Das Spiegelbild in Bad Nummer 17
Ein Badezimmer nach dem anderen: In Gregor Schneiders "Neuerburgstraße 21" gehen die Besucher durch eine endlose Abfolge gleichartiger Räume. Allein. So wenig sich äußerlich tut, im Kopf passiert umso mehr, hat unsere Autorin erfahren.
Gregor Schneiders "Neuerburgstraße 21" ist der Hintereingang der Halle Kalk, einer ehemaligen Produktionshalle, die schon seit 20 Jahren dem Schauspiel Köln als rechtsrheinische Spielstätte dient. Dort wird man kurz eingewiesen und dann allein gelassen. Besucher für Besucher. Eine junge Frau kehrt umgehend um und bleibt dann doch draußen.
Dann stehe ich selbst im Dunkeln. Nur tastend kann ich mich an weichen Wänden entlang ein paar Schritte vorwärts bewegen, um die Ecke herum, und dort sehe ich einen schwachen Lichtschein hinter einer Tür – Rahmen und Schlüsselloch leuchten mir verhalten entgegen, als warte hinter dieser Tür eine Erkenntnis.
Stattdessen: ein kahles Badezimmer wie in einem Rohbau.
Graue Fliesen auf dem Boden, weiße Fliesen an der Wand, abwaschbare Tapete. Spiegel. Dusche. Kloanschluss. Ein Lichtschalter, den man zwar bedienen kann – aber das Licht bleibt trotzdem an. Durch eine zweite Tür geht es wieder hinaus, in den Gang, dort ist es so dunkel wie zuvor. Man tastet sich an den Wänden entlang, links der Notausgang. Rechts um die Ecke: wieder eine helle Tür, hinter der ein Lichtschimmer hervordringt. Dahinter ist: ein Badezimmer wie in einem Rohbau, alles wie gehabt. Kein Klo. Kein Waschbecken. Aber wieder die Dusche, die sich nicht öffnen lässt und in der es ganz leise langsam tropft. Hinter mir fällt die Tür zu. Und da die Türen auf der Seite hinter mir keine Klinken haben, bleiben sie in der Regel zu. (Manche kann man nur anlehnen und ein bisschen "schummeln".)
Auf der Schwelle zum dritten Bad stöhne ich leise auf. Das geht jetzt wohl die ganze Zeit so weiter, denke ich. Zum ersten Mal zähle ich die Fliesen. Ich will wissen, ob die Räume identisch sind. Im vierten Bad bemerke ich festgetretene Flusen auf dem Boden und Klebereste in der Steckdose. Abschürfungen an der Tapete. Als ich im fünften Bad bin, fällt irgendwo entfernt eine Tür zu. Im sechsten Bad sehe ich beim Rausgehen schwarze Fingerwischspuren über dem Lichtschalter. Im Gang dahinter höre ich andere Menschen hinter der Notausgangstür (denke ich). Ich höre jemanden hinter mir. Jemand verfolgt mich.
Wenn sich etwas entwickelt, dann in meinem Kopf
Im siebten Bad knirscht eine Fliese unter meinem Schuh, und ich versuche, sie mir zu merken. Im achten denke ich: Der Spiegel ist breiter. Nun zähle ich auch die Fliesen an der Wand unter dem Spiegel. Ich denke, ich sehe einen Schuhabdruck im Muster auf den Bodenfliesen. Vielleicht stimmt es. Im neunten Bad frage ich mich, ob sich in der Dusche was bewegt hat, und höre meine eigenen Schuhe überlaut knacken. Als ich gerade rausgehen will, kommt jemand hinter mir zur Tür herein. Paranoide Anwandlungen zu haben, schließt also tatsächlich nicht aus, wirklich "verfolgt" zu werden – war sicher nicht vorgesehen, ich gehe einfach zu langsam.
Es gibt immer nur diesen einen Weg: zur einen Tür rein, zur anderen Tür raus. Alle übrigen Türen sind Notausgänge. Oder? Im zehnten Bad werde ich müde. Ich hatte erst Schiss, dann eine Faszination, die Unterschiede zu finden. Jetzt bekomme ich weiche Knie. Es ist anstrengend, und ein Ende ist nicht abzusehen. Unberechenbare Ordnung. Von hier aus sieht es aus, als wuchere eine Wiederholung in den Raum hinein. Ab dem elften Bad fange ich an, die Räume in Gedanken mit Menschen zu "beleben". Ich denke an die Handwerker, die die Kitschen neben dem Lichtschalter hinterlassen haben. Ich fange später auch an, im Stillen vor mich hin zu spielen, kleine Szenen, denen ich meine eigene Erzählstruktur gebe: Hausbesichtigung, Hauskauf, Hausverkauf. Vater, Mutter, Kind, Nachbarn. Man hört sie: Sie schlagen ja ständig die Türen.
Ab Bad Nummer zwölf bin ich langsam genervt. Ich denke: Da bin ich wohl nicht alleine. Ich bilde mir ein, die anderen Türen schlagen auch lauter zu. Ich bekomme Hunger. Offensichtlich auch Hunger nach einer Dramaturgie, die eine Entwicklung vorschlägt. Ich möchte dringend, dass es weitergeht. Dass es eine Steigerung, ein Ereignis gibt. Dass etwas passiert, etwas Sinnvolles, das sich lesen und interpretieren lässt. Stattdessen laufe ich im Kreis, ganz offenbar: die Notausgänge immer links. Die Badezimmertüren immer rechts. Wenn sich hier etwas entwickelt, dann in meinem Kopf.
Im nächsten Bad werde ich orientierungslos und stumpf, ab dem übernächsten beginne ich, aus den Handwerkerspuren Zeichen zu lesen: Ich zähle die Kitschen. Vielleicht verraten sie mir, wie viele dieser Räume ich noch vor mir habe? Möglicherweise ein Code.... Ja, klar, denke ich ironisch zu mir selbst, natürlich... – Aber wieso nicht? Ich befinde mich doch im Theater! In der Kunst! Ich suche Symbole, Zeichen, eine Aussage: Sinn. Was ich finde, ist ein selbst geschaffenes Ritual: Zählen und Suchen. Das Raster und die Abweichung. Gregor Schneider spielt mit Wiederholung und Differenz.
Ein Komplex, in dem man sich verliert
Im siebzehnten Bad sehe ich mir intensiv mein Spiegelbild an und schlafe dabei fast ein. Mir fällt der Hell-Dunkel-Kontrast des Lichtes zwischen Räumen und Gängen auf. Ich gucke wieder nach den Schleifspuren und Kratzern und merke plötzlich, dass ich gar nicht mehr nach Unterschieden suche, sondern nach etwas Wiederkehrendem. Ich wünschte, ich käme endlich irgendwo an, dabei bin ich noch keine halbe Stunde unterwegs. Diese Sicherheit der ewigen Wiederholung ist trügerisch – es ist ja doch immer ein unbekannter Ort, eine große Unsicherheit, in die man sich hier mit jedem Schritt ein Stück weiter begibt.
Nach dem achtzehnten Raum muss ich aus Versehen einen Notausgang benutzt haben. Ich laufe ein bisschen wirr wohl hinter den Kulissen rum (auch interessant) und treffe eine zweite Frau, die auch ein bisschen wirr herumsucht. Später merke ich, das war noch nicht das Ende. Es geht noch weiter, und man darf die Anzahl der Räume hier auf keinen Fall verraten.
Am Ende tritt man auf den Hof hinaus. Vor der Halle Kalk ist ein großer Platz. Links ein Ämtergebäude, vorn und rechts Wohnhäuser. Auf dem Platz spielen Kinder. Man hörte sie schon leise im Gebäude. Nun öffnet sich buchstäblich der Raum, die ganze Akustik ändert sich, eine große Befreiung. Der Stoff in den dunklen Gängen dimmt die eigenen Geräusche, entfernte Schritte lassen sich nicht zuordnen, während das Türenschlagen und das verzerrte Echo in den Badezimmern mit den recht tiefen Decken auch keine soziale Selbstwahrnehmung erlaubt.
Gregor Schneider äußert sich dem Psychologisieren gegenüber skeptisch, aber natürlich wird hier auch die Psyche plastisch in ihren Winkeln, Rundungen und Auswüchsen. Plastisch werden Theorie, Ritual, Prozess, Wiederholung und Differenz, die Sehnsucht nach möglichst neuer Erkenntnis, nach Entwicklung in der Zeit und einer Art "Geschlossenheit" im Raum, die Notwendigkeit einer Resonanz zur Bestimmung von Außengrenzen und Bezügen, eines Überblicks über Form und System, wenn wir unsere Umgebung begreifen und handlungsmächtig bleiben wollen - ob zu ihrer Veränderung oder unserer Anpassung. Die Sehnsucht auch nach einer Materialität, die nicht "schluckt" und nicht zu viel nachgibt.
Da muss absolut kein Widerspruch sein zu Schattenwurf, zu Hebungen und Senkungen einer Skulptur, die sich erst mit der Zeit und im Raum für jeden gemäß seiner (Tast-)Wahrnehmung zusammensetzt. Gregor Schneider hat eigentlich kein Labyrinth gebaut, denn der Weg ist klar vorgezeichnet. Es ist eher ein Komplex, in dem man sich buchstäblich verliert.