"Mit Heavy Metal zurück in die Schubertzeit"
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Er ist Professor für Kunstgeschichte und lehrt in der Schweiz. Nebenbei macht Jörg Scheller Bodybuilding und schreibt darüber. Und er ist Musiker: Sein Heavy-Metal-Duo "Malmzeit" kann man zum Konzert ins eigene Wohnzimmer bestellen.
Pizza, eine neue Hose oder Lebensmittel, all das wird heute selbstverständlich nach Hause bestellt. Aber eine Heavy Metal Band? Kein Problem, wenn man das Metal-Duo "Malmzeit" von Jörg Scheller engagiert. Die spielen auch im heimischen Wohnzimmer, am liebsten sogar sitzend.
Scheller, das wird schnell deutlich, entspricht nicht den gängigen Klischeebildern. Und die hat man unweigerlich im Kopf, denn der Mann ist Kunstwissenschaftler, Hardrocker und Bodybuilder.
Überdruss an harten Attitüden
Ihm seien die typischen Metal-Attitüden, "die Faust gen Himmel recken und Odin rufen", mit der Zeit peinlich geworden, sagt Scheller. Also sitze er bei Konzerten lieber, zwischen den Songs darf es gern auch ein Tässchen Tee sein. Seit 2003 existiere das Duo und funktioniere tatsächlich wie ein Pizza-Lieferservice.
"Wir waren damals der Pathosformeln des Metal müde geworden und beschlossen, Metal so bieder zu spielen, wie er eigentlich immer war." Bieder? Ja, meint Scheller, im Gegensatz zum Punk, der auf der Straße gespielt wurde und Protest ausdrückte, sei Metal immer eine "Indoormusik" gewesen, eine Art Hausmusik:
"Da dachten wir uns, wir machen das mal so richtig bourgeoise. Wir nennen das Kammermetal. Also, mit uns geht Metal zurück in die Schubertzeit."
Sex, Tod und das Wetter
Wenn Scheller über seine Musik erzählt, stets freundlich im Ton, gepaart mit einem schwäbischen Dialekt, kann man sich des Gedankens nicht erwehren, das könne er nur ironisch meinen. Er meine das aber völlig ernst, sagt der Kunstwissenschaftler. Für ihn habe Metal auch eine Art therapeutische Wirkung:
"Es gibt ja die berühmte Katharsistheorie, dass man durch Heavy Metal negative Energien abreagieren kann. Heavy Metal erlaubt, mit Tod, mit Leid, mit Schmerz, mit Gewalt auf eine konstruktive Art und Weise umzugehen." Durch die Musik werde es dann in eine Kunstform übersetzt.
Jörg Scheller hält sich selbst für einen "talentfreien" Sänger, daher schreie er mehr. In den Songs des Metal-Duos gehe es vor allem um das Wetter. "Die anderen beiden großen Themen, die alle Menschen betreffen, also der Sex und der Tod, die sind im Metal ja bereits hinlänglich behandelt worden", sagt Scheller. "Da gibt es wenig hinzuzufügen."
Gegen den posthistorischen Gemütlichkeitsterror
Schon früh entdeckte er diesen Musikstil für sich, gründete mit 13 eine Band, bald folgten erste Auftritte. 1979 in Stuttgart geboren, "stand mir schnell der Sinn nach härterer Musik, um diesen posthistorischen Gemütlichkeitsterror der 90er-Jahre zu konterkarieren. Im Speckgürtel von Stuttgart musste man sich was ausdenken."
In dieser Zeit kam für Jörg Scheller auch der Kraftsport hinzu. Ein krummer Rücken brachte ihn ins Sportstudio. "Nur, dort haben mich nicht die braven Fitnesssportler fasziniert, sondern die Bodybuilder. Die fand ich irgendwie faszinierend und verstörend zugleich."
Dabei begeistere ihn bis heute weniger der Sport, als vielmehr die Ästhetik. "Bodybuilding bedeutet ganz konkret, dass man den eigenen Körper zu einer Art lebendigen Statue umformt. Man nutze gewissermaßen sportliche Methoden für ästhetische Ziele. Und am Ende geht es nicht darum, was man mit dem Körper machen kann, sondern es geht um das Bild dieses Körpers."
"Wir sind vieles zugleich"
Am Ende seines Studiums schrieb der Kunstwissenschaftler seine Abschlussarbeit über Arnold Schwarzenegger, Aufsätze und Bücher über das Bodybuilding folgten in den letzten Jahren.
Zur Kunstgeschichte kam Scheller über eine Negativliste: "Ich habe mir überlegt, was ich alles nicht kann. Am Ende blieb nicht wahnsinnig viel übrig." Später arbeitete er journalistisch, war als Kurator an mehreren Ausstellungen beteiligt, wurde 2019 zum Professor für Kunstgeschichte an der Zürcher Hochschule der Künste berufen.
Gerade hat sich der 42-Jährige in seinem aktuellen Buch "Identität im Zwielicht. Perspektiven für eine offene Gesellschaft" unter anderem als: "Musiker, Kraftsportler, Schwabe, Wahl-Schweizer, liberal, progressiv und konservativ" bezeichnet.
Diese Selbstbeschreibung sei ihm deshalb wichtig, "weil wir mittlerweile zu reflexhaft in zu enge Kategorien einordnen." Das sei, so Scheller, "ein Kollateralschaden der eigentlich sehr nützlichen Identitätspolitik. Wir nutzen sie mittlerweile wieder, um Leute in Schubladen zu packen. Ich glaube, die Normalität von Identität ist, dass wir sehr vieles zugleich sind."
(ful)