Steffen Schleiermacher, Klavier und Moderation
Bernd Braun, Sprecher
En passant – musikalisches Flanieren
Lichter der Großstadt, nasser Asphalt und viele Menschen. In Gruppen die einen, vereinzelt die anderen, jeder auf seinem Weg. Dem Flaneur, der zum „Auge der Stadt“ wird, widmet das Kunstmuseum Bonn eine Ausstellung. Das Galeriekonzert unternimmt dazu einen musikalischen Streifzug.
Großstadtszenen mit belebten Boulevards und Plätzen gehören zu den wichtigsten Motiven der Malerei im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Immer wieder griffen sowohl impressionistische als auch expressionistische Künstler in ihren Gemälden einzelne Figuren heraus, hoben Flaneure gleichsam mit dem Scheinwerfer aus der Menge hervor. Das Kunstmuseum Bonn zeigt gegenwärtig solche Motive in seiner Ausstellung "Der Flaneur".
Im Vorüberstreifen
Gleichzeitig wurde der ziellos treibende Flaneur zu einer Hauptfigur der literarischen Moderne: "Verborgen dir mein Weg und mir, wohin du musst / O du, die mir bestimmt, o du, die es gewusst!" Mit diesen Worten sann der französische Lyriker Charles Baudelaire (hier in der Nachdichtung Walter Benjamins) Mitte des 19. Jahrhunderts einer unbekannten Schönheit nach, die er auf der Straße gesehen hatte.
Und die Brüder Goncourt sekundierten: "Nichts lebt für mich, nur das, was im Vorüberstreifen meine Seele anrührt, das Kleid einer Frau…"
Was hören Flaneure?
Das Kunstmuseum Bonn mit seiner Sammlung expressionistischer Meisterwerke widmet dem Flaneur eine Ausstellung mit Gemälden von Camille Pissarro, August Macke, Ernst Ludwig Kirchner und anderen Künstlern bis hin zur Gegenwart.
Doch welche Rolle spielt Flanieren eigentlich in der Musik? Hören Flaneure überhaupt zu? Flanieren Komponisten? Gibt es Flanier-Musik, die einer Straßenszene von August Macke oder einem Gedicht von Charles Baudelaire ebenbürtig wäre?
Das Notenheft als Stadtplan
Der Pianist und Komponist Steffen Schleiermacher begibt sich auf einen Streifzug durch Werke von Mussorgskij bis Boulez. Modest Mussorgskij, der das urbane Dahinschlendern als Form des Kunstgenusses in seinen "Bildern einer Ausstellung" komponiert; Pierre Boulez, der die Interpreten seiner Dritten Klaviersonate zum Flaneuren des Notentextes macht: "Ich habe das Werk oft mit einem Stadtplan verglichen: Man kann diesen Plan nicht ändern, man nimmt die Stadt so, wie sie ist, aber man hat verschiedene Möglichkeiten, sie zu durchstreifen, verschiedene Möglichkeiten, sie zu besichtigen."
Angereichert wird dieser musikalische Spaziergang um eine von Bernd Braun vorgetragene Auslese unterschiedlichster Texte über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Flanierens – von Friedrich Engels‘ Londoner Beobachtung, dass die Menschen "aneinander vorüber rennen, als ob sie gar Nichts gemein, gar Nichts miteinander zu thun hätten" bis zu Walter Benjamins Pariser Notiz, die Straße werde "zur Wohnung für den Flaneur".
Aufzeichnung des Konzertes vom 7. November 2018 im Kunstmuseum Bonn
Modest Mussorgskij
"Promenade" aus: "Bilder einer Ausstellung"
"Promenade" aus: "Bilder einer Ausstellung"
Francis Poulenc
Vier Stücke aus: "Promenades"
Vier Stücke aus: "Promenades"
Arthur Lourié
"Spaziergang" aus: "Tagesordnung"
"Spaziergang" aus: "Tagesordnung"
Federico Mompou
"Suburbis"
"Suburbis"
Steffen Schleiermacher
"Klungkung"
"Klungkung"
Pierre Boulez
"formant 3: constellation-miroir" aus: Sonate für Klavier Nr. 3
"formant 3: constellation-miroir" aus: Sonate für Klavier Nr. 3
Erik Satie
"Sports et Divertissements"
"Sports et Divertissements"
Texte von Charles Baudelaire, Walter Benjamin, Nikolai Gogol, Fernando Pessoa u.a.