Enzyklopädistin eines Kontinents
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Als Kind wollte Nana Oforiatta Ayim die erste Präsidentin Ghanas werden, später kuratierte sie den ersten ghanaischen Pavillon auf der Biennale in Venedig. Kunst und Kultur können ein Land schneller verändern als Politik, meint die Kunstvermittlerin.
Als Nana Oforiatta Ayim Anfang der 2000er-Jahre das erste Mal eine Biennale in Venedig besuchte, gab es keinen Pavillon ihres Heimatlands Ghana. Es gab überhaupt keinen Pavillon eines afrikanischen Landes. Eine Auswahl von Kunst aus 54 Ländern des Kontinents war in einem "afrikanischen Pavillon" untergebracht.
"Es war magisch"
Vor zwei Jahren hat die Kunstvermittlerin den ersten ghanaischen Pavillon in Venedig kuratiert – nachdem sie auf eigene Faust die Biennale und auch die Verantwortlichen in Ghana von der Idee überzeugt hatte.
Unter dem Titel "Ghana Freedom" gaben sechs Künstlerinnen und Künstler Einblick in ihre Arbeiten zum Thema Freiheit. Die Tonerde zum Bau des Pavillons wurde aus Ghana nach Venedig gebracht. "Es war magisch, wie alles zusammengekommen ist", erzählt sie.
Der Pavillon wurde zum Publikumsliebling der Biennale 2019. Er habe aber auch einen großen Einfluss auf die Kunstwelt in Ghana gehabt, sagt Nana Oforiatta Ayim.
Kunst im Kiosk
Mit mobilen Museen, die im Stil der typischen ghanaischen Kioske gebaut sind, versucht sie heute ihren Landsleuten die Kunst Ghanas wieder näherzubringen. Denn es gehe auch um die Form, in der Kunst präsentiert werde. Die meisten Galerien, die es heute in Ghana gebe, seien nach westlichem Vorbild gebaut. Oft würden sie nur von den immer gleichen paar Hundert Menschen besucht.
Zu Kulturfestivals kämen die Menschen dagegen zu Tausenden. Es liege nicht an mangelndem Zugang oder Interesse. "Es ist nur so, dass die Form der Museen, wie sie importiert worden sind, viele Leute nicht ansprechen." Mit den mobilen Museen seien andere Menschen zu erreichen.
Auch sie selbst habe bei dem Projekt vieles über die ghanaische Kunst gelernt. Lange habe man versucht, die ghanaische Kunst als "primitiv und teuflisch" abzutun. "Mit dem mobilen Museum habe ich gemerkt, wie viel Wissen noch da ist, ein Reichtum an indigenem Wissen", sagt die Kunstvermittlerin.
Ein Nachschlagewerk für 54 Länder
Ein Projekt, das die Kuratorin schon seit Jahren beschäftigt, ist eine panafrikanische Kunstenzyklopädie, "die das Kulturwesen des Kontinents ausspricht". Sie soll sowohl online verfügbar sein, als auch als 54-bändige Buchausgabe.
Anders als klassische Enzyklopädien sei ihr geplantes Nachschlagewerk aber subjektiv und habe nicht den Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Es sei eine "abstrakte Spiegelung". Nun erscheint der erste Band über Kunst aus Ghana, in den nächsten Jahren sollen alle weiteren afrikanischen Länder folgen.
"Man war immer fremd"
Zur Kunstvermittlung kam Nana Oforiatta Ayim auf Umwegen. Zunächst aufgewachsen in Rumeln-Kaldenhausen bei Duisburg als Tochter einer ghanaischen Prinzessin und eines ghanaischen Kinderarztes, verbringt sie ihre Kindheit und Jugend in Deutschland, England und immer wieder auch in Ghana, wohin ihre Mutter nach einigen Jahren im Ausland zurückkehrt.
Sie habe als Kind und Jugendliche oft von außen auf sich selbst geblickt, erzählt sie. "Man war immer fremd. Man hat nie wirklich dazugehört."
Über ihr Aufwachsen, ihre schillernde Mutter und die Schwierigkeiten, eine Heimat zu finden, hat Nana Oforiatta den autobiografisch gefärbten Roman "Wir Gotteskinder" geschrieben, der gerade auf Deutsch erschienen ist. Seit knapp zehn Jahren lebt die Autorin in Accra.
"Ich war ein sehr ehrgeiziges Mädchen"
Als Kind will Nana Oforiatta Ayim, die aus einer Politikerdynastie stammt, deren Familienmitglieder bis heute die höchsten politischen Ämter Ghanas innehaben, die erste Präsidentin Ghanas werden. "Ich war ein sehr ehrgeiziges Mädchen", sagt sie. "Wenn ich etwas machen wollte, wollte ich die Erste und Beste sein.
Bis heute ist ihr die Vorstellung unangenehm, man könne ihr unterstellen, dass sie nur wegen der richtigen Verbindungen Erfolg habe.
Ihre Studienwahl – Politik und Russisch – habe sie auch unter strategischen Gesichtspunkten getroffen. Eine Karrierestation bei den Vereinten Nationen in New York ließ sie allerdings ernüchtert zurück und sie studierte afrikanische Kunstgeschichte.
Kunst ist keine Einbahnstraße
Heute versucht Nana Oforiatta Ayim nicht nur, ghanaische Kunst im Land selbst und in der Welt sichtbarer zu machen. Sie versucht ihre Erfahrungen in Ghana auch auf andere Länder zu übertragen.
Im Dezember kuratiert sie eine Ausstellung im Dortmunder U, erzählt sie, und stelle sich auch dort die Frage: "Können wir das Verständnis von einem Museum in unserem Kontext herüberbringen, dass es auch die Idee eines Museums hier in Deutschland erweitert?"
(era)