Kurz und kritisch
Tony Judt und Timothy Snyder sezieren in ihrem Buch die politischen Ideen der Moderne. Monika Boll und Raphael Gross untersuchen die Motive jüdischer Intellektueller, nach 1945 in Deutschland zu wirken. Friedrich Wolff erzählt, wie er als "Halbjude" die NS-Zeit überlebte und heute mit dem Kapitalismus ringt.
Es ist eine persönliche Bilanz des 20. Jahrhunderts, eine, die exemplarisch für viele politische Utopien und Bewegungen steht: Der 2010 gestorbene US-amerikanische Historiker und Essayist Tony Judt resümiert in seinem Buch "Nachdenken über das 20. Jahrhundert" die persönlichen Geschichten seiner eigenen Familie, die großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts und die politischen Ideen der Moderne.
Nur wenige Tage nach Fertigstellung des Manuskripts starb Tony Judt an einer unheilbaren Nervenkrankheit, die bei ihm 2008 diagnostiziert wurde. Sein Freund und Kollege, der Historiker Timothy Snyder, führte lange und ausführliche Gespräche mit Tony Judt, die die Basis für dieses Buch bildeten. Jedes Kapitel beginnt mit einem biographischen Beitrag, darauf folgt ein Interviewteil samt historischen Erläuterungen.
Das Buch ist eine kenntnisreiche und leidenschaftliche Hinterlassenschaft eines brillanten Denkers und Historikers – es ist Biographie, Interviewbuch, Geschichtsbuch und eine moralische Abhandlung über die Fragen der Zeit in einem.
Tony Judt, Timothy Snyder: Nachdenken über das 20. Jahrhundert
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork
Carl Hanser Verlag, München 2013, 416 Seiten, 24,90 Euro
Dreizehn Biographien sind in dem Buch "Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können" versammelt: Biographien von jüdischen Intellektuellen, die nach 1945 in Deutschland lehrten, wirkten und publizierten.
Die Motive ihrer Entscheidung, in Deutschland gewesen zu sein, sind unterschiedliche gewesen – allen gemein aber war die immerwährende Vergewisserung, Selbstverortung und Rechtfertigung, als Jude im Land der Täter zu weilen – vor sich und vor anderen.
Zu ihnen gehörten der Dichter Paul Celan, der Schriftsteller Arnold Zweig, der Essayist Jean Améry, die Soziologen Theodor W. Adorno, Ernst Bloch und Max Horkheimer, die Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt und andere.
Sie alle zählen zu einer ersten Generation von Juden im Nachkriegsdeutschland und standen für eine deutsch-jüdische Kultur, an der es mehr als fragwürdig schien, nach dem Holocaust festzuhalten. Nur selten wurden sie willkommen geheißen.
Das Buch, herausgegeben von der Philosophin und Publizistin Monika Boll und dem Historiker Raphael Gross, gibt einen interessanten Einblick in die Atmosphäre der Nachkriegszeit – zwischen Schuldverdrängung, schlechtem Gewissen, Widergutmachung, Aufarbeitung und großer gesellschaftlicher Verunsicherung.
Monika Boll, Raphael Gross (Hg): "Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können. Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 396 Seiten, 14,99 Euro
Über 90 Jahre in vier Deutschländern – resümiert von Friedrich Wolff. Der Rechtsanwalt schildert sein Leben in der Weimarer Republik, der Nazizeit, der DDR und der Bundesrepublik.
Als so genannter Halbjude überlebte er den Krieg in Berlin, studierte später Jura und stieg vom Hilfsrichter zum Hauptreferenten der Abteilung Justiz des Berliner Magistrats auf.
Ab 1953 arbeitete Friedrich Wolff als Rechtsanwalt in der DDR, vertrat dort Kriegsverbrecher und Beteiligte am 17. Juni in vielbeachteten Prozessen, nach der Wende dann Spitzenpolitiker der DDR, darunter auch Erich Honecker.
Seine persönliche Auseinandersetzung mit den schweren Vorwürfen gegen die DDR schildert Friedrich Wolff ausführlich, und verhehlt dabei nicht seinen tiefen Glauben an einen Sozialismus – bis heute.
Mit der DDR hat er nicht abgeschlossen, eine Reform des sozialistischen deutschen Staates wäre seine Wahl gewesen – nicht aber ein "Anschluss", wie er schreibt. Das Leben im Kapitalismus – für Friedrich Wolff ist es bis heute schwer hinnehmbar.
Anhand vieler Erlebnisse aus seinem Berufs- und Privatleben schildert Wolff seine Zweifel an einem anderen System nach der Wende. Die Finanzentwicklungen der letzten Jahre innerhalb Europas bestätigen seine Haltung zur freien Marktwirtschaft.
Sicherlich liest sich die Lektüre für manche wie die eines ewig Gestrigen, der die DDR als Privilegierter zu unkritisch sieht. Gleichzeitig sind seine Erinnerungen an den Umgang mit politischen Umbrüchen ein spannendes Zeitdokument.
Friedrich Wolff: "Ein Leben – vier Mal Deutschland. Erinnerungen: Weimar, NS-Zeit, DDR, BRD"
Papyrossa Verlag, 248 Seiten, 15,00 Euro
Nur wenige Tage nach Fertigstellung des Manuskripts starb Tony Judt an einer unheilbaren Nervenkrankheit, die bei ihm 2008 diagnostiziert wurde. Sein Freund und Kollege, der Historiker Timothy Snyder, führte lange und ausführliche Gespräche mit Tony Judt, die die Basis für dieses Buch bildeten. Jedes Kapitel beginnt mit einem biographischen Beitrag, darauf folgt ein Interviewteil samt historischen Erläuterungen.
Das Buch ist eine kenntnisreiche und leidenschaftliche Hinterlassenschaft eines brillanten Denkers und Historikers – es ist Biographie, Interviewbuch, Geschichtsbuch und eine moralische Abhandlung über die Fragen der Zeit in einem.
Tony Judt, Timothy Snyder: Nachdenken über das 20. Jahrhundert
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork
Carl Hanser Verlag, München 2013, 416 Seiten, 24,90 Euro
Dreizehn Biographien sind in dem Buch "Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können" versammelt: Biographien von jüdischen Intellektuellen, die nach 1945 in Deutschland lehrten, wirkten und publizierten.
Die Motive ihrer Entscheidung, in Deutschland gewesen zu sein, sind unterschiedliche gewesen – allen gemein aber war die immerwährende Vergewisserung, Selbstverortung und Rechtfertigung, als Jude im Land der Täter zu weilen – vor sich und vor anderen.
Zu ihnen gehörten der Dichter Paul Celan, der Schriftsteller Arnold Zweig, der Essayist Jean Améry, die Soziologen Theodor W. Adorno, Ernst Bloch und Max Horkheimer, die Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt und andere.
Sie alle zählen zu einer ersten Generation von Juden im Nachkriegsdeutschland und standen für eine deutsch-jüdische Kultur, an der es mehr als fragwürdig schien, nach dem Holocaust festzuhalten. Nur selten wurden sie willkommen geheißen.
Das Buch, herausgegeben von der Philosophin und Publizistin Monika Boll und dem Historiker Raphael Gross, gibt einen interessanten Einblick in die Atmosphäre der Nachkriegszeit – zwischen Schuldverdrängung, schlechtem Gewissen, Widergutmachung, Aufarbeitung und großer gesellschaftlicher Verunsicherung.
Monika Boll, Raphael Gross (Hg): "Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können. Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 396 Seiten, 14,99 Euro
Über 90 Jahre in vier Deutschländern – resümiert von Friedrich Wolff. Der Rechtsanwalt schildert sein Leben in der Weimarer Republik, der Nazizeit, der DDR und der Bundesrepublik.
Als so genannter Halbjude überlebte er den Krieg in Berlin, studierte später Jura und stieg vom Hilfsrichter zum Hauptreferenten der Abteilung Justiz des Berliner Magistrats auf.
Ab 1953 arbeitete Friedrich Wolff als Rechtsanwalt in der DDR, vertrat dort Kriegsverbrecher und Beteiligte am 17. Juni in vielbeachteten Prozessen, nach der Wende dann Spitzenpolitiker der DDR, darunter auch Erich Honecker.
Seine persönliche Auseinandersetzung mit den schweren Vorwürfen gegen die DDR schildert Friedrich Wolff ausführlich, und verhehlt dabei nicht seinen tiefen Glauben an einen Sozialismus – bis heute.
Mit der DDR hat er nicht abgeschlossen, eine Reform des sozialistischen deutschen Staates wäre seine Wahl gewesen – nicht aber ein "Anschluss", wie er schreibt. Das Leben im Kapitalismus – für Friedrich Wolff ist es bis heute schwer hinnehmbar.
Anhand vieler Erlebnisse aus seinem Berufs- und Privatleben schildert Wolff seine Zweifel an einem anderen System nach der Wende. Die Finanzentwicklungen der letzten Jahre innerhalb Europas bestätigen seine Haltung zur freien Marktwirtschaft.
Sicherlich liest sich die Lektüre für manche wie die eines ewig Gestrigen, der die DDR als Privilegierter zu unkritisch sieht. Gleichzeitig sind seine Erinnerungen an den Umgang mit politischen Umbrüchen ein spannendes Zeitdokument.
Friedrich Wolff: "Ein Leben – vier Mal Deutschland. Erinnerungen: Weimar, NS-Zeit, DDR, BRD"
Papyrossa Verlag, 248 Seiten, 15,00 Euro