Fluchtgeschichten in Packpapier
Was geht in Menschen vor, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen? In dem Kunstprojekt "Innere Stadt" dürfen sie über sich erzählen und Wünsche an ihre neue Heimat formulieren. Ihre Aussagen werden verpackt und ausgestellt.
"Kommt rein – Salam Aleikum. Setzt dich her. Du verstehst Deutsch? Ein bisschen? - Ja."
Eine Flüchtlingsunterkunft im Münchner Norden. Gelber Linoleum-Boden, nackte Wände. In der Mitte ein Tisch, darauf Getränke, eine Schale mit Keksen. Und rundherum: Menschen aus Syrien oder Afghanistan. Frauen, Männer, Kinder. Am Kopfende hat Johannes Volkmann Platz genommen.
"Im Moment sind es viele Flüchtlinge, die kommen, und es entsteht in dem Zusammenleben Angst, Vorsicht, wie geht man mit den neuen Menschen um? Und deshalb ist diese 'Innere Stadt' ein Kunstprojekt, wo wir versuchen, die Menschen zusammenzubringen."
"Was will und kann man mit der Kunst denn erreichen? Also wie kann man eine Kunst auch rausheben aus dem sogenannten Elfenbeinturm und es wirklich mit den Themen der Gesellschaft so koppeln, dass man ein Teil des gesellschaftlichen Diskurs wird, ganz konkret von Mensch zu Mensch, in Begegnungen. Wir wissen nicht, ob das zustande kommt, was ja Thema der 'Inneren Stadt' ist, also einen Begegnungsraum zu schaffen. Das sind eigentlich alles sehr riskante, offene Prozesse, die wiederum viel mit Mut und Freiräumen zu tun haben. Und das sind eben die Freiräume, die die Kunst schafft."
Ästhetik statt Sozialarbeit
Um diesen Begegnungs- und Freiraum der "Inneren Stadt" zu öffnen, hat Volkmann die "Fa. Zusammenkunst" gegründet, ein Forum für Menschen, die mit künstlerischen Mitteln gesellschaftswirksam werden möchten. In die Münchner Flüchtlingsunterkunft begleiten Volkmann die "Zusammenkünstlerinnen" Katrin Siebeck und Carola Ludwig.
"Ich hab mich auch mit dem Flüchtlingsthema auseinandergesetzt. Ich wollte auch ehrenamtlich was machen, und das kam mir sehr entgegen als Künstlerin, an einem Kunstprojekt mit zu arbeiten. Ich sag immer: Fragen stellen, schafft neue Erkenntnisse und Verständnis."
Volkmann: "Wir waren in verschiedenen Städten schon und haben überall die künstlerische Erfassung, dieses Projekt der Inneren Stadt, durchgeführt. Und jetzt hier ist die siebte Station. Ich finde jedes Projekt, das mit Refugees gemacht wird, einfach erst Mal gut. Es geht nicht um Sozialarbeit, sondern es spielt mit Ästhetik. Und eben auch mit anderen Spielregeln, also mit anderen Kriterien, wie in der sozialen Arbeit oder in der politischen Arbeit.
"Schwierig: Künstlerische Erfassung. Wenn ihr nach Deutschland kommt, müsst ihr erfasst werden: Stempel, Formular. Foto. Wer bist Du? Und wir als Künstler sagen, wir wollen euch, die ihr hier seid, auch erfassen, aber künstlerisch. Und die Idee ist, dass jeder von Euch erzählen kann, was er berichten will über sich. Über seine Person. Die Leute wissen nicht, wer ihr seid, und somit kann jeder ein sogenanntes Profilbild, also ein Bild, wo er im Text über sich berichten will, über sein Land, seine Flucht, seine Hobbys, etwas, was er den Deutschen sagen will."
Aus den Gesichtern der Flüchtlinge ist zunächst kaum herauszulesen, ob sie eher skeptisch sind, unsicher, was die Künstler von ihnen wollen. Oder aber erfreut, dass sich offenbar jemand für sie interessiert. Doch bald schon erfüllt eine geschäftige und auch gelöste Arbeitsatmosphäre den Raum.
Volkmann: "Dann könnt ihr euch hier Zettel nehmen und einfach Mal überlegen, was ihr berichten wollt. – Können wir nochmal das Beispiel sehen?"
Zwei Übersetzerinnen unterstützen die Zusammenkünstler im Gespräch mit den Flüchtlingen. Auch die Flüchtlingskinder sind eine große Hilfe, weil sie oft schon weit besser Deutsch sprechen als die Erwachsenen.
Volkmann: "Dann können wir das doch auch hier so aufschreiben: Weil in Syrien alles kaputt ist, würde ich gerne hier ein neues Leben beginnen. Kannst du das nochmal übersetzen, ob das auch das ist, was er sagen will? – Sollen wir das auch so schreiben? – Keine Schule! – Du warst nicht in der Schule? – Keine Schule! – Wir kommen schon zusammen. Das schaffen wir schon!"
Verständigung nicht ohne Schwierigkeiten
"Das schaffen wir schon!" Fast unweigerlich muss man da an Angela Merkels "Wir schaffen das!" denken. Doch erst im konkreten – hier künstlerischen – Handeln erweisen sich die Schwierigkeiten, die sich einstellen, wenn man auf Worte auch Taten folgen lassen soll. Herauszubekommen, was die Flüchtlinge wirklich erzählen wollen, was sie bewegt, ist durchaus knifflig. Nicht auszuschließen, dass diejenigen, die ihnen in bester Absicht zuhören, in die oft nur bruchstückhafte Übersetzung doch nur das hineininterpretieren, was dem Flüchtlingsbild in ihrem Kopf entspricht.
Ludwig: "Ja, also da sollte man sich frei machen. Erstmal bisschen eine Beziehung aufbauen! Was ist tatsächlich wichtig? Und den Menschen auch Zeit lassen. Abwarten, was da kommt. Und es war auch für mich eine Erfahrung, ich hatte auch erst Bedenken, wie machen wir das mit der Sprache, ja? Und dann ging das irgendwie ziemlich leicht, weil die haben sich untereinander geholfen und haben uns auch bei den Übersetzungen unterstützt, die Flüchtlinge. Manche können dann eben auch schon mehr Deutsch, die anderen weniger. Die Kinder sind dann auch dazugekommen, haben ihren Eltern geholfen bei der Übersetzung. Das hat mir besonders gut gefallen, bei der künstlerischen Erfassung. Das ist auch ein Experimentieren und ein Improvisieren."
Volkmann: "Für mich selber sind die beglückendsten künstlerischen Erfassungen da gewesen, wo richtig Zeit da war. Also eine Stunde sich mit einem hinzusetzen, einfach Mal zuzuhören, wenn der- oder diejenige das will und daraus dann filtern, Mensch, was willst du jetzt daraus eigentlich aufschreiben. Und so ist es wie bei jedem Menschen unterschiedlich, die einen kommen auch und sagen, das und das will ich schreiben, oder ich hab nicht so viel Zeit und hab da noch einen Sprachkurs. Und andere haben ein anderes Mitteilungsbedürfnis. Und so ist das einfach unterschiedlich, von Mensch zu Mensch wie überall."
Während drinnen in der Unterkunft die künstlerische Erfassung weitergeht, bereitet Johannes Volkmann draußen die Profiltafeln vor. Die Texte der Flüchtlinge werden nämlich nicht einfach auf Plakate geschrieben, sondern auf große Pappplatten, auf die Volkmann mit Sprühkleber weiße waagrechte Streifen appliziert.
"Da ist ein bisschen wenig Kleber drauf. Das ist jetzt ein bisschen ein breiterer Streifen. Also es sind Mal breite und Mal schmale Streifen."
In unregelmäßigen Abständen auf die Papptafel geklebt fügen sich die Streifen zu einer Struktur, die an eine Barcode erinnert.
Volkmann: "So, und das ist die Grundlage dann, da kommt zwischen die Zeilen dann der Text von jedem einzelnen rein."
Der Barcode symbolisiert die offizielle Erfassung, die Registrierung. Das aber, was die künstlerische Erfassung erbracht hat – das ganz persönliche Profil jedes einzelnen geflohenen Menschen jenseits der nüchternen Fakten – wird später handschriftlich mit Filzstift in die Leerzeilen eingetragen, die der Strichcode lässt. Name, Alter, Geschlecht, Herkunft, Zeitpunkt der Ankunft in Deutschland, dazu als kleiner Gag die Schuhgröße sowie die Klassifizierung "Weltbürger" finden aber ebenfalls Platz auf der Tafel. Sie werden in blauer Farbe an den Rand gestempelt.
Sadena: "Ich 28 Jahre alt."
"Und wann bist du gekommen? Letztes Jahr?"
"Und wann bist du gekommen? Letztes Jahr?"
Drinnen unterhält sich Katrin Siebeck gerade mit Sadena. Die junge Frau aus Afghanistan lacht viel. Dabei hat sie wie die meisten hier Schlimmes erlebt. Aus der Heimat ist sie vor den Taliban geflohen, gemeinsam mit ihrem Mann und zwei Söhnen. Einer der beiden ist mit dem Kopf auf der Tischplatte eingenickt.
Sadena: "Ihr braucht einen Übersetzer? Do you speak English?"
"Nein, Dari. Und bisschen Deutsch."
"Dann schreibst du auf Dari."
"Nein, ich hab' keine Schule."
"Keine Schule? Lieber gleich auf Deutsch?"
"Ja, Deutsch, bisschen sprechen. Aber besser verstanden."
"Du verstehst ziemlich gut."
"Ja, verstanden, aber keine schreiben."
"Und jetzt kannst du Mal überlegen, was du berichten willst über dich, dein Leben, deine Situation hier. Über Afghanistan…"
"Nein, Dari. Und bisschen Deutsch."
"Dann schreibst du auf Dari."
"Nein, ich hab' keine Schule."
"Keine Schule? Lieber gleich auf Deutsch?"
"Ja, Deutsch, bisschen sprechen. Aber besser verstanden."
"Du verstehst ziemlich gut."
"Ja, verstanden, aber keine schreiben."
"Und jetzt kannst du Mal überlegen, was du berichten willst über dich, dein Leben, deine Situation hier. Über Afghanistan…"
Sadena will vor allem von ihrer Situation als Frau in Afghanistan berichten. Sie ist Christin. Auf ihrer Tafel wird später zu lesen sein: "Mein größter Wunsch war es immer, kein Kopftuch tragen zu müssen." Auch Religions- und Meinungsfreiheit sind für sie wichtige Themen.
Volkmann: "…Dann kannst du deine Gedanken schon Mal ordnen…"
Pakte entpacken bei der Vernissage
Zweieinhalb Wochen später – die künstlerische Erfassung ist abgeschlossen. 15 Profiltafeln warten darauf, in einem Ausstellungsraum im Pelkovenschlössl, einem Kulturzentrum in München Moosach, ausgestellt zu werden. Allerdings nicht einfach so. Vorher werden sie in hellgraues Packpapier gewickelt. Carola Ludwig und Johannes Volkmann sind gerade dabei, eine verpackte Tafel mit blauer Paketschnur zu verzurren.
Volkmann: "So dass das Papier möglichst faltig und knitterig auf der Oberfläche dann ist. Wenn die Schnüre unterschiedlich sind, mal längs, mal diagonal, dann ist das für die Gesamtoptik am schönsten."
Die Besucher am Abend bei der Vernissage zur Inneren Stadt werden flache, recht-eckige Pakete zu sehen bekommen, die an den Wänden hängen. Wer eines auspacken will, wird zehn Euro zahlen müssen. Erst dann können alle lesen, was auf der Tafel im Inneren geschrieben steht.
Aras: "Ich heiße Aras. Zur Schule gehe ich gern. Ich liebe Mathe. Meine Freunde heißen Reswan, Luca, Mahmut und Lukas."
Und dann ist es soweit. Der Abend der Vernissage ist gekommen. Der Ausstellungsraum im Pelkovenschlössl füllt sich mit Menschen. Flüchtlinge und Moosacher Bürger. Erwachsene und Kinder. Ein paar der Kinder fallen Johannes Volkmann sofort um den Hals. Oder schnappen sich das Reportermikrofon.
"Hallo, wir sind alle Kinder. Und wir haben alle Bilder ausgeschrieben. Und wenn ihr wollt, ihr könnt kommen und das ansehen."
"Es war sehr schön, es hat uns Spaß gemacht, so viel gebastelt und gebaut."
"Hallo, wie geht’s euch? Alles gut!?"
"Das ist sehr schön geschrieben."
"Es war sehr schön, es hat uns Spaß gemacht, so viel gebastelt und gebaut."
"Hallo, wie geht’s euch? Alles gut!?"
"Das ist sehr schön geschrieben."
Volkmann: "Herzlich willkommen erstmal an alle. Und deshalb will ich ganz am Anfang erstmal das 'Herzlich Willkommen' in möglichst allen Sprachen, die wir hier versammelt haben, haben. Wie heißt auf Arabisch Herzlich Willkommen? – Ist aus dem Iran jemand da? Farsi?..."
Die Menschen im Pelkovenschlössl haben einen Kreis gebildet. Johannes Volkmann stellt ihnen die "Innere Stadt" vor und erklärt wie es nun weitergeht. Was mit der Auspackgebühr von zehn Euro pro Profilbild passieren wird, erzählt er noch nicht. Aber auch so finden sich genügend Ausstellungsbesucher, die zahlen. Und so geht es ans Auspacken. Schnüre werden durchschnitten, die Tafeln von Papier befreit.
"Jamal! – Wo ist Jamal?"
Als erste Tafel kommt die von Jamal Arafat zum Vorschein. Der 26-Jährige stammt aus Damaskus, wo er begonnen hatte Wirtschaftsmanagement zu studieren – bis der Krieg kam und er floh. "Von der Türkei bin ich mit einem sehr schlechten, übervollen Boot nach Deutschland gekommen", steht da zum Beispiel in blauer Schrift zwischen dem Strich-Code-Muster seiner Tafel zu lesen. Jamal wirkt scheu, spricht noch nicht viel Deutsch. Aber er hat Freunde aus seiner Unterkunft mitgebracht, die bei der Verständigung helfen.
Jamal: "Ich heiße Jamal Arafat. – Er musste zur Armee machen. – Armee in Syria. Und Universität. Businessman – Wirtschaft, ja…"
Raum für echte Begegnung
Eine ältere Dame studiert Jamals Text, in dem er auch vermerkt hat, dass er sich gerade selbst das Gitarre-Spielen beizubringen versucht. Was die Dame auf eine Idee bringt.
"Weil er sagt, er spielt Gitarre: Mein Sohn spielt Gitarre und er kann im vielleicht was beibringen, weil er gibt auch zwei anderen Gitarrenunterricht. Vielleicht könnte er dazukommen. Gibt’s eine Telefonnummer?"
Und schon werden Kontakte ausgetauscht. So einfach kann sie funktionieren – die Kunst der Begegnung in der Inneren Stadt.
Besucher-Umfrage: "Ich finde es wunderbar, dass man jetzt zusammenkommt mit einzelnen Menschen. Und auch die Kombination, dass man das irgendwie künstlerisch verarbeitet, dass man das für wertvoll hält und einpackt, schön einpackt, da kann der Christo sich Mal was abschneiden, würde ich sagen."
"Vorher hat man natürlich gewisse Berührungsängste, aber die muss man überwinden, dafür ist es ja da."
"Ich wollte Mal sehen, wie die Künstler mit den Menschen, die fliehen mussten, wie die gemeinsam was gestalten. Was da rauskommen könnte. Ich war ein Baby, meine Eltern sind mit mir auch geflohen. Und wir waren froh, dass wir aufgenommen wurden."
Ringsum werden nach und nach weitere Tafeln ausgewickelt. Die Stimmung im Raum erinnert ein wenig an Heiligabend bei der Bescherung. Und das obwohl hinter denen Verpackungen meist schwere Schicksale zum Vorschein kommen. Obaida, ein 23-jähriger Syrer, ist nicht zur Vernissage erschienen. Aber er hat gleich drei Tafeln vollgeschrieben. Darauf berichtet er von Krieg, Zerstörung und von der Gefangennahme durch den IS. Carola Ludwig liest seinen Text vor.
"Nach zwei schrecklichen Monaten dort, konnte ich fliehen. Nach Damaskus konnte ich jedoch nicht gehen, dort hätte mich Assad als Soldat eingezogen. Ich ging in die Türkei. Aber dort, ich weiß nicht warum, mag man keine Syrer."
Obaida schreibt aber auch über die tiefe Verzweiflung, die ihn in Deutschland erfasst hat, wo ihm nicht nur Freundlichkeit entgegenschlug.
"…Aber ehrlich gesagt, nehmt es mir bitte nicht übel, hier werden Hunde besser behandelt als Flüchtlinge…"
Volkmann: "Es war ganz am Anfang eine sehr, sehr große Offenheit da, mitzumachen. Also das, was wir als Gesellschaft entgegengebracht haben, haben wir in den Unterkünften auch gespürt. Wenn man angeklopft hat und gesagt hat, Mensch, wir wollen mit so einem Projekt Kontakt herstellen in einer Stadt, war da auch: Ach, das ist ja toll! Es war sofort eine Neugierde und eine Bewegung da. Es ist sehr interessant über so eine lange Zeit jetzt mitzukriegen, wie sich das auch verändert. Wie man in den Wald hineinruft, schallt es zurück, also dass es spürbar ist, dass wir mit den Tönen, die wir anschlagen als Gesellschaft, dass das uns auch wieder zurückgekommen ist, wenn wir an die Türen angeklopft haben."
"Zum ersten Mal gefragt, was man möchte im Leben"
Mit wachsenden Ressentiments bei manchen Deutschen gegenüber Asylbewerbern hat auch das Misstrauen unter den Flüchtlingen zugenommen. Auf der Vernissage ist davon allerdings erfreulich wenig zu spüren. Es herrscht ein fröhliches Miteinander.
Sadena: "Ich denken und meine Herz zeigen. Und ich viele, viele Fragen. Und ein bisschen schreiben…"
Sadena erklärt mit Hilfe einer jungen Frau, die ihre Heimatsprache Dari spricht, was sie dazu bewegt hat, bei der Inneren Stadt mitzumachen.
"Sie sagt, in Afghanistan, die Frauen haben kein Recht. Niemand fragt eine Frau, was sie will. Das ist die erste Möglichkeit, wenn jemand fragt, was ich möchte im Leben."
Volkmann: "Herzlichen Dank an alle, die ausgepackt haben. Es geht aber mit der Inneren Stadt weiter. Denn das Geld, das jetzt im großen Topf liegt, ist letztendlich für jeden von euch. Aber in verwandelter Form, nämlich in Form eines Essens…"
Mit den gesammelten Auspackgebühren werden die Flüchtlinge Lebensmittel kaufen, um damit Gerichte aus ihrer Heimat zu kochen. Bei der Finssage zur Inneren Stadt in München Moosach werden sie dann aufgetischt. Die Idee dahinter: Die Geflüchteten sollen zu Gastgebern werden, die die Einheimischen bewirten.
"Merhaba! Herzlich Willkommen zur Finissage der Inneren Stadt."
Die lange Tafel, an der alle Platz genommen haben, ist wie die Profilbilder einige Tage zuvor in hellgraues Packpapier gehüllt. Ebenso Teller, Gläser und Besteck darauf, ja sogar die Speisen wurden eingeschlagen.
Volkmann: " Von wem ist das hier? Ist von dir. Wie heißt es? Kommt aus? – Syria – Syrien. Applaus!"
Nach und nach werden nun Schüsseln und Platten ausgewickelt. Das einheitliche Weißgrau der papierverpackten Tafel verwandelt sich in eine lukullisch-bunte Vielfalt von Reisgerichten, Fladenbroten, Gemüsepfannen... Der Duft von Gewürzen erfüllt das Moosacher Pelkovenschlössl.
"Wow! Von wem ist das hier?"
Apfelkuchen neben syrischer Reispfanne
An einem Ende der Tafel hat Jamal Arafat neben Katrin Siebeck Platz genommen. Auch er hat Essen zubereitet, zusammen mit seinen Freunden.
Jamal und Siebeck: "Humus und Tabule. – Hast du auch Essen von anderen Ländern gegessen? – Ja, ja, Afghanistan und Eritrea. – Hast du gegessen? War gut? – Ja, ja gut, alles gut. Syria, Afghanistan, Eritrea. – Das Essen, das ist das Highlight."
Volkmann: " Also toll, dass ihr so riesig toll für uns gekocht habt. Vielen, vielen Dank. Das, was hier so stark war wie noch nie, ist der Umfang und die Menge, wieviel gekocht worden ist. Und dass sich Leute aus München eigenständig berufen gefühlt haben, selber etwas mitzubringen. Also dass hier der Apfelkuchen neben der syrischen Reispfanne ist, das sind ganz viele Elemente, die auch symbolisch hier drin sind."
Auch Sadena aus Afghanistan ist wieder da. "Ich brauche hier vor niemandem Angst zu haben", hatte sie auf ihr Profilbild geschrieben. Und: "Ich lerne sehr gern Deutsch". Bei der Festtafel zum Abschluss der Inneren Stadt wirken sie und ihr Mann glücklich und gelöst.
Sadena und Familie: "Hier ist mein Mann. Und zwei Kinder auch hier. Ich weiß nicht, ob spielen unten oder hier. Eine neun Jahre alt und eine acht, zwei Söhne. – Meine Frau besser sprechen Deutsch – Gleich – Alle Kinder sprechen gut. – Kinder sprechen sehr gut, aber ich ein bisschen, ja."
Sadenas älterer Sohn ist Aras. Auf seinen Teller hat er sich eine große Portion von dem Reisgericht aufgeladen, das seine Mutter gekocht hat.
Aras: "In Afghanisch ist das mein Lieblingsessen."
Auf seiner Tafel kann man lesen, dass Aras aber auch sehr gerne "Spaghetti mit roter Soße" isst. Nicht nur in seinen Essensvorlieben dürfte er sich kaum von seinen Altersgenossen aus der dritten Klasse eine Münchner Grundschule unterscheiden: am liebsten spielt Aras Fußball.
Aras: "Wir haben schon einen Pokal gewonnen, letztes Mal haben wir es geschafft und eine Pokal bekommen, das hat viel Spaß gemacht."
Volkmann: "Was schön hier jetzt war, dass viele Kinder mitgekommen sind. Das hatten wir sonst noch nie. Und das trägt zum allgemeinen Leben natürlich sehr schön bei."
"Kunst schafft emotionale Bilder"
Und sonst? Wie viel Leben steckt in der Inneren Stadt über das Ende mit der Finissage hinaus? Was wird bleiben, wenn die Profiltafeln wieder abgehängt, das Geschirr abgespült und die Menschen nach Hause gegangen sind? Die Flüchtlinge in ihre Container-Unterkunft und die Einheimischen in ihre Reihenhäuser oder Wohnungen.
Volkmann: "Kunst schafft Bilder. Emotionale Bilder. Das bleibt einem als Gefühl in Erinnerung."
Ludwig: "Mein Anliegen ist auch in der Kunst, die Menschen zusammenzubringen. Und dieses Projekt ist ein Geben und ein Nehmen, das die Flüchtlinge auch uns was zurückgeben können."
Volkmann: "Ich kann nur sagen, in Einzelbereichen sind sehr beglückende und sehr weitreichende Sachen entstanden. Es sind drei Arbeitsplätze dadurch entstanden. Es stand bei einem drin, ich hätte gern eine Nähmaschine – zack, haben die eine Nähmaschine getauscht. Ein Kind hat einen Schwimmkurs bekommen. Es sind gegenseitige Essenseinladungen zustande gekommen. Aber in der gesamten Verästelung, kann ich das nicht mehr überblicken. Was auf jeden Fall überall stattgefunden hat: Dass Menschen über ihren eigenen Kreis, den eigenen Raum hinaus, einen Schritt sich geöffnet haben."