Kunstkritiker Guilbaut in Berlin

Heftige Kritik am Museumsspektakel

Das vom Architekten Frank Gehry entworfene Guggenheim Museum in Bilbao, Spanien, aufgenommen am 28.8.2014
Guggenheim Museum in Bilbao: Was von außen gut erkennbar sei, habe im Innern keine Idee, bemängelt Guilbaut. © picture-alliance / dpa / Heikki Saukkomaa
Von Jochen Stöckmann |
Leidenschaftlich, direkt und kampfeslustig: So kennt die Kunstwelt den Kritiker Serge Guilbaut. Bei seinem Vortrag in Berlin kritisierte er Museumskonzerne wie Getty oder Guggenheim für ihre kommerziellen Riesenausstellungen, die die Kunst nur für Profitzwecke einsetzten.
"Ich bin nicht gegen Museen., vor allem nicht gegen das Museum als Ort der Demokratie. Aber ich bin dagegen, die Museumsidee für Profitzwecke einzusetzen oder fürs Prestige. Und ich bin gegen pure Unterhaltung. Oder gegen das Museum als Logo, als Markenzeichen. Und gegen Museumsarchitektur als Spektakel, von außen gut erkennbar, aber im Innern ohne jede Idee."
So kennt die Kunst- und Museumswelt den Kritiker Serge Guilbaut: leidenschaftlich, direkt und kampfeslustig. Und durchaus nicht beseelt vom Wunsch nach alten Zeiten, wie etwa sein Kollege, der melancholische Jean Clair. Der sehnt sich zurück nach jenen Museumstempeln, in denen "Konservatoren" im Wortsinne über den Kanon wachten und ihre heiligen Hallen eigentlich nur als Andachtsräume für Connaisseure, für wahre Kenner offen hielten. Aber Guilbaut hält auch wenig von abgehobenen Forderungen wie einem "Museum ohne Wände" – an deren Ende dann das Museum ohne Sammlung steht, weil die Traumtänzer sich weder um politischen Rückhalt noch um die finanzielle Ausstattung gekümmert haben.
Museumskonzerne als Gegner
Und schließlich kennt er, der lange Zeit in Kalifornien gelehrt hat, auch seine Gegner: Museumskonzerne wie Getty oder Guggenheim:
"Sie brauchen riesige Ausstellungen und ein riesiges Publikum um eine riesige Summe Geld zu machen. Und dafür brauchen sie riesige Räume mit riesigen Kunstwerken – mit enormer Anziehungskraft.
Diese Blockbuster, Paketausstellungen für den globalen Museumsleihverkehr, werden Guilbauts Erfahrung nach gedankenlos auf den Weg gebracht, aber mit lauten Werbefanfaren. Und ihre Initiatoren nehmen das Publikum nur noch mit Blick auf Besucherzahlen ernst. Sie schauen auf Umsätze, die sich – etwa durch den Zustrom aus der wachsenden chinesischen Mittelklasse – ungeahnt vermehren können. Dann blüht die Kulturtourismus-Industrie:
"Tourismus heißt: Sie müssen ein Höchstmaß an Dingen sehen in möglichst kurzer Zeit. Und Leute wie ich, weil sie kaum noch Interessantes, wirklich Spannendes zu sehen bekommen, verblöden allmählich. Es entsteht eine Gesellschaft, die Dummheit produziert – ein Desaster."
Diese Schreckensvision hält den soziologisch versierten 68er dann aber nicht davon ab, die Probleme "en detail", sozusagen polit-ökonomisch zu untersuchen:
"Mit dem Guggenheim-System läuft es nicht mehr. Es kam der Crash in der Finanzindustrie, da hatten sie Probleme mit all ihren Museen rund um die Welt. Aber ich kenne die Situation hier nicht genau, ich weiß nicht, was es ersetzen wird."
So antwortet Guilbaut auf die Frage nach der Situation in Berlin, wo Guggenheim die Kooperation – der Kunsthistoriker spricht von "Franchise" – mit der Deutschen Bank aufgekündigt hat.
Vielfältige Berliner Kunstlandschaft
Andererseits ist da eine Berliner Kunstlandschaft mit ihrer Vielfalt von Galerien, von künstlerischen "Positionen". Die aber am Ende eben auch dem Prinzip der Konkurrenz Tribut zollen müssen, wie man es aus den USA kennt:
"Sie haben immer noch kluge Köpfe unter den Künstlern. Aber wenn die merken, wie ihnen geschieht, steigen sie aus. Und was bleibt, sind Künstler, die sich verhalten wie Donald Trump.
Das könnte man als Klischee abtun, wären da nicht Guilbauts Ausflüge in die Realität, in das wirkliche Museumsleben, etwa als Reporter für das kanadische Radio unterwegs in Venedig, Bilbao, Montreal:
"Wir gingen etwas trinken im Supermarkt, einer Mall, einer Super-Mall. Da kommt uns eine Touristengruppe mit ihrem Führer entgegen. Und dieser Guide beschreibt die Mall, als ob es ein Museum wäre."
Fatale architektonische Vorbildfunktion
So greift also das Streben nach "ikonischer", auffälliger Architektur um sich – mit Museen in einer fatalen Vorbildfunktion. Aber es gibt auch positive Entwicklungen, wenn man ins Innere schaut, auf die Ausstellungs-Programme, die sich zu ihrem Vorteil verändert haben seit den 70ern:
"Wir haben damals nicht gezeigt, was etwa in Argentinien oder Brasilien abging, und das war wirklich sehr interessant. Nun, durch die Globalisierung, haben wir diese Möglichkeit. Und wir müssen aufpassen, dass das Pendel nicht zur anderen Seite ausschlägt, als ob es nur in Brasilien gute Kunst gäbe. Das wäre 'political correct' oder eine Mode – aber ich bin nun mal nicht modebewusst"
Das ist dann die Überraschung: Der fröhlich kämpferische Guilbaut mag keine Extreme, warnt vor Schwarz-Weiß-Lösungen zur einen oder anderen Seite. Was weder faule Kompromisse bedeutet noch den mutlosen Mittelweg. Sondern einen Aufruf, für das, oder besser: die idealen Museen des 21. Jahrhunderts energisch zu investieren – in die intellektuelle Infrastruktur!
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