Kunst aus dem Kabuff
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Fast jede Galerie hat auf der größten deutschen Kunstmesse Art Cologne einen kleinen Lagerraum. Darin verschwinden immer wieder Galeristen und Sammler. Wird dort das große Geld gemacht?
"Nur ein paar Orgien, sonst nichts", sagt eine Sammlerin. Ihr Mann ergänzt: "Die Orgien kommen immer erst ab 14 Uhr." Sie lachen. Das sichtlich gut gelaunte, distinguierte Sammlerpaar kommt aus Bayern, mehr wollen sie nicht verraten. Und es kommt aus dem kleinen Hinterzimmerlagerraum der Zürcher Topgalerie Hauser & Wirth. Offenbar wurde dort erst verhandelt, dann erfolgreich gehandelt.
"Eine spezielle Künstlerin", erklärt der Sammler, "von der ich schon eine Arbeit habe. Ich wollte eben noch eine zweite und die haben wir jetzt dazu genommen in die Sammlung. Phyllida Barlow kennt in Deutschland nicht jeder – alte Dame, Künstlerin von Hauser & Wirth, deswegen waren wir dadrin."
"Sehr oft sind die Aussteller schon im Vorfeld im Kontakt mit Sammlern", betont Daniel Hug, Direktor der Art Cologne, "und sie schicken Bilder und Sammler reservieren eine Arbeit und wollen noch die Augen auf das physische Werk werfen. Sehr oft hat man das Bild im Lager, dann guckt der Sammler drauf und sagt Ja oder Nein."
Bei Hauser & Wirth aus Zürich jedenfalls wurde im kleinen Hinterzimmer das Jawort gegeben. Komisch, ausgerechnet dort, wo man als Sammler wenig gesehen wird.
Kabuffs geben der Präsentation Tiefe
"Interessanterweise ist es wirklich so, dass wir die meisten Sachen immer aus diesem Kabuff heraus verkaufen", sagt der Düsseldorfer Galerist Rupert Pfab. "Deswegen machen wir immer so eine kleine Präsentation. Warum das so ist, weiß ich auch nicht. Ich vermute, dass die Sammler sich etwas ungestörter fühlen, etwas unbeobachteter. Man kann die Tür zu machen und man entdeckt noch eine ganze Reihe von Künstlern, die man draußen nicht zeigen kann. Deswegen lege ich immer Wert darauf, dass wir ein kleines Kabuff bauen."
Stefan Berg war schon in vielen solchen kleinen Räumen. Kein Wunder, er leitet das große Kunstmuseum Bonn und sieht hier einen ganz inhaltlichen Grund: "In den kleinen Kabuffs sind die Arbeiten, mit denen man ergänzend zur Messepräsentation weiteres Material zeigen kann, um eine gewisse Tiefe in der Präsentation des jeweiligen Künstlers, der Künstlerin herzustellen. Ich hab noch nie das Gefühl gehabt, dass man nicht sofort in dieses Kabuff herein darf, das ist nicht Blaubarts achte Kammer oder der Heilige Gral."
Ganz anders und unnachahmlich nüchtern sieht es Harald Falckenberg aus Hamburg, einer der wichtigsten deutschen Sammler: "Da passiert eigentlich gar nichts, da liegt Ersatzware. Und wenn man den gut kennt, fragt man: ‚Hast Du noch was Interessantes im Kabuff?‘ und dann geht der Galerist mit dir rein. Es gibt so viel schlechte Kunst und so viele schlechte Sammler, die räumen erst mal alles, was schlecht ist, ab. Das Gute bleibt dann erst mal liegen. Und wenn man an den letzten Tagen kommt, hat das den Vorteil, dass viele Leute schon 'gute Arbeit' geleistet haben, und dann hat er auch Zeit, einen in den Hinterraum zu führen, wo er was ganz Besonderes hat."
Die "Evolution Door" wird nur auf Auftrag aufgemacht
Aber – ganz im Ernst – geht es denn hier nur ums Geschäft? Werden denn die Champagnerflaschen, die die Messeleitung jeder Galerie vorbeibringen lässt, geköpft, wird nicht im Kabuff der rationale Raum verlassen, um das Dionysische zu feiern? "Nee, da gibt es keinen Alkohol", betont Harald Falckenberg, "könnte man vielleicht einrichten, aber heute ist der erste Tag, die wollen alle möglichst viel verkaufen".
Wohin der Galerist Rupert Pfab schon anderes gehört hat: "Man munkelt, dass bei holländischen Galerien schon das ein oder andere in dem Kabuff zu sich genommen wird, was vielleicht die Sinne erweitern könnte."
Darüber kann die Grazer Galeristin Petra Schilcher am Stand ihrer Galerie Artelier Contemporary nur lachen: "Ich habe kein Kabuff, in dem man sich auch nur aufhalten würde. Kein Alkohol, na der Alkohol, den trinken wir dann am Stand." Nicht hinter der Tür findet für Schilcher das Entscheidende statt, sondern vor der Tür.
Vor dieser Kabufftür, die nämlich selbst Kunst ist, ein kinetisches Objekt: Zwei golden glänzende Spiegel bilden eine sogenannte Drehplattentür. Zieht man sie zur Seite, schieben sich bewegliche Flächen wie ein magisches geometrisches Spiel auseinander, ein genialer Mechanismus, eine grandiose ästhetische Kabufferfahrung. "Evolution Door" so heißt dieses Kunstwerk von Klemens Torggler, ein österreichischer Künstler, der diese Tür entwickelt hat. "Diese Türen", so die Galeristin, "werden nur auf Auftrag gemacht und kosten netto 45.000 Euro. Ist alles handgemacht und eigens für diese Messe hergestellt."