Der große Ausverkauf
Die amerikanische Stadt Detroit ist pleite und kann ihre Schulden nicht zurückzahlen. Kein Wunder, dass Gläubiger das städtische Museum ins Visier nahmen und die Kunstsammlung mit van Gogh zu Geld machen wollen. Inzwischen gibt es aber wieder Hoffnung für das Museum.
Es begann am 18. Juli 2013, dem Tag, an dem der Gouverneur von Michigan der maroden Stadt eine Radikalkur aufzwang. Den Gang zum Insolvenzrichter.
“Today I authorized the Emergency Manager for the city of Detroit to seek Federal bankruptcy protection.”
“Das ist eine schwierige und schmerzliche Entscheidung,” sagte Rick Snyder. Doch angesichts eines Schuldenbergs von 18 Milliarden Dollar gäbe es “keine andere brauchbare Alternative”.
Denn: Obwohl sich Detroits einstmals blühende Autoindustrie seit der großen Finanzkrise in Maßen erholt hat, krankt die Stadt noch immer – sehr. Sie ist Ground Zero einer epochalen Strukturkrise: Nicht nur ist der größte Teil der Industrie abgewandert, es sind dies auch mehr als die Hälfte der fast zwei Millionen Menschen, die in den 50er-Jahren hier lebten. Das Resultat: Verfallene Häuser, Armut überall und ein mehr als dürftiges Steueraufkommen.
Im starken Kontrast dazu existiert mitten in der Stadt eine ziemlich wohlhabende Institution: das Detroit Institute of Arts mit einer Kunstsammlung, die sich – im Unterschied zu anderen Kultureinrichtungen in den USA – in kommunaler Hand befindet.
Zu ihren mehr als 60.000 Werken gehören Arbeiten von Malern wie Rubens, Rembrandt und Bruegel, Monet, van Gogh und Cézanne. Und eine exquisite Auswahl von deutschen Expressionisten. Weshalb sich das Museum in den USA mit den besten messen kann, sagt Direktor Graham Beal:
“It’s a model based on the Louvre. So we cover everything. I like to say that we are one of the top six in the U.S.”
Geld statt Kunst?
Der Wert der Kunst wurde im Rahmen des Konkursverfahrens von mehreren Gutachtern geschätzt. Die Meinungen gehen auseinander. Aber sie liegen alle bei vier Milliarden Dollar und mehr.
Kein Wunder, dass die Ankündigung des Gouverneurs die Frage aufwarf: Sollte man diese Kunst nicht einfach verkaufen? Die ersten Spekulationen alarmierten viele, sagt der Kunstkritiker der Detroit Free Press, Mark Stryker.
“Dass das Museum in diesen Konkurs hineingezogen wurde, hat die meisten überrascht. Auch weil, abgesehen von intellektuellen Gedankenspielen, niemandem richtig klar war, welches Schicksal dieser Kunst ganz unmittelbar drohte.”
Aber dann dämmerte es den meisten. Direktor Beal:
“Es ist eine großartige Schlagzeile, auch weil man denken konnte, dass innerhalb einer Woche Lastwagen vorfahren und die Kunst einladen. Diese Gefahr war gewiss gegeben.”
Es ist nicht abzusehen, wie Richter Steven Rhodes entscheiden wird, der für den 7. November sein Urteil angekündigt hat. Doch in Detroit ist man verhalten optimistisch. Rhodes hatte im Laufe des Verfahrens bereits angedeutet, dass er ein kulturpolitisches Massaker vermeiden will. Detroit braucht schließlich Hilfe für einen Neuanfang und keine Totengräber, die jeden Funken Hoffnung auf ein besseres Leben beerdigen.
Private Spender sollen helfen
Was ihn zu Gunsten der Kunst und des Museums beeinflussen könnte, ist ein außergerichtlich ausgehandelter Plan. Der sieht vor, dass in den nächsten 20 Jahren mit Hilfe des Detroit Institute of Arts mehr als 800 Millionen Dollar aufgebracht werden sollen. Das Geld soll von private Spendern und durch staatliche Zuschüsse aufgebracht werden. Es soll vor allem den am stärksten Betroffenen der Pleite zugute kommen: den Angestellten der Stadt – wie Feuerwehrleuten und Polizisten – deren Pensionsfonds Milliarden fehlen.
Ebenfalls zu diesem sogenannten “Grand Bargain” gehört es, das Museum, das selbst derzeit durchaus liquide ist, langfristig dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Durch eine Umwandlung in eine private Stiftung mit genug Kapital, um das Haus notfalls von den erwirtschafteten Zinsen zu unterhalten. 250 Millionen Dollar fehlen dafür allerdings, sagt Direktor Beal.
Was die Zukunft bringt, weiß er natürlich nicht. Aber er kennt die Geschichte. Ein beständiges Auf und Ab. Und ein Wirrwarr, das unweigerlich an die riesigen Wandgemälde von Diego Rivera aus den frühen 30er-Jahren in einem Innenhof des Museums erinnert. Mark Stryker:
“Gegründet wurde das Museum als private Einrichtung. Aber dann geriet man in finanzielle Schwierigkeiten. 1919 stand man tatsächlich kurz vor dem Kollaps und überließ das Ganze der Stadt. Wodurch die Finanzierung gesichert war.”
Typisch für das Spannungsverhältnis: Als neulich bekannt wurde, dass Beal und andere in Führungspositionen des Museums in Zeiten der Krise mehr als zehn Prozent mehr Gehalt erhalten haben, regten sich Politiker aus dem Umland auf, weil man das Museum derzeit schließlich mit einer speziellen Steuer mitsubventioniere. Nun droht man, den Zuschuss zu sperren. Das Tauziehen um das Detroit Institute of Arts geht also weiter. So oder so.