Jazz als Soundtrack der Befreiung
Der Jazz ist archaisch und modern zugleich - und hat nicht nur Musiker im 20. Jahrhundert beeinflusst. In Stuttgart hat nun eine Ausstellung über die Wechselwirkungen zwischen Jazz und bildender Kunst eröffnet. Eine Schau, in der man die Herbstferien verbringen kann.
"I got rhythm", singt Louis Armstrong, es ist die Begleitmusik zu einem Bild des afroamerikanischen Malers Earnie Barnes: "Study: History Of Jazz" und der Besucher kann sich die passende Musik auf den Kopfhörer ziehen.
"Die Grundidee der Ausstellung 'I got rhythm - Kunst und Jazz seit 1920' war das Großstadt-Tryptichon von Otto Dix, das unserem Haus gehört, es ist das wichtigste Bild von Otto Dix, das Bild, in dem das Jazz-Zeitalter aus deutscher Perspektive festgehalten ist. Ausgehend von diesem Bild war die Idee, zu kontextualisieren, wie Jazz auch andere Künstlerinnen und Künstler begeistert hat im 20. Jahrhundert."
Sagt Sven Beckstette, Kurator der Stuttgarter Ausstellung, die auf drei Etagen Arbeiten aus hundert Jahren versammelt. Wie viele Künstler hat Otto Dix in den 20er-Jahren den Jazz nicht nur gemalt, er war auch Fan und begeisterter Jazztänzer.
"Ich glaube, dass der Jazz deswegen bei den Künstlern so viel Erfolg hatte, weil er beides im damaligen Sinne verkörpert hat: sowohl das primitiv Ursprüngliche als auch das Moderne. Der Jazz war halt die Musik dieses Maschinenzeitalters."
Die Ausstellung erzählt von der plötzlichen Beschleunigung im Maschinenzeitalter, vom Rhythmus der neuen Musik und von ihren Freiheitsversprechen. Jazz ist der Soundtrack zur Befreiung der Körper.
"Weil er als Sinnbild der Freiheit galt, hat der Jazz entsprechende Ablehnung bei den Nationalsozialisten hervorgerufen. Da galt Jazz wie Zwölftonmusik und moderne Musik als entartet. Auch das wollen wir in der Ausstellung zeigen, dass einerseits Jazz als jüdisch diffamiert wurde, was natürlich zeigt, wie verquer die Rassenideologie der Nazis war."
Abstrakte Malerei wird zum Bebop der Kunst
Gezeigt wird das mit "entarteter Musik". Nach der sogenannten "entarteten Kunst" nehmen die Nazis den Jazz ins Visier:
"Auf dem Schutzumschlag der Schrift zur entarteten Musik sieht man einen Afroamerikaner, der deutlich negroide Züge trägt mit allen Negerklischees, die man sich vorstellen kann, also dicke Lippen, ein Saxofon als Inbegriff der Jazzmusik zwischen den Lippen. Der trägt aber gleichzeitig, was besonders auffallend ist, einen Judenstern, weil nach der Rassenideologie der Nazis sowohl die Juden als auch die Afrikaner Wüstenvölker waren, also niedrige Völker und das war die Verbindung, die die Nazis zwischen dem Judentum und afroamerikanischer Kultur gesehen haben."
Die Verbindungen zwischen Kunst und Jazz zeigt die Ausstellung auf mannigfache Weise. Abstrakte Malerei wird zum Bebop der Kunst. Maler malen Musiker, Musiker wie Coleman Hawkins nennen ihre Songs "Picasso" oder "Dali". Oder Maler hören Jazz beim Malen und Jazzer nehmen Gemälde als Plattencover.
Nicht immer funktioniert die Liaison zwischen Kunst und Jazz wie im Bilderbuch. Nehmen wir Ornette Coleman.
"Auf seinem bahnbrechenden Album 'Free Jazz', das der neuen Musik den Namen gab, befindet sich ein Bild von Jackson Pollock, weil er Ähnlichkeiten zu den Strukturen seiner Musik gesehen hat."
Die Tropfbilder von Jackson Pollock als Sinnbild des Free Jazz, so denkt Ornette Coleman. Und tatsächlich hört Jackson Pollock beim Malen unentwegt Jazz, aber:
"Pollock hat Jazz gehört, das stimmt, aber er hat in den 40ern vor allem Swing gehört, die große Tanzmusik der 30er- und frühen 40er-Jahre. Zu dem Zeitpunkt gab es ja schon Bebop, die progressivere Jazz-Musik, aber er hat dezidiert Swing gehört und hat den Jazz und seine Malerei als die genuin amerikanische Kunstform gesehen."
Coleman und Coltrane, Armstrong und Mingus, Dali und Picasso, die Geschichte von Kunst und Jazz seit 1920 ist eine Männergeschichte. Aber:
"Josephine Baker ist die Hauptfigur unserer Ausstellung, weil sich an ihr exemplarisch zeigen lässt, warum die Künstler so stark vom Jazz fasziniert waren. Denn Josephine Baker ist tatsächlich beides: ultramodern und ultraprimitiv."
Ein ganzer Raum ist Josephine Baker gewidmet. Er ist das Herzstück einer Ausstellung, in der man getrost die Herbstferien verbringen kann.