Noch nicht im Visier des Staatsapparates
Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei ging die Regierung auch gegen Journalisten und Schriftsteller vor. Die Kunstszene hingegen kann sich relativ frei bewegen. Allerdings wurde die Pressekonferenz zur Istanbul Biennale abgesagt.
Kurz zuvor war auch die Cannakale-Biennale komplett abgesagt worden. Dem vorausgegangen war eine Hetzkampagne gegen die Kuratorin der Biennale, Beral Madra. Man warf ihr vor, sie habe die Putschisten und die prokurdische HDP unterstützt.
Die Istanbuler Kunstszene scheint davon – trotz der abgesagten PK zu Istanbul-Biennale – relativ unberührt zu sein, berichtet Ingo Arend:
"Die inoffizielle Eröffnung des Kunstherbstes glich einem Volksfest mit lauter fröhlichen Menschen. Alle Vernissagen waren überfüllt, nicht nur von dem traditionellen Publikum, sondern es war ein sehr junges, urbanes Publikum unterwegs."
Auch politische Kunst sei präsent gewesen, u.a. durch ein Werk des Künstlers Ahmet Ögüt im Bomonti-Place. Sein Werk "Bakunins Barrikaden" knüpfte an ein unvollendetes Werk des Anarchisten Bakunin für die Dresdener Aufständischen an.
Warum die Kunst noch nicht im Fokus des Staatsapparates liegt, erklärt Arend so:
"Die Tatsache, dass die Kunst derzeit einigermaßen unbehelligt agiert, hat damit zu tun, dass sie keine kritische Masse ist, sie ist mengenmäßig ein doch zu kleines Segment, gleichzeitig geht der Staat massiv gegen Schriftsteller, gegen Journalisten, gegen Akademiker vor. Das mag für die Kunstszene sowas wie eine narzisstische Kränkung sein, weil sie ja immer denkt, dass sie das Salz in der Suppe der Gesellschaftsveränderung ist, aber der Staat hat hier eben gerade anderes zu tun, als Galerien zu überwachen."
Private Kunstförderung erweist sich als Vorteil
Zum anderen erweise es sich jetzt als Vorteil, dass der Staat früher zu wenig Kunstförderung betrieben habe:
"Die meisten Künstler und Galerien werden von Privatinitiativen oder Sammlern unterstützt, und die können relativ frei und ohne Auflagen agieren."
Generell fehle noch so etwas wie eine gemeinsame Oppositionsstrategie, so Arend weiter. Es gebe Überlegungen, überall im Land, in liberalen Kommunen, Ausstellungen zu zeigen und sich nicht mehr so sehr auf Istanbul zu konzentrieren.
Zunächst aber macht die Istanbuler Kunstszene von sich Reden: Am kommenden Wochenende (28./29.9.) schließen sich die dortigen Galeristen zusammen, um das "Istanbul Gallery Weekend" zu feiern. Dass das Ganze unter dem Stichwort "Solidarität" abgehalten wird, soll auch ein politische Signal sein.