"Ein bisschen größenwahnsinnig"
Durch den Ableger der erfolgreichen Kunstmesse Art Basel in Miami Beach hat die Millionenmetropole eine kulturelle Explosion erlebt. Immer mehr Museen eröffnen, Privatsammlungen werden zugänglich gemacht, das Design District ausgebaut - wächst hier ein Boom zu einer Blase heran?
Morgens am Strand von Miami Beach. Abends in einem großen Zelt. So wenig diese Welten in einer Stadt miteinander verbindet, so ähnlich ist die Geräuschkulisse.
Es sind tausende von Galeristen, Sammlern, Neugierigen, die jedes Jahr Anfang Dezember kommen. Seit 14 Jahren. Mit einem verblüffend nachhaltigen Erfolg, sagt Jennifer Rubell, deren Familie ihre private Kunstsammlung öffentlich zugänglich gemacht hat. In einem klimakalten ehemaligen Drogenasservat der Bundespolizei aus den Zeiten von "Miami Vice".
"Miami hat in den letzten 15 Jahren eine kulturelle Explosion erlebt. Von einem Ferienort und einem Seniorenwohnsitz zu einem Zentrum der amerikanischen Kultur. Das haben gemeinnützige Einrichtungen möglich gemacht und viele Privatleute, die ihre Kunstsammlungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht haben. Und bedeutende Künstler, die in Miami groß geworden sind. Ein Wunder. Ein Ort, der nicht mehr als ein Strandparadies hätte sein sollen ist ein Nabel der Kultur geworden."
Die Entwicklung verläuft so rasant wie der Bauboom in der Region, der nur kurzfristig von der Finanzkrise vor sieben Jahren unterbrochen wurde. Es ist, als ob Geld gar keine Rolle spielen würde. Seien es reiche Investoren aus Mittel- und Südamerika, seien es Ortsansässige wie der Bauunternehmer Jorge Perez. Dessen Perez Art Museum wurde vor zwei Jahren fertiggestellt. Entworfen vom Schweizer Architektenteam Herzog und de Meuron.
Das war nur ein erstes Signal. Vor einem Jahr kam das Institute for Contemporary Art – kurz ICA – dazu, das demnächst in einen einem Neubau neben ein anderes Privatmuseum, die De la Cruz Collection, einzieht.
"Miami entwickelt sich extrem schnell und aggressiv"
Was andere längst als Übersättigung empfinden würden, betrachtet man im ICA nur als Teil einer Rastlosigkeit, die zu einer Stadt wie Miami passt, sagt Chefkurator Alex Gartenfeld:
"Keine Stadt in der westlichen Hemisphäre wird lange existieren können ohne eine lebendige Kunstszene. Miami entwickelt sich extrem schnell und aggressiv. Auch was die Museen und Privatsammlungen angeht. Das ist ehrgeiziger als woanders. Aber es passt zum Charakter der Stadt. Sie ist nun mal grell."
Kunstmuseum als Statusobjekt. Das bedeutet auch: Jede neue eröffnete Sammlung soll die vorherige möglichst übertreffen. Und das nicht nur mit der Fassade. Die wirkt im Fall des Kunstforums der argentinischen Familie Faena gleich neben deren neuen Luxushotel, eher unaufgeregt. Eine perforierte Betonhaut aus geschwungenen Linien, die so aussieht, als ob sie die zwei Bauelemente – einen Würfel und einen Zylinder – gleichsam zusammenhält.
Ximena Caminos, die künstlerische Leiterin der Faena Group, gibt ohne weiteres zu, dass die Art Basel als Inspirator und Katalysator auch hier eine Rolle gespielt hat.
"Art Basel Miami Beach hat Menschen nach Miami gebracht, die sonst nicht gekommen wären. Was wir bei Faena tun müssen, ist diese Energie aufs ganze Jahr über verteilen. Wenn die Künstler weg sind, fehlt einem etwas. Nicht das Chaos und der grauenhafte Verkehr. Aber dass man nicht mehr in diese faszinierenden Leute hineinläuft."
Tourismus - unabhängig von der Kunstmesse
Jedoch macht sich kaum jemand Gedanken, ob die ganz erhebliche Kapazität an neuen Schau-Plätzen nicht irgendwann in ihr Gegenteil kippen könnte. Dass die Blase platzt.
Die Kulturjournalistin Liz Tracy ist in der Stadt aufgewachsen und gehört zu den wenigen Skeptikern:
"Es wirkt alles ein bisschen größenwahnsinnig. Die Stadt glaubt, dass genug Leute in dieser verrückten Mall im Design District einkaufen und drei Museen mit zeitgenössischer Kunst besuchen, keine 15 Kilometer voneinander entfernt. Ja, es kommen Touristen. Aber die meisten wollen nur in der Sonne liegen und braun werden."
Diesen Touristen wird egal sein, ob die Kunstmesse bleibt oder eines Tages wie ein Wanderzirkus die Zelte abbricht und weiterzieht. Doch wäre das so schlimm? Liz Tracy:
"Wir könnten das vielleicht auch ohne Touristen hinkriegen. Aber das will keiner. Warum auch? Das stützt uns doch: das Geld, das da hereinkommt. Der andere Blick auf die Dinge."
Den roten Teppich wird man der Messe auch weiterhin ausrollen. Sobald sie vorbei ist, beginnt der Ausbau und eine dringend notwendige Renovierung des Konferenzzentrums von Miami Beach. Das Projekt kostet mehr als 600 Millionen Dollar - das Geld ist da.