Sarah Thornton: 33 Künstler in drei Akten
Aus dem Amerikanischen von Rita Seuß
S. Fischer Verlag, 444 Seiten, 24,99 Euro
Konkurrierende Gottheiten
Sarah Thornton ist um die Welt gereist und hat für ihr Buch "33 Künstler in drei Akten" Lieblinge der Kunstszene ebenso getroffen wie Einzelkämpfer. Darin spürt sie der Ambivalenz nach - von egozentrierter Selbstinszenierung und Zweifeln an der künstlerischen Produktivität.
Teilnehmende Beobachtung, so nennt man wohl das Verfahren, mit dem die amerikanische Journalistin Sarah Thornton sich einer Welt nähert, deren Erfolge auf Messen wie der Art Cologne, die derzeit stattfindet, öffentlich gefeiert werden, deren soziale, kreative und ökonomische Verhältnisse dem Betrachter aber verborgen bleiben. Gemeint ist die globale Kunstwelt, die mit ihren schillernden Erfolgsgestalten wie Jeff Koons, mit milliardenschweren Sammlern und spektakulären Auktionsgefechten eine weltumspannende Glamourshow geworden ist.
Vier Jahre lang ist Sarah Thornton durch diese Welt gereist, hat die Lieblinge des Kunstmarkts, wie Ai Weiwei oder Damian Hirst, ebenso getroffen wie mittel- und unbekannte Künstler. Beim Ausstellungsaufbauen, bei der Arbeit allein oder mit Assistenten in den Ateliers, in ihren privaten Wohnungen oder Lieblingskneipen.
Sie beschreibt minuziös Einzelkämpfer wie Cindy Sherman, ganze Künstlerfamilienclans, aber auch Kunstwerkstätten, die eigentlich mittelständige Unternehmen sind mit etlichen Angestellten wie im Falle von Jeff Koons, dem teuersten lebenden Künstler. Ihre Leitfrage dabei ist: Was bedeutet es heute, Künstler zu sein? Immer wieder stellt sie ihren Protagonisten hartnäckig diese Frage.
Eine Frage, die man im diesem System eigentlich nicht stellt, in dem Erfolg oder Misserfolg nicht mit der Qualität der Arbeit von Künstlern zu tun hat. In 33 Szenen, die wie in einem Sammelalbum zu drei Themenkomplexen geordnet werden, Politik, Partnerschaften und Handwerk, spürt die Autorin der Ambivalenz nach, von einer egozentrierter Selbstinszenierung als Künstler und der Einsamkeit, den alltäglichen Zweifeln der künstlerischen Produktivität, die, je bekannter die Kunstmacher sind, immer stärker der Verführung ausgesetzt ist, für den Markt zu produzieren, wie im fast tragischen Falle von Damien Hirst.
"Heutige Künstler", schreibt Thornton, "sind wie konkurrierende Gottheiten, die sich durch die Art und Weise ihres Auftretens eine treue Anhängerschaft sichern." Und so sind für die Autorin auch die scheinbar nebensächlichsten Details berichtenswert, Kleidung, Umgang mit Assistenten, was gegessen, was getrunken wird, die gigantische Teeauswahl in der Küche, etc. etc.
Und Thornton vertraut ganz den Künstlern selbst, die sich hier mitunter erstaunlich reflexiv zeigen, wie beispielsweise der Künstler Gabriel Orozco, wenn er sagt: "Mein Werk steht zwischen der Unterhaltungsindustrie und den Kräften des Marktes, zwischen Politik als Spektakel und Alltagsleben. Es bietet, so hoffe ich, Momente einer intimen Begegnung mit der Wirklichkeit."
Mustergültiges Beispiel für die Veränderung des Kunstdiskurses
Dabei gehört es zu Thorntons Gespür für die Gesprächssituation, dass es nach diesem Zitat heißt: "Und lachend fügt er hinzu: O Mann, ich hoffe, diese Antwort gefällt Ihnen!".
Thornton kann zeigen, dass offenbar – egal wie nahe sie den Künstlern kommt, egal wie ernst ihr Anliegen ist - die Dauerselbstinszenierung wirkt wie eine Schutzhülle professioneller Künstler, hinter der das eigentliche schöpferische Geheimnis steckt. Und das sprachlich immer wieder umkreist wird, etwa wenn Ai Weiwei sagt: "Einsamkeit ist ein wichtiges Gefühl. Ein Künstler muss wissen, wie er seinen Weg alleine geht."
Oder der amerikanische Maler Carroll Dunham bemerkt, dass er in seiner Arbeit in einer obsessiven "Endlosschleife" stecke und seine Tochter, selbst Künstlerin, bemerkt: "Der Künstler ist einfach der coolste Typ im Raum. Der Künstler ist derjenige, von dem alle besessen sind, der inspiriert und Neid weckt. Er ist eine sehr mächtige soziale Position."
Das klingt alles sympathisch und ist geschickt arrangiert, man liest dieses Buch voller Kunstgeschichten wirklich gerne. Doch obwohl man hier reich beschenkt wird, zumindest wenn man wie der Rezensent von dem Wimmelbild der Gegenwartskunst immer wieder neu fasziniert ist, steht man doch am Ende mit fast leeren Händen da.
Denn Thornton wertet so gut wie nicht, sie ordnet nicht ein, analysiert nicht. Sie schreibt nicht eigentlich ein Buch über Künstler und ihre Mythen, sondern sie schreibt diese Mythen fort. Tief im Inneren dieses Buches pocht – freilich vom Kunstkapitalismus und der medialen Aufmerksamkeitsökonomie abgeschliffen – der Geniekult des 18. Jahrhunderts.
An die Stelle der Frage "Was bedeutet Kunst?" tritt die Erkundung des schöpferischen Subjekts. Damit ist Thornton gleichsam ein mustergültiges Beispiel für die Veränderung des Kunstdiskurses überhaupt, eines Schreibens über Kunst, bei dem die Kritik, die Analyse, ja die Wahrheit von Kunst in den Hintergrund treten. Thornton ist eben Teil der Kunstwelt, gesteht etwa, dass sie eine besondere Beziehung zu Werken hat, deren Entstehen sie in den Ateliers miterleben konnte - und wer kann das schon? Wer beim Betrachten allerdings zu nahe rangeht, der verliert den Blick fürs Ganze. Das betrifft die Betrachtung der Kunst ebenso wie die der Kunstwelt.