Welfenschatz ist "kein Restitutionsfall"
Der Kunstrechtsexperte Peter Raue erwartet nicht, dass die für den Fall einberufene Limbach-Kommission die Rückgabe des Welfenschatzes empfehlen werde. "Der Schatz war nicht in Deutschland, der Erwerb ist mit freiem Handel durchgeführt worden", sagte Raue.
Marietta Schwarz: Seit vielen Jahren wird um den sogenannten Welfenschatz im Berliner Kunstgewerbemuseum gestritten. Die Erben jüdischer Kunsthändler fordern ihn nämlich zurück. Die Sammlung aus mittelalterlichen Goldschmiede-Arbeiten, Reliquien und Truhen soll mindestens 100 Millionen Dollar wert sein, vielleicht aber auch viel, viel mehr.
Doch ob der Welfenschatz, eine der Hauptattraktionen der Berliner Museen, NS-Raubkunst ist, ist schwer zu sagen. 1935 erwarb sie der preußische Staat von jüdischen Sammlern, die ebenso wie der Schatz bereits im Ausland waren. Nun soll die sogenannte Limbach-Kommission, die bei strittigen Fällen von Raubkunst angerufen wird, eine Empfehlung aussprechen, und das könnte vielleicht heute passieren. Am Telefon ist Peter Raue, Rechtsanwalt und Restitutionsexperte. Herr Raue, guten Morgen!
Peter Raue: Schönen guten Morgen.
Schwarz: Was macht diesen Fall des Welfenschatzes denn so brisant?
Raue: Na ja, das ist auf der einen Seite natürlich der unerhörte finanzielle Wert, um den da gestritten wird. Das ist auf der anderen Seite aber auch das Zentrum in Berlin an spektakulärem Gut. Da kommt eine ganze Menge zusammen.
"Die haben gar keinen schlechten Deal gemacht"
Schwarz: Tatsache ist ja: Die jüdischen Kunsthändler haben einen relativ schlechten Deal damals, 1935, mit dem preußischen Staat gemacht. Da fragt man sich ja: Warum haben sie das getan? Mussten die damals verkaufen, oder wurden sie unter Druck gesetzt? Haben Sie dazu eine Meinung?
Raue: Da habe ich eine feste Meinung dazu. Die haben gar keinen schlechten Deal gemacht, sondern das war eine Käufergemeinschaft aus vier verschiedenen Kunsthändlern, die diesen Welfenschatz von dem Welfenhaus, also den Hannoveranern, erworben haben für rund sechs Millionen Mark damals. Sie haben sich einen großen Gewinn davon erhofft, der schien auch zu kommen. Dann kam die Weltwirtschaftskrise und keiner hatte mehr Geld, das zu kaufen.
Dann hat der preußische Staat Interesse gezeigt an diesem Schatz, dann wurde verhandelt, dann haben die Kunsthändler verlangt, dass sie, ganz grob gesagt, 4,7 Millionen dafür bekommen, und 4,5 Millionen haben sie bekommen. Der Schatz war nicht in Deutschland, der war im Ausland. Die Erwerbung ist mit freiem Handel durchgeführt worden. Die Kunsthändler waren wahrscheinlich heil froh, dass sie knapp an der Katastrophe vorbei gekommen sind, denn es hätte weltweit damals keinen anderen Käufer gegeben. Seit 1949 wird der Welfenschatz hier ausgestellt. Im Jahr 2008 kommt man und sagt, das sei ein verfolgungsbedingter Verlust von Vermögen. Das ist schon ein starker Tobak.
Schwarz: Das heißt, Sie stehen da nicht dahinter?
"Kein Restitutionsfall"
Raue: Ich stehe gar nicht dahinter. Und es ist deswegen ja auch erstaunlich: Der Gegner sozusagen oder derjenige, der die Sache herausgeben soll, ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die nun geradezu mustergültig restituiert haben. Wenn irgendwas an einer Forderung dran war, dann hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mehr als alle anderen in Deutschland restituiert. Das ist aus meiner Sicht und festen Überzeugung kein Restitutionsfall.
Schwarz: Die Limbach-Kommission kann ja nur eine Empfehlung aussprechen. Wenn sie es denn heute tut, kann es sein, dass sich die Berliner Museen einer entsprechenden Empfehlung auch entziehen würden?
Raue: Das kann ich nicht beurteilen. Es ist in der Tat ja nur eine Empfehlung, die die Limbach-Kommission ausspricht, die ja keine wirklich exakt juristische Prüfung übernimmt. Frau Limbach, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, ist die einzige aktive Juristin in diesem Kreise. Ich kann mir erstens nicht vorstellen, dass die Limbach-Kommission eine Rückgabeempfehlung gibt, und ich habe wirklich keine Ahnung, wie die Preußen darauf reagieren würden.
Schwarz: Nun hat sich ja von israelischer Seite zwar nicht die Jewish Claims Conference eingeschaltet, aber immerhin ja doch die israelische Kulturministerin. Kann man sich diesem moralischen Druck überhaupt entziehen?
Raue:Das glaube ich ja. Ich bin wirklich sensibel auf dem Gebiet der Restitution und glaube, dass das, was den jüdischen Familien damals geraubt und vorenthalten wurde, ihnen zurückgegeben werden muss. Das ist einfach kein Fall. Hier haben Menschen im Ausland, in der freien Wirtschaft mit diesem Schatz spekuliert, sich verspekuliert, und da kann man nicht 80 Jahre später sagen, jetzt wollen wir an den 100 Millionen beteiligt werden. Ich nehme an, dass die israelische Kultusministerin den Fall einfach nicht kennt. Sonst hätte sie so was nicht sagen können und dürfen.
Schwarz: Klare Aussage! Die Limbach-Kommission berät heute darüber, ob der sogenannte Welfenschatz NS-Raubgut ist. Peter Raue, danke Ihnen für das Gespräch.
Raue: Ich danke Ihnen.
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