum Namen haben. Natürlich, Sie haben es auch schon am Anfang gesagt, "Ich habe dich bei deinem Namen genannt, bei deinem Namen gerufen, du bist mein." Wir wollen alle Dinge beim Namen nennen, wir müssen alle Dinge beim Namen nennen.
Weber: Aber das ist nichts typisch Christliches.
"Eine Verquickung von europäisch-christlicher Kultur"
Bresgott: Nein, das ist wahrhaftig nicht typisch christlich, aber es gehört doch einfach in unsere Kultur mit hinein, es prägt uns einfach. Und alles, was wir eben benennen, nennen wir beim Namen, und insofern ist es, glaube ich, eine Verquickung von europäisch-christlicher Kultur, nennen wir es mal so.
Weber: Trotzdem muss ich noch mal nachsetzen. Ich denke bei Namenstagen zum Beispiel automatisch an die katholische Kirche, wo das noch viel stärker begangen wird. Auch, dass Kirchen einen Schutzherrn, einen Schutzpatron haben, ist viel stärker in der katholischen Kirche. Wir haben ja auch evangelische Christus-Kirchen oder Apostel-Kirchen oder Reformationskirchen oder so. Also da ist gar nicht mehr unbedingt dieser Gedanke des Heiligen, der verehrt wird. Die Reformation hat sich ja auch ein wenig gegen den Heiligenkult gestellt. Also warum gehen Sie genau darauf wieder zurück?
Bresgott: Ich glaube, wir haben ein bisschen versäumt in der evangelischen Kirche, dass diese Bedeutung des Namens trotzdem eine ganz große für uns ganz persönlich bedeutet.
Wir müssen niemanden in den Himmel heben, wir müssen also keine Heiligen auf Brüstungen stellen, wo wir sie gar nicht hin haben wollen, aber wir merken doch, dass der Name einfach eine ganz direkte Verbindung bringt, die uns zum einen als Vorbild dient, zum anderen als Rückhalt da ist und insofern einfach für jeden Menschen etwas Habbares und Haltbares auch ist. Und deswegen wird es höchste Zeit, dass wir uns auch mit den Namen beschäftigen.
Weber: Und warum nun ausgerechnet Maria und Nikolaus? Protestantisch gesehen hätte ich ja für Martin und vielleicht Eva oder so plädiert.
"Wir gehen in die gesamte europäische Tradition hinein"
Bresgott: Wir haben uns an dieser Stelle wieder dazu entschlossen, dass wir eben Namen nehmen, die uns verbinden. Wo wir nicht sagen, wir müssen jetzt partout protestantisch uns auf die Seite stellen und sagen, wir haben es aber besser, wir wissen es besser. Das ist beileibe nicht der Fall, sondern wir gehen in die gesamte europäische Tradition hinein. Es ist ja auch das Schöne, dass eben deswegen diese Namen da sind, weil sie gesamteuropäisch eben auch vertraut sind.
Überall, wenn man als Maria nach Spanien kommt, nach Finnland kommt, nach England, nach Griechenland geht, jeder kann mit dem Namen was anfangen. Und mit Nikolaus ist das genau das Gleiche. Insofern haben wir uns also darauf besonnen, dass auch katholisch und evangelisch an dieser Stelle völlig unwichtig sind, dass es keine Tradition gibt, die erst vor 500 Jahren begonnen hat, was Namen angeht. Und deswegen: Auf ins große Europa und in die Traditionen der Heimat.
Weber: Und was passiert nun in dieser Ausstellung? Ich erfahre da, warum meine Kirche Marienkirche heißt und woran ich das erkenne, also vielleicht auch die bildlichen Darstellungen? Oder ich erfahre, wie Nikolaus in anderen Sprachen heißt? Oder ich denke überhaupt grundsätzlich über Namen nach? Oder alles zusammen?
"Wir wissen inzwischen von 62 Nikoläusen"
Bresgott: Alles zusammen. Ich sag es mal so: Dass wir es in Marien- und Nikolai-Kirchen machen, ist natürlich der Aufhänger für die ganze Geschichte. Das ist sehr schön so, weil sich ja heutzutage die Leute über den Namen kaum mehr Gedanken machen. Sie gehen in diese Kirche, stellen fest, dass sie so heißt, aber fragen gar nicht mehr nach den Urgründen.
Das ist bei Maria noch naheliegend, dass man damit eine Verbindung hat zum Weihnachtsfest. Das ist bei Nikolaus natürlich auch noch über den Brot- und Geschenkegeber am 6. Dezember, aber trotz alledem, was die Geschichte damit verbindet, das ist eigentlich vergessen. Insofern nehmen wir diese beiden Tage, diese beiden Kirchen, und fassen sie erst mal als Wurzeln quasi für diese Ausstellung.
Und dann gehen wir aber in die Sprossen und in die Blüten hinein und erzählen generell etwas zu Namen, also zur Frage von Kultur und Identität, von Name und Erbe, die Frage "nomen est omen" oder "Name ist Schall und Rauch", wird natürlich auch behandelt. Und dann gehen wir, wie gesagt, in die Frage auch, wie viele Namen gibt es denn überhaupt? Wir wissen inzwischen, also, was wir erkundet haben, von 56 verschiedenen Namensvarianten von der Maria, oder von 62 Nikoläusen.
Weber: Europaweit.
Bresgott: Europaweit wohlgemerkt. Und es gibt natürlich dann in Lateinamerika und so noch mal andere Varianten. Aber das sind einfach so diese Bilder, mit denen man dann auch erkennt, dass jeder Name eine neue Identität in seiner neuen Region findet. Er klingt ein bisschen anders, er hat eine andere Länge, eine andere Kürze. Er geht manchmal ganz brachial daher, manchmal wird er zu einem Kosenamen quasi.
Aber er wird immer identifizierbar und persönlich, und das ist das, was wir zeigen wollen anhand dieser beiden, um dann aber auch zu sagen: Nun frage dich, wie heißt du? Wie geht es dir mit deinem Namen? Wo hast du ihn her? Ist er aus einer Tradition oder fanden deine Eltern irgendeine Serie toll damals, als du geboren wurdest, und du musstest jetzt partout Jenny heißen, weil Jenny gerade dran war? Oder wie auch immer. Und versuchen, damit einfach den Leuten ihre Identität mal abzufragen, um zu sehen, was dabei rauskommt.
Weber: Das heißt aber, dass im Grunde jeder sich irgendwie mit seinem Namen identifizieren muss. Aber es mag auch Leute geben, die ihren eigenen Namen ganz schrecklich finden. In der "Zeit" war kürzlich eine Diskussion zwischen vier Mohammeds, von denen zumindest zwei fanden, das ist eigentlich ein furchtbarer Name, der ihnen da mitgegeben wurde, weil der so vorurteilsbeladen ist in einer nicht-muslimischen Gesellschaft - in einer muslimischen ist er dann wieder anders beladen. Gehen Sie damit auch um?
"Ist der Name Band oder Bürde?"
Bresgott: Wir fragen generell an: Ist der Name Band oder Bürde, ist er Aufgabe oder Geschenk? Ist er Last oder Lust? Aber das können wir natürlich jetzt nicht quasi ad absurdum führen, den guten oder schlechten Namen, oder ihn in den Himmel heben, sondern wir fragen generell: Wie gehst du damit um?
Und manchmal ist auch das Schöne, dass man dann doch einen Zugang plötzlich finden kann, weil es plötzlich Leute gibt, die genauso heißen und ihn mit großer Freude tragen, wo man plötzlich andocken kann und sagen kann: Mensch, eigentlich hat es was Tolles, dass ich genauso heiße.
Oder andersherum: Ich komme von der Entfremdung in eine Nähe zu mir selbst mit meinem Namen. Aber ich glaube, das ist generell die Frage, die wir eben stellen. Bist du glücklich mit deinem Namen, bist du eins mit dir? Kannst du dich so nennen, weil du so bist?
Weber: Und was macht jemand, der das nicht ist?
Bresgott: Der geht aus der Ausstellung heraus und hat eine neue Idee für einen neuen Namen.
Weber: Haben Sie denn etwas über Ihren Namen gelernt? Klaus-Martin heißen Sie, da steckt der Nikolaus auch drin. Gab es da eine Erkenntnis?
"Bei mir in der Familie gab es immer die Kläuse und die Martini"
Bresgott: Ja. Für mich ist ja die Freude, dass ich ja eigentlich so einen doppelten Geber im Namen habe. Nikolaus und Martin. Das ist ganz lustig, bei mir in der Familie gab es immer die Kläuse und die Martini. Mein Vater ist ein Klaus, mein Großvater war ein Klaus. Auf meiner Mutterseite gab es Martins. Ich habe das dann abgebrochen, weil ich dachte, es reicht mit mir mit der Zusammenführung. Ich freue mich auch über die Namen meiner Kinder, aber habe dann irgendwann festgestellt, dass es doch was Schönes hat, wenn man diese Namenstradition durchgibt.
Weber: Das heißt, Sie empfehlen Ihren Kindern, dass die dann später die Kinder doch wieder Klaus oder Martin nennen werden?
Bresgott: Ach, sie müssen jetzt nicht an dem zweifelhaften Vater ihre Freude austoben an schönen Namen. Aber auf alle Fälle können sie darüber neu nachdenken. Und das merke ich auch in der Beschäftigung, wie wichtig es am Ende doch ist, mit dem Namen eins zu sein oder eins zu werden. Das ist ja auch oft was, was einen durch die Pubertät bewegt.
Da möchte man irgendwie gern taff heißen, taff und cool und eben nicht, weiß ich nicht, Felicitas oder Augustin oder Jorinde oder wie auch immer. Jedenfalls die einen nicht. Und dann merkt man aber plötzlich mit der Beschäftigung, dass es in einem klingt, dass es etwas anspricht und Resonanz hat. Und darauf hoffe ich natürlich, nicht nur bei meinen Kindern, sondern bei allen Leuten, die ihre Namen haben und damit auch eins sein können.
Weber: Haben Sie sich denn mit der Entwicklung der Namen über die zumindest letzten Jahrzehnte beschäftigt? Wissen Sie, ob christliche oder biblische Vornamen eher im Abnehmen sind oder wieder in Mode kommen?
"Die Frage nach den biblischen Namen stellt sich leider kaum"
Bresgott: Die Feststellung der letzten Jahre ist eigentlich die, dass man überhaupt nicht oder nur ganz minimal darüber nachdenkt, ob sie biblisch sind oder nicht. Die Frage ist, klingen sie oder klingen sie nicht, also sind sie hip oder hopp, weil sie entweder kurz und knackig sind oder weil sie dreisilbig klingend, mit schönen Konsonanten losgehen.
Sie wissen, es gab etliche Zeiten, da musste es alles, was mit L losgeht, Leonard, Leon, Lea und so weiter sein. Dann gibt es Namen, die immer obenan stehen, wie Alexander oder Maximilian. Das sind so die eleganten gutbürgerlichen Namen.
Weber: Auch gern in der Kurzform Max.
Bresgott: Genau, und wo man dann aber immer was hat, wo man sagen kann, zack, ich krieg dich auch in der Kürze, so Tess und Tom und so weiter und so fort. Aber die Frage nach den biblischen Namen stellt sich leider kaum. Das heißt, es weiß auch kaum jemand, wo er dann seinen Namen her hat.
Und auch das ist der Grund dieser Ausstellung, dass sich die Leute da wieder Gedanken machen und sagen, warum heiße ich denn Martin, oder wo kommt denn Maximilian her, der Alexander, wie auch immer.
Weber: Und da gehen Sie also schon auch hin, dass Sie nicht nur allen, die Maria oder Nikolaus heißen oder Klaus, sondern auch den anderen, zumindest bei wichtigen Namen, sagen, wo der Name herkommt?
"Wir geben nicht ganz konkrete Hinweise"
Bresgott: Wir geben nicht ganz konkrete Hinweise, aber wir sagen, wo sie zu finden sind. Auch ganz klar sagen wir, dass man sich eben diesen Namen widmen kann. Und dann ab die Post, da und da findet ihr mehr zu euch.
Und dafür gibt es dann in dieser Ausstellung, die übrigens auf riesengroßen Umzugskartons zu sehen ist, auf der Vorderseite Deutsch, auf der Rückseite Englisch ...
Weber: Warum Umzugskartons?
Bresgott: Umzugskartons deswegen, weil wir alle so beweglich und mobil sind, und auch unsere Namen. Es gibt auch leere Kartons, auf denen man dann die Geschichte der Namen weiterschreiben kann und entsprechend sagen kann, jetzt habt ihr so viel Maria, jetzt habt ihr so viel Nikolaus. Wir erzählen jetzt hier die Geschichte von Leonie oder von Fritz und Fred und wie auch immer, Kevin ...
Weber: Sodass Sie vielleicht am Ende des Jahres dann noch mal eine Ausstellung machen könnten über die anderen Namen?
"Schauen wir mal, was auch so in den Schulen generiert wird"
Bresgott: Da bin ich ganz sicher, dass wir das machen können, denn wir haben in jeder Ausstellung, von diesen 32 gibt es jeweils fünf große leere Umzugskartons mit vielen großen Stiften dazu. Und dann schauen wir mal, was auch so in den Schulen generiert wird, wie sich die Leute dort beschäftigen wollen und werden, was hinten herauskommt.
Weber: Vielen Dank. Klaus-Martin Bresgott, Kunsthistoriker, Projektleiter beim Kulturbüro der Evangelischen Kirche in Deutschland und Kurator der Ausstellung "Bei deinem Namen genannt. Maria und Nikolaus". Am 6. Februar geht es los, und zwar in welchen Kirchen?
Bresgott: Am 6. Februar beginnen wir in Lübeck. Dann werden wir am 13. Februar die Ausstellung in Erfurt eröffnen. Im März geht es weiter in Potsdam, im hessischen Büdingen, und dann geht es übers Jahr in den verschiedensten Orten, wie gesagt, bundesweit. Man kann immer was finden, was in der Nähe ist.
Weber: Und weitere Informationen finden Sie unter www.kulturkirchen.org unter dem Stichwort "Sharing Heritage", und dann "Bei deinem Namen genannt. Maria und Nikolaus".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.