Kunstliebender Tausendsassa

Von Rainer Zerbst |
Ottomar Domnick war von Beruf Neurologe und konnte sich kostspielige Hobbys leisten. Er förderte zeitgenössische Musik, drehte 1957 den Film "Jonas" und sammelte moderne Kunst. Er lebte bis zu seinem Tod 1989 inmitten seiner Sammlung in einer eigens dafür konzipierte Villa.
So manches Museum dürfte begehrliche Blicke auf diese Sammlung richten. Allein von einem Willi Baumeister ein knappes Dutzend Gemälde, sodann Max Ackermann, Hans Hartung, Pierre Soulages, aber auch der Fluxus-Künstler Wolf Vostell. In einem im Aufbau begriffenen Online-Katalog wird jedes Werk der Sammlung ausführlich beschrieben.

Ottomar Domnick war ein begeisterter Anhänger der abstrakten Malerei, aber, so Werner Esser, der die Stiftung heute leitet, er war ein typischer Sammler, er sammelte nur, was ihn direkt ansprach.

Werner Esser: "Er hatte einen ausgesprochen guten Blick für gestalterische Qualität, sowohl was Innengestaltung anging wie auch was technische Gestaltung anging - technische Intelligenz hat ihn auch, vor allem bei Automobilen, sehr gefallen, aber eben auch in puncto Malerei, wobei da sofort auch immer den Menschen zu erblicken versuchte, der sich in den Bildern verkörpert, aber nicht verkörpert als expressives Ich, das sich auslebt, sondern als Individuum, das seinem Selbst eine Form gibt. Das war für Domnick ganz wichtig - die Form."

Aber nur die Form war ihm zuwenig, sobald sie allzu abstrakt wurde, verlor er das Interesse.

Werner Esser: "Die war ihm zu kalt. Dieses rein mathematisch Konstruierte war für ihn nicht interessant, und die wenigen Bilder, die Sie in der Sammlung vielleicht diesem Spektrum 'geometrische Abstraktion' zuordnen mögen, etwa Andreas Brandt, ist sehr vom Intuitiven her geprägt. Brandt geht es um Proportionen, und das Geometrische, das durchaus vorhanden ist, tritt gegenüber diesem Empfindungsmäßigen in den Hintergrund."

Dass Willi Baumeister einen Schwerpunkt in der Sammlung bildet, ist verständlich. Domnick richtete sich nach dem Zweiten Weltkrieg seine psychiatrische Praxis in Stuttgart in unmittelbarer Nachbarschaft zu Baumeisters Haus ein - ein intensives Gespräch begann, ein Gespräch, das er auch mit anderen Künstlern führte.

Das Menschliche war ihm stets wichtig. In einem von ihm selbst konzipierten und gefilmten Selbstporträt - schließlich arbeitete er auch als avantgardistischer Filmemacher - definierte er diese seine Kunstbegeisterung:

Ottomar Domnick: "In der Malerei hat mich immer das interessiert, was auch die Musik bestimmt - das Abstrakte, die Komposition, mehr die Dynamik und das Poetische, das Psychogramm, wie sie die abstrakte Malerei auszeichnet."

Aber: Domnick kam es nicht darauf an, eine Sammlung für den eigenen Keller anzulegen, er strebte immer den Dialog an. So plante er mitten in Stuttgart ein Museum für Gegenwartskunst, Anfang der 50er Jahre - und war mit seinem Konzept, so Esser, seiner Zeit weit voraus.

Werner Esser: "Da sollte ein Haus entstehen, das über ein herkömmliches Museum hinausging, indem es Veranstaltungsort gewesen wäre für Tanz, für literarische Lesungen, für Bühne und für Musik, das ein Forum sein sollte für Vorträge, das ein Zentrum der Editionen sein sollte, dass man Künstlerbücher herausgab und Monografien veröffentlichte."

Das Projekt scheiterte - und also realisierte es Domnick für sich in kleinerem Rahmen, ließ sich bei Nürtingen, nur 20 Kilometer südlich von Stuttgart auf einer Anhöhe eine Villa bauen, von dem renommierten Architekten Paul Stohrer. Es ist eine moderne Architektur der klaren Formen, mit viel Glas, die Ein- und Ausblicke bietet.

Schon ehe man das Haus betritt, stößt man im Garten auf Kunst, Plastiken aus Edelstahl und rostendem Eisen, harmonisch in die Gartenlandschaft eingefügt. Er selbst beschrieb in dem erwähnten Selbstporträt, das es übrigens zusammen mit seinem Spielfilm "Jonas" auf DVD gibt, seinen täglichen Umgang mit dieser Kunst.

Ottomar Domnick: "Vergaß ich den zarten Berocal, der mich an ein Weidetier erinnert, die stille Säule von Avramidis, körpernah und sensibel, kontrastiert zu Lechners Verformung. Es ist ein stilles Geschehen in einer stillen Landschaft, in der wir zurückgezogen leben."

Und dann der Schatz an moderner Kunst im Haus, auch sie wieder rein subjektiv präsentiert.

Werner Esser: "Es ist ein Haus zum Betrachten. Die gesamte Anlage der Architektur mit ihren Durchblicken, mit ihren abfallenden Ebenen, die macht das Betrachten selbst schon zum Thema, und die Art und Weise, wie Domnick seine Bilder damals gehängt hat, unterstrich das noch mehr: Man sollte sich niederlassen und über Blickbezüge zu den Bildern hin einen eigenen Zugang sich herausbilden."

Und hier schuf der Tausendsassa, der Nervenarzt, begeisterter Sportwagenfahrer, Filmregisseur und Mäzen war, ein Kulturzentrum. Er vergab Kompositionsaufträge, veranstaltete Lesungen, Vorträge - und damit dieses kulturelle Leben nicht mit seinem Tod endete, gründete er seine Stiftung. So betritt man auch heute nicht ein Museum, sondern eine Oase der Ruhe und Kultur und kann zwischen den Kunstwerken lustwandeln, in einem Haus, das wie geschaffen dafür ist.

Werner Esser: "Er wollte eine Einheit schaffen von Malerei und Architektur, Architektur und Natur, Natur und Skulptur. Wenn man ein großes Wort brauchen wollte, könnte man sagen, es ist ein Gesamtkunstwerk; das ist vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen, nur ist der stimmige Gesamtcharakter für jeden Besucher wahrnehmbar, und die Begeisterung, die bei der Eröffnung des Hauses bei den Besuchern zum Ausdruck kam - die hat nicht nachgelassen, bis heute."