Kurz und kritisch
In "Unterwegs verloren" zieht Ruth Klüger Bilanz über ein erfolgreiches, aber zerklüftetes Leben. Dieter Otten tritt mit "Die 50+-Studie" Vorurteilen gegenüber jungen Alten entgegen. Und Christine Gräfin von Brühl begibt sich für "Noblesse oblige" auf einen Streifzug durch eine anachronistische Parallelgesellschaft.
Ruth Klüger: Unterwegs verloren
Zsolnay Verlag, Wien
Die Leute starren auf ihr Handgelenk und reden über die Armbanduhr. Ist Ruth Klüger eine modische Trendsetterin? Nein, ein Opfer verschämter Schaulust. Ihre KZ-Tätowierung provoziert Hinstarren und Drumherumreden. Auch nachdem sie das Brandmal hat entfernen lassen, bleibt sie eine potenziell Verfolgte. Selbst auf avancierten beruflichen Positionen – bis zur Princeton-Professorin hat sie es gebracht – kann sie nie ihr Misstrauen niederkämpfen, als Jüdin oder Frau oder beides zusammen diskriminiert zu sein. "Unterwegs verloren" ist das bittere Resümee eines nominell erfolgreichen, in der eigenen Bewertung aber stark zerklüfteten Lebens mit gescheiterter Ehe, abtrünnig gewordenen Kindern und endlosen, meist verlorenen Kämpfen um Anerkennung im Wissenschafts- und Literaturbetrieb. Offen, mutig, schonungslos vermag das Buch jüngeren intellektuellen Frauen wenig Zuversicht einzuflößen. Dennoch – oder gerade darum – ein autobiographischer Meilenstein: So schreibt nämlich nur, wer im Inneren unzerstört geblieben ist.
Dieter Otten: Die 50+-Studie - Wie die jungen Alten die Gesellschaft revolutionieren
Rowohlt Verlag, Reinbek 2008
Das kann nur ein Mann bringen: Schon auf dem Deckblatt prangt der Professorentitel. Nicht widersprechen, ich bin Akademiker? Uni Osnabrück ... na ja. Aber Dieter Otten – Verzeihung, Professor Otten – will den Medien mit seiner 50+-Studie ordentlich in die Parade fahren und das Gerede von der überalternden Gesellschaft stoppen. Die 50- bis 70-Jährigen sind nämlich nicht alt, verknöchert und konservativ, sondern gereifte linksliberale Humanisten. Ihr revolutionärer Überschwang von anno dazumal wich einer milden Weltverbesserungsbereitschaft. Sie sind "sozialpolitisch progressiv, atheistisch, pazifistisch, gewaltig grün”. Wer sich fragt, wie er eine eventuell konträre Weltwahrnehmung damit in Einklang bringen soll, muss zwischen den Zeilen lesen. Die Studie basiert auf 50- bis 70-jährigen Internetnutzern ... die aber verkörpern kaum den Alters-Mainstream. In dubio pro domo – der 64-jährige Autor hält schon mal den Rahmen hoch, durch den er sich selbst betrachtet sehen will.
Christine Gräfin von Brühl: Noblesse oblige – Die Kunst, ein adeliges Leben zu führen.
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main
Alt sind die Sitten und Gebräuche, die Christine Gräfin von Brühl beschreibt. Die Journalistin, die normalerweise dezent enttitelt auftritt, macht sich auf einen Streifzug durch eine anachronistische Parallelgesellschaft. Ja, es gibt ihn noch, den Adel mit seinen strengen Verhaltensnormen und einer harschen Apartheitspolitik. Nach wie vor gelten Heiraten mit Bürgerlichen als krasser Abstieg, selbst wenn die Bürgerlichen wohlhabender sind als der alte Adel. Das launig geschriebene Buch schildert Jagdpartien, Edelinternate, Debütantenbälle, kramt in versonnenen Kindheitserinnerungen und lässt eigentlich nur eine Frage offen: Warten die wirklich auf die Restitution oder haben sie einfach den Anschluss verpasst? Man argwöhnt Letzteres.
Zsolnay Verlag, Wien
Die Leute starren auf ihr Handgelenk und reden über die Armbanduhr. Ist Ruth Klüger eine modische Trendsetterin? Nein, ein Opfer verschämter Schaulust. Ihre KZ-Tätowierung provoziert Hinstarren und Drumherumreden. Auch nachdem sie das Brandmal hat entfernen lassen, bleibt sie eine potenziell Verfolgte. Selbst auf avancierten beruflichen Positionen – bis zur Princeton-Professorin hat sie es gebracht – kann sie nie ihr Misstrauen niederkämpfen, als Jüdin oder Frau oder beides zusammen diskriminiert zu sein. "Unterwegs verloren" ist das bittere Resümee eines nominell erfolgreichen, in der eigenen Bewertung aber stark zerklüfteten Lebens mit gescheiterter Ehe, abtrünnig gewordenen Kindern und endlosen, meist verlorenen Kämpfen um Anerkennung im Wissenschafts- und Literaturbetrieb. Offen, mutig, schonungslos vermag das Buch jüngeren intellektuellen Frauen wenig Zuversicht einzuflößen. Dennoch – oder gerade darum – ein autobiographischer Meilenstein: So schreibt nämlich nur, wer im Inneren unzerstört geblieben ist.
Dieter Otten: Die 50+-Studie - Wie die jungen Alten die Gesellschaft revolutionieren
Rowohlt Verlag, Reinbek 2008
Das kann nur ein Mann bringen: Schon auf dem Deckblatt prangt der Professorentitel. Nicht widersprechen, ich bin Akademiker? Uni Osnabrück ... na ja. Aber Dieter Otten – Verzeihung, Professor Otten – will den Medien mit seiner 50+-Studie ordentlich in die Parade fahren und das Gerede von der überalternden Gesellschaft stoppen. Die 50- bis 70-Jährigen sind nämlich nicht alt, verknöchert und konservativ, sondern gereifte linksliberale Humanisten. Ihr revolutionärer Überschwang von anno dazumal wich einer milden Weltverbesserungsbereitschaft. Sie sind "sozialpolitisch progressiv, atheistisch, pazifistisch, gewaltig grün”. Wer sich fragt, wie er eine eventuell konträre Weltwahrnehmung damit in Einklang bringen soll, muss zwischen den Zeilen lesen. Die Studie basiert auf 50- bis 70-jährigen Internetnutzern ... die aber verkörpern kaum den Alters-Mainstream. In dubio pro domo – der 64-jährige Autor hält schon mal den Rahmen hoch, durch den er sich selbst betrachtet sehen will.
Christine Gräfin von Brühl: Noblesse oblige – Die Kunst, ein adeliges Leben zu führen.
Eichborn Verlag, Frankfurt am Main
Alt sind die Sitten und Gebräuche, die Christine Gräfin von Brühl beschreibt. Die Journalistin, die normalerweise dezent enttitelt auftritt, macht sich auf einen Streifzug durch eine anachronistische Parallelgesellschaft. Ja, es gibt ihn noch, den Adel mit seinen strengen Verhaltensnormen und einer harschen Apartheitspolitik. Nach wie vor gelten Heiraten mit Bürgerlichen als krasser Abstieg, selbst wenn die Bürgerlichen wohlhabender sind als der alte Adel. Das launig geschriebene Buch schildert Jagdpartien, Edelinternate, Debütantenbälle, kramt in versonnenen Kindheitserinnerungen und lässt eigentlich nur eine Frage offen: Warten die wirklich auf die Restitution oder haben sie einfach den Anschluss verpasst? Man argwöhnt Letzteres.