Kurt Weill Fest

Vom Tweet zur Tweetfonie

Von Christian Grasse |
Musikredakteur Christian Grasse hat es geschafft. Seine Twittermelodie wurde Teil der Tweetfonie beim Dessauer Kurt Weill Fest. Twitter-Nutzer konnten 24 Stunden lang Melodien einschicken. Anschließend wurden die Werke in einem Rutsch gespielt.
Die Tweetfonie im Bauhaus Dessau beginnt wie jede Orchester-Aufführung. Die Musiker der Anhaltischen Philharmonie stimmen sich und ihre Instrumente ein. Kurz darauf begrüßt Dirigent Antony Hermus das Publikum im Saal und die Zuschauer im Internet. Was nun folgt, ist eine Premiere in der deutschen Klassikwelt. Ein Orchester spielt Arrangements von Stücken, die nur wenige Stunden zuvor von über 150 Twitter-Nutzern komponiert wurden. Ich war einer von ihnen. Am Sonntag saß ich vor meinem Computer und klickte auf der Webseite tweetfonie.de mit meiner Computermaus auf die Tasten eines virtuellen Klaviers.
Ich nenne mein Stück Tadala, wegen der Triole. Zugegeben, das klingt nicht wirklich spektakulär. Aber: Zu diesem Zeitpunkt standen meine und viele andere Melodien noch ganz am Anfang der Tweetfonie. Michael Kaufmann, Intendant des Kurt Weill Fests in Dessau:
"Wir schicken diese Melodie weiter, irgendwo hin auf der Welt, wo Arrangeure sitzen, aus'm Klassik und Jazz Bereich und sie schreiben daraus einen instrumentierten Orchestersatz."
Einer der knapp 40 Arrangeure und Komponisten lebt in New York. Er heißt Gene Pritsker. Am Montagvormittag bekam er folgende Melodie von Twitter-Nutzer Anton Eckart zugeteilt. Gene Pritsker:
"Ich verleihe dem Stück Farbe. Ich werde Harmonien und Melodien hinzufügen und dafür sorgen, dass es wie ein Orchesterstück klingt.”
Keine Probe, keine Zeit zum Studieren
Gerade mal eine Stunde hat Gene Pritsker mit der Twitter-Melodie von Anton Eckard verbracht. Kurz darauf lagen die Noten ausgedruckt vor den Musikern der Anhaltischen Philharmonie. Keine Probe, keine Zeit zum Studieren des Stücks. Eine Premiere, live im Internet übertragen.
Auch ich saß am Montag vor dem Computermonitor und schaute Antony Hermus per Video-Livestream dabei zu, wie er sein Orchester führte. Um 13 Uhr und noch einmal abends um sieben. Was ich zu der Zeit nicht wusste ist, dass der Komponist Andres Reukauf in Osnabrück an meiner Twitter-Melodie arbeitet. Und zwar während das Konzert bereits lief.
Andres Reukauf: "Ja, das lief folgendermaßen. Am Sonntagabend bekam ich zwei Twitter-Melodien und habe mich gleich an die Arbeit vom ersten gemacht. Das war noch eine andere, nicht Ihre. Darum konnte ich mit Ihrer erst am Montag früh beginnen. Ihre Melodie war kurz und knapp und klar. Da kam mir schnell die Idee, dass ich eine tonale und eingängige Komposition daraus machen werde. Dann habe ich ein halbes Stündchen am Klavier fantasiert und sofort die Idee gehabt, dass die Melodie verlängert werden müsste. Und da kam ich dann bald auf Melodien und Harmonien, die ein bisschen an Piratenfilme aus Hollywood erinnern. Das war durchaus nicht ungewollt.”
Wahrscheinlich im Grabe umdrehen
Die Zuschauer im Bauhaus Dessau waren begeistert. Und ich erst! Wer hätte gedacht, dass aus meiner simplen Melodie so ein symphonisches Feuerwerk werden kann? Die Begeisterung übertrug sich via Internet-Livestream auch auf meinen Kompositions-Partner Andres Reukauf.
"Ich war so fasziniert von der ganzen Sache und sehr begeistert. Vor allem über die Vielfältigkeit der Lösungen. Die Melodien natürlich auch aber die ganzen verschiedenen Orchesterklänge, die mit dem gleichen Orchester zustande kamen, das fand ich extrem faszinierend. Und ich habe mir fast alles angesehen, auch weil natürlich mein - also unser Tweet, unsere Tweetfonie, die kam ja erst ganz am Ende als Schlusspunkt."
Eigentlich war die Tweetfonie schon vorbei als unser Stück gespielt wurde. Dirigent Antony Hermus hatte sich schon bei den Machern, Twitterern, Komponisten und Musikern bedankt. Ich wollte gerade meinen Computer ausschalten, aber dann hörte ich plötzlich meinen Namen und diese wunderbare Komposition von Andres Reukauf. Kurt Weill würde sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen. Vor Freude.
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