Kurz und kritisch

Eine gelungene und entlarvende Analyse der "68er"-Bewegung findet sich genauso unter den Kurzrezensionen wie eine Reportage über eine junge Fußballerin in Palästina sowie die Beschreibung einer Flucht aus Israel.
Die "68er"-Bewegung sei völlig chaotisch gewesen, ihr politisches Handeln durch Spontanaktionen geprägt. Manuel Seitenbecher analysiert sie auf höchstem Niveau: ihr Verständnis von Demokratie und ihre Einstellung zur nationalen Frage, darüber hinaus das Nachdenken über die ewige eigene Schuld angesichts der nationalsozialistischen Biografie der Eltern.

So gesehen offenbart sie, wie es der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer beschrieb, eine traumatisierte Gesellschaft, die sich leicht überschätzt. Die politischen Mittel waren nicht minder diktatorisch als in der Generation ihrer Eltern und Großeltern.

Seitenbecher lässt den Schleier der Verzauberung vom Mythos der "68er" fallen, indem er sie zu verstehen sucht. Und er folgt dem Soziologen Heinz Bude: 1968 stelle das Modell eines Protests dar, das heute vor allem von rechten Jugendbewegungen verwendet wird.

Jede Seite seines Buches fesselt, erstaunt und reißt mit - und das nicht durch verbale Blendgranaten, sondern durch historische gelungene Recherche und erklärende Zusammenhänge. Dem Text liegt eine Dissertation zugrunde, für die er an der Universität Potsdam das "summa cum laude" erhielt.

"Mahler, Maschke & Co.. Rechtes Denken in der 68er-Bewegung?" von Manuel Seitenbecher
"Mahler, Maschke & Co. Rechtes Denken in der 68er-Bewegung?" von Manuel Seitenbecher© Verlag Ferdinand Schöningh
Manuel Seitenbecher :Mahler, Maschke & Co - Rechtes Denken in der 68er-Bewegung?
Ferdinand Schöningh Verlag Paderborn,
600 Seiten, 39,90 Euro


Ein Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten, so formulierte es Sepp Herberger einst. Nicht anders sieht es Walaa, eine junge, ballaffine Israelin und Palästinenserin, die Bälle über Grenzen schießt. Und sie spielt grandios.

Ein Mädchen, das den Nahostkonflikt sportlich und fair nehmen möchte. Sie kickt in der israelischen wie in der palästinensischen Nationalmannschaft und auch im Team von Bethlehem. Schließlich, so sagt sie, spiele Lionel Messi auch in Spanien in der Liga und in Argentinien in der Nationalmannschaft".

Noemi Schneider hat sie begleitet, befragt und je mehr sie erfahren hat, desto weniger verstand sie. Die Journalistin stellt die Welt wie eine Flughafenhalle dar, wo dem Fluggast rauchende, orthodoxe Jugendliche, Russinnen mit Designertaschen, Araber mit Gebetsketten und deutsche Geschäftsleute vor ihrem Weißbier begegnen.
Sie will den Nahostkonflikt verstehen und verknüpft dies auf gelungene Weise mit der Reportage über Walaa Hussein. Mit einer Gebrauchsanweisung für Fußball, Feminismus und Regionalpolitik erweckt sie Interesse, es ihr nachzutun.

Buchcover: "Kick it, Walaa!: Das Mädchen, das über Grenzen geht" von Noemi Schneider
Buchcover: "Kick it, Walaa!: Das Mädchen, das über Grenzen geht" von Noemi Schneider© Knaur HC
Noemi Schneider: Kick it, Walaa! - Das Mädchen, das über Grenzen geht
Droemer Knaur Verlag München
272 Seiten, 16,99 Euro


Sie werde mitten durch Israel, Tel Aviv und durch fremdes Leben gerissen, begegne dabei säkularen, orthodoxen und ultraorthodoxen Juden. Sehr naiv beschreibt Isabelle Neulinger ihre Euphorie am Anfang, damals als sie sich den jüdischen Wurzeln ihrer Familie zugewandt hatte und ihren Glauben in Israel leben möchte, weshalb sie aus der Schweiz nach Israel geht.

Abenteuerlich und sehr bildhaft erzählt sie ihre Einreise ins Land, erwähnt, dass sie sich zuvor von Hab und Gut getrennt habe und ihr ganzes Leben nunmehr in sechs Koffer passe. Doch was sie erlebt, so erfährt der Leser, wird um ein vielfaches schwerer als ihr vergleichsweise kleines Gepäck.

Und oft wundert man sich, warum nichts in ihr Alarm schlug, warum sie so viele Tragödien erleben musste, bevor sie aus dem Traum gerissen mit ihrem kleinen Sohn Israel wieder verließ.

Sie entfloh dem zermürbenden Rechtsstreit mit einem Ehemann, den sie als religiös wenig interessiert kennengelernt hatte und der für sie überraschend in ein streng religiöses Leben wechselte.

Indem sie schreibt, findet sich Isabelle Neulinger selbst. Das Ende des Buches liest sich deswegen überhaupt nicht mehr naiv, sondern überzeugender und schneller. Endlich reagiert sie und beendet die Selbstdemontage.

"Meinen Sohn bekommt ihr nie: Flucht aus dem gelobten Land" von Isabelle Neulinger
"Meinen Sohn bekommt ihr nie: Flucht aus dem gelobten Land" von Isabelle Neulinger© Verlag Nagel & Kimche AG
Isabelle Neulinger: Meinen Sohn bekommt Ihr nie - Flucht aus dem gelobten Land
Verlag Nagel & Kimche Zürich,
208 Seiten, 17,90 Euro