Kurz und kritisch

"Solferino" handelt von dem klein Ort, der bekannt geworden ist durch die Schlacht aus dem Jahre 1859. "Eine Welt in Scherben" gräbt nach Spuren großer Geister im 18. Jahrhundert. "Zwölf Jahre - Eine Jugend in Ostdeutschland" dreht sich um das Leben in der DDR.
lrich Ladurner: Solferino - Kleine Geschichte eines großen Schauplatzes,
Residenz Verlag

"Den 28ten habe ich mit dem Losziehen verspielt und die sehr schöne Nr. 2 gezogen" ... leider ist das ein schlechtes Los! Es schickt den Südtiroler Gemeindeschreiber, der hier Tagebuch führt, als Soldat nach Solferino. Ulrich Ladurners Urgroßvater ist es, der 1859 an einer der blutigsten Schlachten des 19. Jahrhunderts teilnimmt.

Solferino? Der Genfer Kaufmann Henry Dunant gründete angesichts des Schlachtfeldgrauens das Rote Kreuz – aber sonst wissen wir wenig über den Ort, die Hintergründe und die Akteure des Feldzugs. Mit dem Tagebuch des Urgroßvaters in der Hand führt uns Ladurner in einer beklemmenden historischen Reportage den grundsätzlichen Schrecken des Krieges vor Augen. Sein Urgroßvater überlebte unversehrt. Das glückte nur wenigen – zu viele wurden in einem Waffengang zwischen Frankreich und Österreich dahingeschlachtet, der sich nur aus Prestigegründen vollzog.


André Thiele: Eine Welt in Scherben,
Essays & Historien. VAT-Verlag

Ein kleines Wörtchen markiert den Unterschied: "Die deutsche Philologie kann ja durchaus Besonderes leisten, wenn sie will, und wenn sie entweder nicht von Philologen oder nicht von Deutschen betrieben wird." Stünde ein "oder" statt des "und", wäre dieser Satz polemisch. So ist er polemisch und boshaft – wie das ganze Brevier von André Thiele, in dem ein Jurist den Philologen zeigt, wie Philologie eigentlich geht: Angriffslustig, luzide und mit gewaltigem Ideenüberschuss. "Eine Welt in Scherben" gräbt im unerschöpflichen 18. Jahrhundert nach Spuren nicht kanonisierter großer Geister wie dem Berliner Aufklärer Saul Ascher, dem Bauerndichter Hinrich Janssen, dem Dichtersonderling Johann Karl Wezel.

Immer wieder stößt man auf die Kernfrage der historischen Zunft: Wie werden Interessenlagen zu angewandter Politik? Dem Stil und den Methoden Peter Hacks’ verpflichtet, ist diese historische Essayistik ein Muss für jeden freien Geist: Unabhängig, eigenwillig, brillant.


Joel Agee: Zwölf Jahre - Eine Jugend in Ostdeutschland,
Hanser Verlag

Die ganzen Weihnachtsfeiertage 1958 hindurch spielen sie ein Brettspiel, das in ihrem Staat Zeit seines Bestehens nie offiziell erlaubt sein wird: Monopoly. Die Angehörigen der DDR-Nomenklatura, die Joel Agee in seinen Kindheitserinnerungen mit dieser Szene wiederaufleben lässt, sind gespaltene Wesen. Sie reden anders, als sie gerne lebten. Wie Agees Stiefvater Bodo Uhse gehen die zumeist weltläufigen Ex-Emigranten allmählich an den realen Verhältnissen im Stalinismus zugrunde.

Auch der pubertierende Jüngling, Sohn eines amerikanischen Schriftstellers, hätte die DDR vermutlich kaum heil überstanden, wäre seine Mutter nicht 1960 mit ihren Kindern wieder in die USA zurückgekehrt. Überall eckt er an im Gleichmacherstaat, den er 1982 mit spitzer Feder – und ohne jeglichen Interpretationszierrat - aus der Sicht des Kindes beschrieb. Endlich wieder aufgelegt, halten wir mit diesem Buch ein Lebensprotokoll aus der frühen DDR in den Händen, das mal nicht von ideologischen Grundannahmen verzerrt wird.
Cover:"lrich Ladurner: Solferino"
Cover:"lrich Ladurner: Solferino"© Residenz Verlag
Cover: "André Thiele: Eine Welt in Scherben“
Cover: "André Thiele: Eine Welt in Scherben“© VAT-Verlag
Cover: "Joel Agee: Zwölf Jahre - Eine Jugend in Ostdeutschland"
Cover: "Joel Agee: Zwölf Jahre - Eine Jugend in Ostdeutschland"© Hanser Verlag