Kurt Cobain hinterließ 1994 Frau und Kind, ein unvollendetes musikalisches Werk – und viele Fragen. Bestehen seine Lieder, wie "Smells Like Teen Spirit", "Heart-Shaped Box" oder "Polly" den "Test of Time", sind sie zu Recht Bestandteil des Rock-Kanons? Oder war der Grunge, die Musik der "Generation X", nur eine heiße Blase? Antworten von Torsten Hempelt in unserer Sendung "Tonart" ab 11.07 Uhr und noch einmal ab 15.30 Uhr.
Genial, sehr ernst und tief verzweifelt
Heute wäre Kurt Cobain 50 Jahre alt geworden. Für Christoph Gurk - heute Kurator der Münchner Kammerspiele, früher Musikjournalist – ist "Nevermind" noch immer ein "unglaubliches Album". Und Cobain mit Nirvana das Sprachrohr einer ganzen Generation.
Kurt Cobain starb am 5. April 1994. Er schoss sich in seinem Haus in Seattle in den Kopf. Die letzten Zeilen, die er schrieb, war ein Abschiedsbrief, der mit Neil Young endete: "Es ist besser auszubrennen, als zu verblassen."
Für den damaligen Musikjournalisten Christoph Gurk, heute Kurator der Münchner Kammerspiele, kam die Nachricht von Cobains Tod nicht überraschend. Er war, wie er im Deutschlandradio Kultur berichtete, wenige Wochen zuvor in den USA gewesen, wo Cobains schwere seelische Krise und seine Selbstmordgedanken bereits ein "offenes Geheimnis" waren.
Sowohl Cobains Tod als auch der Durchbruch von Nirvana mit "Nevermind" seien für ihn einschneidende Erlebnisse gewesen, sagte Gurk. Beim erstmaligen Hören der ersten Takte von "Nevermind" – das mit dem Superhit "Smells like Teen Spirit" beginnt – sei ihm bereits klar gewesen, dass es sich um ein "unglaubliches Album" handelte.
Gurk grenzt Cobains Suizid von anderen berühmten Rockmusikern ab, die in jungen Jahren starben. Cobains Selbstmord sei kein "hedonistischer Tod" durch zu viele Drogen gewesen, sagte er. Der selbstgewählte Tod habe der von Cobain besungenen Dystopie noch einmal besonderen Nachdruck verschafft.
Die Grundhaltung von Nirvana fußte laut Gurk auf dem Punk. Die Band habe alles ernst gemeint. Wenn Cobain noch leben würde, wäre er wohl beim "Women's March on Washington" dabei gewesen, sagte Gurk. Nirvana habe stark feministische und antikapitalistische Belange vertreten – und sei eine der ersten Rockbands im Mainstream gewesen, die sich für Minderheiten eingesetzt habe. (ahe)
Auch auf Twitter erinnern sich viele an den Musiker:
Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wer die 90er mit wachen Augen und Ohren verfolgt hat, dem muss man nicht sagen, was das war: "Smells like Teen Spirit" von Nirvana, vielleicht das Lied der 90er überhaupt. Der Mann, der das Stück geschrieben hat, Nirvana-Frontmann Kurt Cobain, er wäre heute 50 Jahre alt geworden, und die Tatsache, dass ich das nur im Konjunktiv sage, das ist vielleicht die noch größere popkulturelle Wegmarke der Zeit gewesen, der Selbstmord Kurt Cobains 1994, also vor bald 23 Jahren. Kurt Cobain, wir reden über diesen Mann und seine Bedeutung jetzt mit Christoph Gurk, Kurator an den Münchener Kammerspielen. In den 90ern war er Chefredakteur der Zeitschrift "Spex". Herr Gurk, ich grüße Sie!
Christoph Gurk: Ja, hallo!
Frenzel: Welche Erinnerung ist bei Ihnen wacher, die erste Begegnung mit der Musik, also mit "Smells like Teen Spirit" oder die Nachricht vom Selbstmord von Kurt Cobain?
Gurk: Beides waren für mich sehr einschneidende Erlebnisse. Also ich kann mich noch sehr genau erinnern, wie mir 1994, ich glaube, es war Anfang April, die Todesnachricht überbracht wurde. Das war damals keine große Überraschung. Ich war wenige Wochen vorher in den USA gewesen, in New York, beruflich, und da war das eigentlich so eine Art fortlaufende Unterhaltung, dass sich alle Leute darüber unterhielten, einerseits, was das für eine unglaubliche Karriere ist, die Nirvana in den letzten Jahren hingelegt haben, und andererseits war es eben ein offenes Geheimnis, dass es Kurt Cobain sehr, sehr schlecht geht. Diese Gerüchte, dass er suizidale Tendenzen hat, waren relativ bekannt damals.
Frenzel: Woran das lag und was da die Beweggründe waren, darüber lassen Sie uns gerne gleich sprechen, aber lieber chronologisch vorgehen, damit wir das Schöne vorwegstellen können, nämlich diese Musik, Nirvana, Anfang der 90er-Jahre, die ja auf einmal so prägend war. Warum eigentlich?
Die Vorabkassette kam mit einem Kurier
Gurk: Ja, das ist eine gute Frage. Das kann ich mit einem Erlebnis so ein bisschen illustrieren: Ich erinnere mich, dass ich 1991, da war ich noch nicht bei der "Spex", sondern habe in der Musikredaktion der Stadtzeitschrift "Szene Hamburg" gearbeitet, und ich weiß noch sehr genau, dass irgendwann eine Kuriersendung kam mit einer Vorabkassette, wie es damals noch üblich war, ankam mit dem Album "Nevermind".
Vorher war für mich Nirvana so eine von vielen Rockgruppen, die eben in diesem Grunge-Idiom gespielt haben, und ich habe mir diese Vorabkassette eingelegt und angehört, und wirklich ab Sekunde Eins oder innerhalb der ersten Minute war mir klar, dass das ein unglaubliches Album ist, was die da gerade aufgenommen haben.
Frenzel: War das eher die Musik oder war das die Haltung?
Gurk: Beides. Also es war wirklich ein Rockalbum, das noch mal so alles in sich versammelt hat und wo man das Gefühl hatte, das ist jetzt wirklich wichtig. Also ich war wirklich elektrisiert von dem ersten Moment an, als ich dieses Album gehört habe.
Frenzel: Es gibt ja dieses Label, das an Nirvana auch ganz stark hängt, Generation X. Macht das Sinn?
Gurk: Ja, irgendwie schon. Also Nirvana war eine Gruppe, die sich immer, glaube ich, als Sprachrohr oder als Sprecher einer Generation gesehen haben. Gerade das Stück, was wir gerade gehört haben, "Smells like Teen Spirit", ist ja ein sehr dystopischer Song, der sozusagen in einer partymäßigen Entgrenzung eben auch das Nicht-so-Schöne an dieser Situation beschreibt, und das tut er nicht einfach nur als Privatperson Kurt Cobain, sondern auch stellvertretend für eine bestimmte Art von Jugend, die sich in einer strukturell sehr verzweifelten und ausweglosen Lage befindet.
Frenzel: War das, was Nirvana gemacht hat, dann sowas wie der Punk der 90er-Jahre?
Im Punk verankerter Mainstream
Gurk: Auf jeden Fall. Also Nirvana waren eine Rockband, aber eben noch spezifischer gesagt, es war tatsächlich eine Mainstream-Rockband, zu der sie dann wurden mit dem Album "Nevermind", die ganz klar ihre Fundamente und die ganze Ästhetik auf den Grundhaltungen dessen beruhen, was wir eben Punk nennen.
Frenzel: Wenn wir denn jetzt auf dieses Datum kommen, auf den April 1994, den Selbstmord: Dietrich Diedrichsen hat später über diese Selbstmord von Kurt Cobain gesagt, dass darin eigentlich eine Art Statement lag, dass das, was Kurt Cobain, was Nirvana vorher gemacht haben, letztendlich der ganzen Sache erst Authentizität verliehen hat, dass, wenn ich das übersetze, Cobain sterben musste, damit alles, was er vorher gemacht hatte, glaubwürdig bleibt. Ist das ein Gedanke, den Sie teilen können?
Gurk: Ja, ich denke schon. Es gab ja vorher eine ganze Reihe von Rocktoten, Toten der Popkultur, und das waren meistens immer sehr hedonistische Tote gewesen, die oft an Drogenkonsum gekoppelt waren, Leute, die mit 28 aus einem Rausch heraus sich ins Jenseits befördert haben, und bei Kurt Cobain hatte man das Gefühl, dass das eben kein hedonistischer Tod war, sondern eben einer, wo jemand, der eigens von ihm selber besungenen Dystopie noch mal einen besonderen Nachdruck verschafft hat, und es war gleichzeitig auch das Ende einer Zeit, die wir aus den 80er-Jahren kennen, als es so eine Art von Ironie gab, mit der man sich irgendwie der Welt nähert und nichts wirklich ernst gemeint ist, und Nirvana standen eben wirklich so für ein Wiederaufleben einer Punkhaltung, die sagt, alles, was wir machen, ist ernst.
Frenzel: Der Mann hätte heute seinen fünfzigsten Geburtstag, Kurt Cobain. Das ist ja kein Alter eigentlich. Lassen Sie uns mal alternative Ausgänge denken: Kurt Cobain, der könnte doch jetzt wunderbar bei Auftritten gegen Donald Trump dabei sein, oder?
Feministisch und kapitalismuskritisch
Gurk: Das glaube ich auch, genau. Also wenn Kurt Cobain heute leben würde, dann bin ich mir sicher, dass er vor wenigen Wochen bei dem "Women’s March" dabei gewesen wäre. Nirvana standen eben auch … also in der Hinsicht waren sie eben auch eine Punkband, die sehr, sehr stark feministische, kapitalismuskritische Belange vertreten hat, und waren eben auch eine der ersten Gruppen, die wirklich im Mainstream angekommen sind, die für dieses Minderheitliche, also eigentlich eine Kultur der Minderheit eingestanden hat und gezeigt hat, wie stark verbreitet diese Kultur dann doch im Mainstream angekommen ist.
Frenzel: Christoph Gurk, Kurator an den Münchener Kammerspielen, in den 90ern Chefredakteur der Zeitschrift "Spex", in der Zeit des Kurt Cobain. Also heute wäre der amerikanische Musiker 50 Jahre alt geworden. Herr Gurk, ich danke Ihnen für das Interview!
Gurk: Danke, tschüss!
Frenzel: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.