Kunstmuseen - die neuen Andachtsräume
Der Zeitgeist der Erlebnisgesellschaft hat sich bei den Museen längst eingenistet. Sie haben sich von Tempeln der Kultur in Freizeit-Stätten umgewandelt. Damit ihre Häuser voll sind und die Kasse stimmt, haben die Museen das klassische Schema der kontemplativen Kunstbetrachtung popularisiert, das heißt: mit "Action" angereichert.
Dann begibt sich der Großstädter am Sonntagvormittag gerne zur Kunst-Show ins Museum. Und selbst wenn lediglich Bestand gezeigt wird, sind die Kunst-Häuser an Wochenenden Erlebnisorte und in der Regel nicht schlecht besucht. Die christlichen Kirchen bleiben meistens leer, sie haben anscheinend zu wenig zu bieten. Nur noch zu hohen Feiertagen sind sie brechend voll: in unserer säkularisierten Gesellschaft bleiben Weihnachten, Ostern, Pfingsten die traditionellen Anlässe, die es erlauben, in christlicher Gemeinschaft den Erlebnis-Hunger nach einem geradezu sentimentalen Zusammenrücken zu stillen.
Mit populärer "Action" werden in vielen Museen auch schon die Kleinsten angefüttert. Das British Museum in London lud vor kurzem Kinder ein, in den altehrwürdigen Hallen zwischen ägyptischen Särgen und griechischen Statuen zu übernachten. Im gruseligen Dämmerlicht, schöner als bei Harry Potter, kampierten die Kinder in ihren Schlafsäcken und sprachen am nächsten Tag begeistert davon, dass sie nun Ägyptologie studieren, zumindest aber häufig ins Museum gehen wollten. Vermutlich werden auch deutsche Museen bald dergestalt um den Besucher-Nachwuchs werben oder sogar noch eins draufsetzen. Wie wäre es, wenn die "Lange Nacht der Museen", mittlerweile Standard in etwa einem Dutzend Städten, bis in den Morgen verlängert würde? Für die Ausgabe von Decken und Liegen fänden sich doch gewiss Sponsoren und das bizarre Schlaferlebnis (unter üppigen Rubensgestalten oder zwischen Schadow-Skulpturen) sicherte bestimmt die erwünschte Aufmerksamkeit in den Medien.
Der Massenandrang bei gut vermarkteten Sonder-Ausstellungen bestätigt, dass die Kunstmuseen richtig liegen, wenn sie den Erlebnis-Hunger mit "Events" befriedigen. Die große Tutanchamun-Schau, bis vor wenigen Tagen in Bonn, wurde von rund 800.000 Menschen bewundert. Die Moma-Ausstellung in Berlin im vergangenen Jahr brach mit 1,2 Millionen Besuchern alle Rekorde. Und sogar die schwierig-sperrigen Exponate der Flick-Collection sahen rund 250.000 Besucher.
Was treibt die große Masse in solche Ausstellungen? Das Drumherum mit seinem hohen Erlebniswert hat natürlich eine erhebliche Attraktivität: Beispielsweise der Kick des Schlangestehens schon im kühlen Morgengrauen mit Gleichgesinnten, und überhaupt: das erhebende Wissen, bei einem außergewöhnlichen Event dabei sein zu können.
Aber die Kunstmuseen sind auch ein Andachtsraum. Jenseits ihrer Jagd nach "Events", und verstärkt nach dem 11. September 2001, suchen die Menschen vor klassisch-schönen wie vor provokativen Kunstwerken einen Sinnersatz, Erklärungsmuster, die sie früher in der Kirche fanden. Man muss nur gesehen haben, wie sich die Besucher in der Moma-Ausstellung vor Gemälden, wie zum Beispiel Monets "Seerosen" still versunken, ja, andächtig drängten.
Seit 1970 wuchs in Deutschland die Zahl der staatlichen und privaten, der großen und kleinen Museen von 2000 auf 6000. Gleichzeitig ist die Zahl der christlichen Gotteshäuser gesunken: um wieviel, will niemand so genau sagen. Kirchengebäude wurden in Kunstgalerien, Wohnungen, Kneipen oder, wie jetzt in Berlin-Gatow, in einen Lebensmittelladen umgewandelt, weil die Kirchgänger ausblieben. Auch Rockmusik oder eine gemeinschaftliche Speisung nach dem Gottesdienst haben die Kirchen nicht füllen können. Die Anpassung an die allgegenwärtige Eventkultur, die vor allem die protestantische Kirche unternahm, hat offenbar nicht viel bewirkt. Ob die große Anteilnahme am Tod des Papstes und an der Wahl von Benedikt XVI. ein Bedürfnis nach Transzendenz signalisiert oder doch nur Eventcharakter hat, wird sich wohl erst in der nächsten Generation zeigen. Bis auf weiteres jedenfalls sind die Kirchen leer - und die Museen überlaufen.
Marianne Theil, Journalistin, langjährige Korrespondentin für verschiedene Medien in Bonn, Wechsel in die Wirtschaftsredaktion des WDR Köln (Hörfunk), für WDR /ARD Korrespondentin in Brüssel, Washington D.C. und Berlin, jetzt freie Journalistin in Berlin.
Mit populärer "Action" werden in vielen Museen auch schon die Kleinsten angefüttert. Das British Museum in London lud vor kurzem Kinder ein, in den altehrwürdigen Hallen zwischen ägyptischen Särgen und griechischen Statuen zu übernachten. Im gruseligen Dämmerlicht, schöner als bei Harry Potter, kampierten die Kinder in ihren Schlafsäcken und sprachen am nächsten Tag begeistert davon, dass sie nun Ägyptologie studieren, zumindest aber häufig ins Museum gehen wollten. Vermutlich werden auch deutsche Museen bald dergestalt um den Besucher-Nachwuchs werben oder sogar noch eins draufsetzen. Wie wäre es, wenn die "Lange Nacht der Museen", mittlerweile Standard in etwa einem Dutzend Städten, bis in den Morgen verlängert würde? Für die Ausgabe von Decken und Liegen fänden sich doch gewiss Sponsoren und das bizarre Schlaferlebnis (unter üppigen Rubensgestalten oder zwischen Schadow-Skulpturen) sicherte bestimmt die erwünschte Aufmerksamkeit in den Medien.
Der Massenandrang bei gut vermarkteten Sonder-Ausstellungen bestätigt, dass die Kunstmuseen richtig liegen, wenn sie den Erlebnis-Hunger mit "Events" befriedigen. Die große Tutanchamun-Schau, bis vor wenigen Tagen in Bonn, wurde von rund 800.000 Menschen bewundert. Die Moma-Ausstellung in Berlin im vergangenen Jahr brach mit 1,2 Millionen Besuchern alle Rekorde. Und sogar die schwierig-sperrigen Exponate der Flick-Collection sahen rund 250.000 Besucher.
Was treibt die große Masse in solche Ausstellungen? Das Drumherum mit seinem hohen Erlebniswert hat natürlich eine erhebliche Attraktivität: Beispielsweise der Kick des Schlangestehens schon im kühlen Morgengrauen mit Gleichgesinnten, und überhaupt: das erhebende Wissen, bei einem außergewöhnlichen Event dabei sein zu können.
Aber die Kunstmuseen sind auch ein Andachtsraum. Jenseits ihrer Jagd nach "Events", und verstärkt nach dem 11. September 2001, suchen die Menschen vor klassisch-schönen wie vor provokativen Kunstwerken einen Sinnersatz, Erklärungsmuster, die sie früher in der Kirche fanden. Man muss nur gesehen haben, wie sich die Besucher in der Moma-Ausstellung vor Gemälden, wie zum Beispiel Monets "Seerosen" still versunken, ja, andächtig drängten.
Seit 1970 wuchs in Deutschland die Zahl der staatlichen und privaten, der großen und kleinen Museen von 2000 auf 6000. Gleichzeitig ist die Zahl der christlichen Gotteshäuser gesunken: um wieviel, will niemand so genau sagen. Kirchengebäude wurden in Kunstgalerien, Wohnungen, Kneipen oder, wie jetzt in Berlin-Gatow, in einen Lebensmittelladen umgewandelt, weil die Kirchgänger ausblieben. Auch Rockmusik oder eine gemeinschaftliche Speisung nach dem Gottesdienst haben die Kirchen nicht füllen können. Die Anpassung an die allgegenwärtige Eventkultur, die vor allem die protestantische Kirche unternahm, hat offenbar nicht viel bewirkt. Ob die große Anteilnahme am Tod des Papstes und an der Wahl von Benedikt XVI. ein Bedürfnis nach Transzendenz signalisiert oder doch nur Eventcharakter hat, wird sich wohl erst in der nächsten Generation zeigen. Bis auf weiteres jedenfalls sind die Kirchen leer - und die Museen überlaufen.
Marianne Theil, Journalistin, langjährige Korrespondentin für verschiedene Medien in Bonn, Wechsel in die Wirtschaftsredaktion des WDR Köln (Hörfunk), für WDR /ARD Korrespondentin in Brüssel, Washington D.C. und Berlin, jetzt freie Journalistin in Berlin.