Kurz und kritisch

Rezensiert von Stephan Hilsberg |
Michael Hardt und Antonio Negri schreiben ein Manifest für eine neu verfasste Demokratie. Marcel Solar, Marcel Lewandowsky und Frank Decker befassen sich mit der Teilhabe der Wähler an politischen Prozessen. Wolfgang Kraushaar setzt sich mit den neuen sozialen Bewegungen auseinander.
Michael Hardt und Antonio Negri kämpfen für Demokratie. Und obwohl sie es verneinen, verfassten der amerikanische Literaturwissenschaftler und der italienische Politologe ein Manifest. Es ist ein Utopie-Produkt geworden, greift die Impulse der sozialen Bewegungen der letzten Jahre auf und versucht daraus Perspektiven für unsere Demokratie zu entwickeln.

In der Tat waren der arabische Frühling, die Occupy-Bewegung und auch der soziale Protest in Israel ermutigend für alle freiheits- und demokratieliebenden Menschen. Und auch die Demonstrationen in Griechenland, Spanien und Portugal gegen allzu harte Lasten eines brutalen Sparkurses sind richtig.

Hardt und Negri aber sehen in ihnen die Geburtsstunde einer gänzlich neu verfassten Demokratie. Und hier wird der Protest überinterpretiert. Mit Schwärmen, mit Flucht ins Utopische ist keinem Demokraten geholfen. Und Gerichte kann man nicht durch einen breiten Meinungsbildungsprozess ersetzen.

Wer glaubt, die repräsentative Demokratie durch eine Basisdemokratie à la Arbeiter- und Soldatenräte zu verbessern, landet am Ende wieder bei der guten alten Diktatur des letzten Jahrhunderts. Und das ist die Achillesferse des Buches:

Cover: "Michael Hardt/Antonio Negri: Demokratie"
Cover: "Michael Hardt/Antonio Negri: Demokratie"© Campus Verlag
Michael Hardt und Antonio Negri: Demokratie! Wofür wir kämpfen
Campus Verlag Frankfurt-New York, 100 Seiten, 12,90 Euro



Demokratie ohne Wähler? Die Frage klingt provokant, ist aber nicht so gemeint. Tatsächlich halten Marcel Solar, Marcel Lewandowsky und Frank Decker unsere Demokratie für zukunftsfähig. Allerdings, so die Hauptthese der drei Politikwissenschaftler aus Bonn und Lüneburg, müsse es gelingen, mehr Teilhabe an den politischen Prozessen anzubieten.

Denn der Rückzug der Wähler aus der Politik sei ein Warnsignal, aber eines, auf das durchaus reagiert werden könnte. Dies wird mit Untersuchungen am Beispiel von Nordrhein-Westfalen nachgewiesen. Die Autoren plädieren für mehr plebiszitäre Elemente, mehr Beteiligung der Bürger an Personalentscheidungen und für eine Stärkung der innerparteilichen Demokratie.

Sie erweisen sich als Kenner des Innenlebens unserer repräsentativ verfassten Staatsform. Sie vermögen zwischen demokratischem Ideal und den praktischen Herausforderungen der Machtausübung zu unterscheiden. Gerade das macht ihre Hinweise so wertvoll, dass sie ernst genommen werden sollten. Dies würde der Demokratie und den Parteien neue Kräfte zuführen.

Leider ist das Buch, gerade weil es wissenschaftlich sauber arbeitet, sehr trocken geschrieben. Nur am Schluss kommen den Autoren die Gefühle durch, als sie plötzlich vehement für eine Erneuerung des Sozialstaats plädieren. Das mag richtig sein, war aber im ganzen Buch vorher kein Thema.

Vielleicht halten sie ja selber soziale Gerechtigkeit für bedeutender als Teilhabe. Dann allerdings hätten sie dies auch so in ihrer Analyse behandeln sollen.

Cover: "Solar/Lewandowsky/Decker: Demokratie ohne Wähler?"
Cover: "Solar/Lewandowsky/Decker: Demokratie ohne Wähler?"© Verlag J.H.W.Dietz
Marcel Solar, Marcel Lewandowsky und Frank Decker: Demokratie ohne Wähler. Neue Herausforderungen der politischen Partizipation
Verlag J.H.W. Dietz Bonn, 240 Seiten, 18 Euro



Er hat die 68er begleitet und die "Rote Armee Fraktion" beobachtet, auch ein Archiv über "Protest, Widerstand und Utopie in der Bundesrepublik" gegründet. Aus den sogenannten neuen sozialen Bewegungen versucht Wolfgang Kraushaar nun, das innere Wesen herauszuschälen. Und das sei "der Griff nach der Notbremse", so der Politologe im Hamburger Institut für Sozialforschung.

Mit eher linken Fortschrittstheorien werde man ihnen jedenfalls nicht gerecht. Denn ihnen ginge es nicht in erster Linie darum etwas Neues aufzubauen, sondern Widerstand zu artikulieren, ein unübersehbares Stopp-Signal aufzurichten. Und das härteste und grausamste sei der Freitod, wodurch diejenigen, die ihn wählten, zu Märtyrern würden. Dies wiederum verleihe einer Bewegung eine ganz eigene, teilweise durchschlagende Dynamik.

Lesenswert an Kraushaars Buch sind auch die vielen Einzelschilderungen aus der Antiatom- und der Friedensbewegung, aus dem arabischen Frühling oder der Auseinandersetzung um ein Theaterstück, das als antisemitisch verstanden wurde.

Das Buch ist erhellend, wenn auch nicht erschöpfend. Man kann es lesen mit Gewinn.

Cover: "Wolfgang Kraushaar: Der Griff nach der Notbremse"
Cover: "Wolfgang Kraushaar: Der Griff nach der Notbremse"© Verlag Klaus Wagenbach
Wolfgang Kraushaar: Der Griff nach der Notbremse. Nahaufnahmen des Protests
Verlag Klaus Wagenbach Berlin, 144 Seiten, 9,90 Euro
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