Kunstvolle Verschleierungstaktik

Rezensiert von Joachim Scholl · 13.01.2006
Durch seinen 1991 erschienenen Roman "American Psycho" wurde Bret Easton Ellis schlagartig berühmt. Der Thriller um den modebesessenen Frauenmörder Patrick Bateman wurde in vielen Ländern verboten. In Ellis' vermeintlicher Biografie "Lunar Park" taucht Bateman jetzt wieder auf und bedroht Ellis selbst.
Für die einen gehört er zu den besten und wichtigsten Gegenwartsautoren, für die anderen ist er ein drogensüchtiger Psychopath mit einer kranken Phantasie: Seit seinem 1991 erschienenen Roman "American Psycho" steht Bret Easton Ellis, Jg. 1961, inmitten der Kontroverse: Was darf Literatur? Viele weigern sich aus gutem Grund, die Geschichte des Serienmörders Patrick Bateman überhaupt zu lesen. Am Tag ein modeversessener reicher Yuppie, mutiert Bateman in der Nacht zum Serienmörder, der Frauen foltert, verstümmelt und ermordet.

Wer je diese Szenen aus "American Psycho" las, vergisst sie nicht mehr, der Roman wurde in vielen Ländern verboten, in Deutschland stand er jahrelang auf dem Index und durfte nicht offen beworben und verkauft werden. Und jetzt, 14 Jahre später, ist Patrick Bateman wieder da! Als Traumgestalt, als Geist, als reale Bedrohung des realen Schriftstellers Bret Easton Ellis, der sich selbst zum Helden seines neuen Romans macht. Zumindest auf den ersten Blick.

"Lunar Park" beginnt wie eine Autobiographie: Bret Easton Ellis beschreibt sein Leben, die hektische Zeit, als er mit seinem ersten Roman "Unter Null" über Nacht bekannt wurde, 22 Jahre war er damals alt. Er erzählt von Ruhm und Geld, Sex und Drogen, dem wilden Partyleben im New York der 1980er Jahre. Er schildert den Skandal um "American Psycho", den Absturz durch Heroin, die Rettung mittels Heirat einer Hollywood-Schönheit, den Versuch, ein normales Familienleben aufzubauen.

Und dann, in einer beschaulichen Universitätsstadt, holen die Schatten der Vergangenheit den Schriftsteller ein: der Killer Patrick Bateman wird lebendig, entsetzliche Morde passieren, es spukt wie bei Stephen King. Passiert das alles wirklich, wie Bret Easton Ellis ständig beteuert? Ist dieser Horror-Roman zugleich die quälende Auseinandersetzung mit dem lieblosen verstorbenen Vater? Ja doch, Hand aufs Herz, sagt der Autor - und man darf ihm kein einziges Wort glauben!

"Lunar Park" ist eine einzige große und großartige literarische Mystifikation, ein grandioses Spiel mit der eigenen Biographie, dem Werk und öffentlichen Dasein eines glänzenden, gesellschaftskritischen Satirikers. "American Psycho handelt von unseren amerikanischen Verhältnissen, nicht vom Frauenaufschlitzen", heißt es lapidar an einer Stelle. "Lunar Park" handelt nicht von Bret Easton Ellis, sondern von den sozialen und seelischen Projektionen einer oberflächenfixierten, durchgedrehten Welt.

Dass sich der Autor selbst in diesem Bilderspiegel reflektiert, ist der spektakulär durchgeführte Trick des Buches. Es ist eine kunstvolle Verschleierungstaktik, die in Amerika beim Erscheinen des Romans für ordentliche Verwirrung gesorgt hat. Auf Ellis‘ Website im Internet sind die biographischen Daten inzwischen so "angepasst", dass man nicht mehr unterscheiden kann, was nun stimmt oder nicht. Weiterführende Links verweisen etwa auf eine detaillierte Biographie seiner vermeintlichen Ehefrau, die im Roman eine weltberühmte Filmschauspielerin sein soll. Dabei hat es sie nie gegeben...

Bret Easton Ellis: Lunar Park
Aus dem Amerikanischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann,
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln,
457 Seiten