Kurz und kritisch

Walter Laqueur schreibt in seinem Buch über Europas Niedergang und darüber, warum der Kontinent in Lethargie verfallen ist. Martin Schulz macht Populismus und Nationalismus dafür verantwortlich, dass Europa die Bürger gegen sich aufbringe.
Europa befinde sich seit einem Jahrhundert im Niedergang und die Europäer scheuten sich vor einer freimütigen Einschätzung ihres Status. Walter Laqueur traut sie sich zu. Als Historiker, der 1921 in Breslau geboren wurde, seit 1955 in Washington und London lebt und lehrt, muss er ja nur auswerten, was er selbst in langen Jahren beobachtet hat.

Europa, vor allem aber die EU scheitere an den Nationalstaaten, an der Vielfalt der Sprachen und Kulturen, auch daran, dass seine Bevölkerung altere, die Geburtenrate sinke und Einwanderer sich nicht integrieren lassen wollten.

Der Mittelstand und die Jugend würden irgendwann rebellieren, weil der Wohlfahrtsstaat seine Versprechen immer weniger halte, der freie Markt krisengeschüttelt versage, zugleich aber eine Plutokratie prächtig gedeihen lasse.

Als sanfte Macht zahle der Kontinent viel in internationale Organisationen, die aber an seinem Einfluss, seinen Idealen wenig interessiert seien, schon gar nicht an seinem Bekenntnis zu Menschenrechten und Demokratie. Gegen alte und neue Großmächte wie die USA, Russland und China komme dieses Europa nicht an - weder militärisch noch diplomatisch.

Er kann belegen, dass Reiche und Kulturen kommen und gehen. Ob sich seine düstere Prognose erfüllen wird, weiß er nicht. Das hänge auch davon ab, wie erfolgreich Euroland mit seiner Krise umgehen werde.

So gesehen wäre es nicht eine düstere Aussicht, sondern angemessen, dass Europa sich nicht um die Rolle einer Supermacht reißt, sondern sich offen zu dem kräftezehrenden Prozess bekennt, all seine Regionen wirtschaftlich und sozial, dabei auch demokratisch weiterentwickeln zu wollen.

Cover: "Walter Laquer: Europa nach dem Fall"
Cover: "Walter Laquer: Europa nach dem Fall"© Herbig-Verlag
Walter Laquer: "Europa nach dem Fall”, Herbig-Verlag München, 360 Seiten, 24,99 Euro.



Auch Martin Schulz schreibt Tacheles. Der deutsche Sozialdemokrat und Präsident des Europäischen Parlaments sieht die EU in einem schlechten Zustand, nimmt Kritik an der Brüsseler Administration durchaus ernst, auch wenn er viele Vorwürfe für ungerechtfertigt hält.

Er prangert Populismus und Nationalismus an, die dafür verantwortlich seien, dass sich Europa in langen Sitzungen zerstreite und die Bürger gegen sich aufbringe. Die Schuld gibt er den Staats- und Regierungschefs sowie deren Ministern, weil sie gerade in der Krise die Macht an sich gerissen hätten, allein um ihrem Egoismus Geltung zu verschaffen.

Echter Gemeinschaftswille finde sich nur im Europäischen Parlament und in der EU-Kommission. Weshalb es an der Zeit sei, die Brüsseler Kommissare wie eine echte Regierung von den Europaabgeordneten wählen zu lassen, ihnen endlich das Recht der Gesetzesinitiative zu geben und den Ministerrat auf eine Zweite Kammer zurechtzustutzen.

Die nächsten Europawahlen im Mai 2014 möchte er institutionell und programmatisch zu einer Richtungsentscheidung machen. Die europäischen Parteien sollten mit Spitzenkandidaten antreten, die sich darum bewerben, die EU-Kommission bilden zu dürfen, und zugleich die Konzepte vorstellen, mit denen sie den Kontinent aus der Krise führen wollen. Und das sollten natürlich nicht jene sein, die ins Debakel der fünf letzten Jahre führten.

Cover: "Martin Schulz: Der gefesselte Riese"
Cover: "Martin Schulz: Der gefesselte Riese"© Verlag Rowohlt
Martin Schulz: "Der gefesselte Riese: Europas letzte Chance”, Verlag Rowohlt, 256 Seiten, 19,95 Euro.