Kurz und kritisch
Wie hat sich der Zusammenbruch des Kaiserreiches ausgewirkt und was ist dran an der Kriegserfahrung Hitlers, mit der er sich zum Volkshelden stilisierte? Die hier empfohlenen Bücher versuchen, eine Antwort auf diese Fragen zu geben. Außerdem stellen wir in dieser Woche eine Neuerscheinung zum Hitler-Stalin-Pakt vor.
Adolf Hitler hat den Krieg von seiner finstersten Seite kennengelernt: Als Meldegänger an der Westfront im Ersten Weltkrieg, als Wanderer zwischen den Schützengräben und im Niemandsland, ständig vom Tode bedroht. Mit dieser Heldenbiografie beglaubigte Hitler seine mythische Verbundenheit mit dem deutschen Volk. Die Einheit von Führer und Volk haben nicht nur jene akzeptiert, die ihm gefolgt sind. Hitler hat schon früh das ganze "deutsche Volk" in eine tödliche Umarmung genommen, deren Spuren uns noch heute anhaften. Der deutsche Historiker Thomas Weber, der seit langem in Großbritannien forscht und lehrt, hat die Legende nun auf geradezu kriminalistische Weise geknackt. Das Ergebnis: Adolf Hitler war kein Frontkämpfer und galt bei den Kameraden als Einzelgänger; vor allem bewies er keinerlei Führungsqualitäten. Webers minutiöse Analyse ist ungemein spannend. Und an diesem Autor zeigt sich: Der Blick aus dem europäischen Ausland auf Deutschland befreit offenbar von manchen Verzerrungen. Das Buch lohnt eine erneute Diskussion, nicht nur, aber auch über das Selbstbild der Deutschen.
Thomas Weber: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg - Mythos und Wahrheit, aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Propyläen Verlag
Das Wesen totalitärer Herrschaften lässt sich komplex erfassen anhand des Hitler-Stalin-Paktes - jener Nichtangriffs-Vereinbarung, in deren geheimem Zusatzprotokoll bereits die Spaltung Europas angelegt ist. Erst nach dem Fall der Sowjetunion ließ die zerstörerische Wirkung des Paktes auf die Identität vor allem der Ost- und mitteleuropäischen Staaten nach - überwunden sind die Folgen bis heute nicht. Die Herausgeber einer Anthologie über das folgenreiche Bündnis von 1939 verweisen darauf, dass es weiterhin Deutungskonflikte gibt, die erhebliche politische Sprengkraft besitzen. Bereits das Titelblatt illustriert die Affinität beider Diktatoren, denn deren Pakt kam nicht trotz der Unterschiede zwischen den verfeindeten Staaten, sondern aufgrund der vielen Gemeinsamkeiten zustande – schreibt die Historikerin Susanne Schattenberg. Ihr Beitrag eröffnet den an Autoren und Themen reichen Band: Er widmet sich der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, beleuchtet die deutsche und die sowjetische Besatzungspolitik sowie die Geschichtspolitik und Aspekte des kollektiven Gedächtnisses. Eine erhellende, gut lesbare Dokumentation.
Manfred Sapper und Volker Weichsel (Hrsg.): Der Hitler-Stalin-Pakt. Der Krieg und die europäische Erinnerung, aus der Reihe ‚Osteuropa’, Berliner Wissenschafts-Verlag
Hier ist ein scheinbar nur historisches Thema - das Scheitern des deutschen Kaiserreiches - so brillant aufgearbeitet, dass sich auch für die Gegenwart eine Botschaft ergibt. Carl Schmitt beschreibt in seinem Text von 1934, wie sich aus der dialektischen Beziehung von Soldat und Bürger die Identität einer Nation konstituiert. Der Soldat definiert demnach die Außensicht: also Außenpolitik, Identität; der Bürger hingegen die Innensicht: also Innenpolitik, Leistungsfähigkeit. Der Soldat verkörpert damit gewissermaßen das Gesicht, der Bürger das Herz. Ohne Gesicht keine Identität, ohne Herz keine Funktion. Anhand dieses Schemas klärt sich auch die Bedeutung aktueller Entwicklungen: etwa die Abschaffung der Wehrpflicht oder der Umstand, dass die Außenpolitik zwischen nationalen und internationalen Interessen offenbar nicht mehr zu unterscheiden in der Lage ist. Eine schwierige, aber lohnende Lektüre.
Carl Schmitt (hrsg. von Günter Maschke): Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, Verlag Duncker und Humblot
Thomas Weber: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg - Mythos und Wahrheit, aus dem Englischen von Stephan Gebauer, Propyläen Verlag
Das Wesen totalitärer Herrschaften lässt sich komplex erfassen anhand des Hitler-Stalin-Paktes - jener Nichtangriffs-Vereinbarung, in deren geheimem Zusatzprotokoll bereits die Spaltung Europas angelegt ist. Erst nach dem Fall der Sowjetunion ließ die zerstörerische Wirkung des Paktes auf die Identität vor allem der Ost- und mitteleuropäischen Staaten nach - überwunden sind die Folgen bis heute nicht. Die Herausgeber einer Anthologie über das folgenreiche Bündnis von 1939 verweisen darauf, dass es weiterhin Deutungskonflikte gibt, die erhebliche politische Sprengkraft besitzen. Bereits das Titelblatt illustriert die Affinität beider Diktatoren, denn deren Pakt kam nicht trotz der Unterschiede zwischen den verfeindeten Staaten, sondern aufgrund der vielen Gemeinsamkeiten zustande – schreibt die Historikerin Susanne Schattenberg. Ihr Beitrag eröffnet den an Autoren und Themen reichen Band: Er widmet sich der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg, beleuchtet die deutsche und die sowjetische Besatzungspolitik sowie die Geschichtspolitik und Aspekte des kollektiven Gedächtnisses. Eine erhellende, gut lesbare Dokumentation.
Manfred Sapper und Volker Weichsel (Hrsg.): Der Hitler-Stalin-Pakt. Der Krieg und die europäische Erinnerung, aus der Reihe ‚Osteuropa’, Berliner Wissenschafts-Verlag
Hier ist ein scheinbar nur historisches Thema - das Scheitern des deutschen Kaiserreiches - so brillant aufgearbeitet, dass sich auch für die Gegenwart eine Botschaft ergibt. Carl Schmitt beschreibt in seinem Text von 1934, wie sich aus der dialektischen Beziehung von Soldat und Bürger die Identität einer Nation konstituiert. Der Soldat definiert demnach die Außensicht: also Außenpolitik, Identität; der Bürger hingegen die Innensicht: also Innenpolitik, Leistungsfähigkeit. Der Soldat verkörpert damit gewissermaßen das Gesicht, der Bürger das Herz. Ohne Gesicht keine Identität, ohne Herz keine Funktion. Anhand dieses Schemas klärt sich auch die Bedeutung aktueller Entwicklungen: etwa die Abschaffung der Wehrpflicht oder der Umstand, dass die Außenpolitik zwischen nationalen und internationalen Interessen offenbar nicht mehr zu unterscheiden in der Lage ist. Eine schwierige, aber lohnende Lektüre.
Carl Schmitt (hrsg. von Günter Maschke): Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches. Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, Verlag Duncker und Humblot