Kunstwerke wie Bomben
Dada siegt! Diese Botschaft der kurzlebigen Kunstbewegung scheint sich Jahrzehnte später zu bewahrheiten. Im Pariser Centre Pompidou hat eine große Retrospektive der avantgardistischen Kunstwerke aus der Zeit zwischen 1916 bis 1924 begonnen. Jedes Dada-Werk, so der Ausstellungskurator, schlage ein wie eine Bombe.
"Dada zu zeigen ist unmöglich – ein Widerspruch an sich", schreibt Kurator Laurent Le Bon im über 1000 Seiten dicken Ausstellungskatalog – im Einführungstext, auf Seite 512. Was ja eigentlich auch unmöglich ist. Aber es funktioniert. Le Bon zeigt in seiner Pariser Mammut-Ausstellung das Unmögliche: Auf einer Fläche von über 2000 Quadratmetern, aufgeteilt in über 40 Räume, gibt es Dada in allen Facetten. Von A wie Arp bis Z wie Zürich, von B wie Baargeld bis R wie Ready Made, von C wie Cabaret Voltaire bis H wie Huelsenbeck.
Ob Richard Huelsenbecks "Phantastische Gebete", Marcel Duchamps berühmtes Pissoir oder die Merzbilder von Kurt Schwitters - die Ausstellung im Centre Pompidou überwältigt mit einer Fülle an Dada-Werken, die, so der Kurator Laurent Le Bon, vor allem eines auszeichnet: kreativer Genius.
Le Bon: "Dada-Ästhetik lässt sich nicht definieren, es gibt nicht eine Ästhetik, die jeder sofort erkennt, wie beim Kubismus oder Surrealismus. Aber dafür gibt es so viele Werke, so viele Fragezeichen, so viele Fragen an uns heute, dass jedes Dada-Werk wie eine Bombe ist. "
Kunstwerke wie Bomben, entstanden in einer Zeit der Bomben. Auf die Geburt von Dada mitten im Ersten Weltkrieg verweisen allerdings nur sehr wenige Arbeiten unmittelbar. Die aber sind umso wirkungsvoller platziert:
Einer der Ausstellungsräume rekonstruiert die Berliner Dada-Messe von 1920. Die Wände sind tiefrot. Von der Decke herab hängt der "Preußische Erzengel", eine Skulptur von John Heartfield und Rudolf Schlichter: ein Schwein in grauer Soldatenuniform mit einer orangefarbenen Bauchbinde, auf der steht: "Vom Himmel hoch da komm ich her". Und noch ein Schild haben die Dada-Künstler drangehängt: "Um dieses Kunstwerk vollständig zu begreifen", schreiben sie, "exerziere man täglich zwölf Stunden mit vollgepacktem Affen und feldmarschmäßig ausgerüstet auf dem Tempelhofer Feld."
Le Bon: "Es gibt da diesen sehr schönen Satz eines Kunstkritikers: Dada erklärt den Krieg mehr, als dass der Krieg Dada erklärte. Das Verhältnis zwischen Krieg und Dada ist natürlich dialektisch. Der erste Weltkrieg war ein Katalysator. Seltsamerweise allerdings gibt es in der Dada-Kunst – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – keine Ikonographie des Krieges. Es gibt keinen dada-Pazifismus. Im Gegenteil: In der Dada-Sprache wie auch den Kunstwerken steckt Gewalt. "
"Dada siegt!" ist zum Beispiel immer wieder zu lesen, auf unzähligen Plakaten und Manifesten. Die Dada-Künstler machten sich die Sprache kriegerischer Propaganda zu eigen, um ihre Propaganda zu verbreiten: Eine radikale Neudefinition der Kunst mit Collagen und Fotomontagen, Industrieprodukten, die zu Kunstwerken erklärt werden, Performances oder Lautmalerei – wie in Kurt Schwitters Ursonate von 1922.
Ob Happening oder Fluxus, Pop-Art, Punk oder Performances, Musik von John Cage oder zeitgenössische Aktionskunst – der prägende Einfluss von Dada auf Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts ist unübersehbar - bis heute. Möglicherweise, so schreibt Laurent Le Bon im Katalog zur Pariser Ausstellung, war Dada sogar die wichtigste Avantgardebewegung überhaupt. Und: Eine Avantgarde, in der Frauen eine wichtige Rolle spielten und zwar nicht als Musen, sondern als Künstlerinnen.
Le Bon: "Man muss Dada nur mit dem Kubismus oder dem Surrealismus vergleichen, dann wird deutlich: dada ist eine Frauen-Avantgarde. Deshalb zeigen wir auch gleich am Anfang Arbeiten von Sophie Täuber-Arp, der Frau von Hans Arp, dann ist da Suzanne Duchamp, Marcels Schwester, oder die außergewöhnliche Hannah Hösch oder die Baronesse Elsa von Freytag-Loringhoven – es ist sehr selten, dass Künstlerinnen in avantgarde-Bewegungen so wichtig sind. Der Surrealismus etwa sieht Frauen als Objekte und nicht als Künstlerinnen. "
Dada siegt! – das ist eine Botschaft dieser grandiosen Ausstellung. Ein kunsthistorischer Sieg über den Surrealismus, als dessen eher belangloses Vorspiel Dada manchmal gesehen wurde. Dass Dada bis heute so eine große Anziehungskraft ausübt, so viele Künstler inspiriert, hat aber paradoxerweise auch mit dem frühen Ende der Bewegung zu tun. Was 1916 in Zürich furios begann, war nämlich 1924 schon wieder vorbei.
Le Bon: "Die große Stärke von Dada ist sein früher Tod. Anders als der Surrealismus konnte Dada so seine eruptive Kraft bewahren. Dada ist ein Gewehr mit zwei Schüssen, hat Marcel Duchamp einmal gesagt. Der erste Schuss ging 1916 los, als das Wort gefunden wurde, der zweite Schuss geht jetzt erst los. Marcel Duchamp war in den 50er Jahren völlig vergessen – heute aber leugnet niemand die unglaubliche Stärke seiner Ready-Mades, die für die Kunstgeschichte genauso bedeutend sind wie Picassos Demoiselles d’Avignon. "
Ob Richard Huelsenbecks "Phantastische Gebete", Marcel Duchamps berühmtes Pissoir oder die Merzbilder von Kurt Schwitters - die Ausstellung im Centre Pompidou überwältigt mit einer Fülle an Dada-Werken, die, so der Kurator Laurent Le Bon, vor allem eines auszeichnet: kreativer Genius.
Le Bon: "Dada-Ästhetik lässt sich nicht definieren, es gibt nicht eine Ästhetik, die jeder sofort erkennt, wie beim Kubismus oder Surrealismus. Aber dafür gibt es so viele Werke, so viele Fragezeichen, so viele Fragen an uns heute, dass jedes Dada-Werk wie eine Bombe ist. "
Kunstwerke wie Bomben, entstanden in einer Zeit der Bomben. Auf die Geburt von Dada mitten im Ersten Weltkrieg verweisen allerdings nur sehr wenige Arbeiten unmittelbar. Die aber sind umso wirkungsvoller platziert:
Einer der Ausstellungsräume rekonstruiert die Berliner Dada-Messe von 1920. Die Wände sind tiefrot. Von der Decke herab hängt der "Preußische Erzengel", eine Skulptur von John Heartfield und Rudolf Schlichter: ein Schwein in grauer Soldatenuniform mit einer orangefarbenen Bauchbinde, auf der steht: "Vom Himmel hoch da komm ich her". Und noch ein Schild haben die Dada-Künstler drangehängt: "Um dieses Kunstwerk vollständig zu begreifen", schreiben sie, "exerziere man täglich zwölf Stunden mit vollgepacktem Affen und feldmarschmäßig ausgerüstet auf dem Tempelhofer Feld."
Le Bon: "Es gibt da diesen sehr schönen Satz eines Kunstkritikers: Dada erklärt den Krieg mehr, als dass der Krieg Dada erklärte. Das Verhältnis zwischen Krieg und Dada ist natürlich dialektisch. Der erste Weltkrieg war ein Katalysator. Seltsamerweise allerdings gibt es in der Dada-Kunst – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – keine Ikonographie des Krieges. Es gibt keinen dada-Pazifismus. Im Gegenteil: In der Dada-Sprache wie auch den Kunstwerken steckt Gewalt. "
"Dada siegt!" ist zum Beispiel immer wieder zu lesen, auf unzähligen Plakaten und Manifesten. Die Dada-Künstler machten sich die Sprache kriegerischer Propaganda zu eigen, um ihre Propaganda zu verbreiten: Eine radikale Neudefinition der Kunst mit Collagen und Fotomontagen, Industrieprodukten, die zu Kunstwerken erklärt werden, Performances oder Lautmalerei – wie in Kurt Schwitters Ursonate von 1922.
Ob Happening oder Fluxus, Pop-Art, Punk oder Performances, Musik von John Cage oder zeitgenössische Aktionskunst – der prägende Einfluss von Dada auf Kunst und Kultur des 20. Jahrhunderts ist unübersehbar - bis heute. Möglicherweise, so schreibt Laurent Le Bon im Katalog zur Pariser Ausstellung, war Dada sogar die wichtigste Avantgardebewegung überhaupt. Und: Eine Avantgarde, in der Frauen eine wichtige Rolle spielten und zwar nicht als Musen, sondern als Künstlerinnen.
Le Bon: "Man muss Dada nur mit dem Kubismus oder dem Surrealismus vergleichen, dann wird deutlich: dada ist eine Frauen-Avantgarde. Deshalb zeigen wir auch gleich am Anfang Arbeiten von Sophie Täuber-Arp, der Frau von Hans Arp, dann ist da Suzanne Duchamp, Marcels Schwester, oder die außergewöhnliche Hannah Hösch oder die Baronesse Elsa von Freytag-Loringhoven – es ist sehr selten, dass Künstlerinnen in avantgarde-Bewegungen so wichtig sind. Der Surrealismus etwa sieht Frauen als Objekte und nicht als Künstlerinnen. "
Dada siegt! – das ist eine Botschaft dieser grandiosen Ausstellung. Ein kunsthistorischer Sieg über den Surrealismus, als dessen eher belangloses Vorspiel Dada manchmal gesehen wurde. Dass Dada bis heute so eine große Anziehungskraft ausübt, so viele Künstler inspiriert, hat aber paradoxerweise auch mit dem frühen Ende der Bewegung zu tun. Was 1916 in Zürich furios begann, war nämlich 1924 schon wieder vorbei.
Le Bon: "Die große Stärke von Dada ist sein früher Tod. Anders als der Surrealismus konnte Dada so seine eruptive Kraft bewahren. Dada ist ein Gewehr mit zwei Schüssen, hat Marcel Duchamp einmal gesagt. Der erste Schuss ging 1916 los, als das Wort gefunden wurde, der zweite Schuss geht jetzt erst los. Marcel Duchamp war in den 50er Jahren völlig vergessen – heute aber leugnet niemand die unglaubliche Stärke seiner Ready-Mades, die für die Kunstgeschichte genauso bedeutend sind wie Picassos Demoiselles d’Avignon. "