Kurz und kritisch
Bastian Obermayer und Rainer Stadler befragen die Benediktiner über sexuellen Missbrauch im Kloster Ettal, Jürgen Dehmers klagt die Lehrer der Odenwaldschule an und Jürgen Elkers räsonniert über "Eros und Herrschaft".
"Bruder, was hast Du getan?", fragen die beiden Journalisten Bastian Obermayer und Rainer Stadler die Benediktiner des bayerischen Klosters Ettal. Sie hatten bereits im Magazin der Süddeutschen Zeitung darüber berichtet, dass in der Schule und im Internat der abgeschiedenen Abtei Jahrzehnte lang Schüler körperlich, aber auch sexuell misshandelt worden waren.
Anschließend recherchierten sie viele der erschreckenden Opfergeschichten, um einen umfassenden Bericht zu schreiben und auch wirklich zu veröffentlichen – so wie es ursprünglich die Mönche selbst versprochen hatten mit ihren eigenen Untersuchungen.
Einer kurzen, vielleicht auch belanglosen Passage gelingt es ganz besonders nachzuwirken. Da will ein Mönch einem Jungen drohend vor Augen führen, dass Gott dessen Verhalten nicht billige. Im Kontrast dazu erfährt der Leser aus den Lebensläufen, dass die geistlichen Lehrer des Klostergymnasiums an renommierten theologischen Hochschulen studiert haben.
Obschon fachlich hoch anspruchsvoll, führten sie sich selbst als religiöse Einfaltspinsel vor, die nie gelernt zu haben scheinen, dass sie "Gott" nicht instrumentalisieren dürfen. Nicht nur theologisch, auch pädagogisch überschritten sie ihre Grenzen. Sie verfügten weder persönlich noch als Gruppe über eine wirksame Selbstkontrolle und Offenheit, waren schließlich nicht in der Lage, sich ihre Schuld einzugestehen.
Bruder, was hast Du getan? Bastian Obermayer und Rainer Stadler über das Kloster Ettal - Die Täter, die Opfer, das System, Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln.
"Wie laut soll ich denn noch schreien?, klagt Jürgen Dehmers fragend die Lehrer der Odenwaldschule nahe der hessischen Stadt Heppenheim an. Vergeblich hatte er von ihnen verlangt, sie sollten vergangene Schulzeiten umfassend aufarbeiten, sich auch zu den Fehlern ihrer Reformpädagogik bekennen, zum Missbrauch von Macht und Sex im Umgang mit Jugendlichen.
Seine Klage wurde zwar gehört, aber er lief ins Leere, sah sich als Opfer zum Störenfried gemacht. Nun hat er sich von seinen Erwartungen an die alte Schule gelöst und selbst ein Buch geschrieben.
Jürgen Dehmers erzählt, wie er vom damaligen Schulleiter Gerold Becker sexuell belästigt wurde, wie ihn die Erinnerung daran bis heute verfolgt, wie er sich zu therapieren versucht – erst durch den Sport, dann durch das jahrelange Ringen um Aufklärung, das zum Anrennen gegen die Mauer des Schweigens wurde.
Es war vergeblich, weil mittlerweile alle Straftaten verjährt sind, ohne dass sie verfolgt wurden. Es war erfolgreich, weil er das reformpädagogische Konzept der Odenwaldschule nunmehr als "Heucheldemokratie" entlarvt sieht, in der Schüler systematisch von ihren Lehrern und Erziehern missbraucht wurden.
Wie laut soll ich denn noch schreien? Jürgen Dehmers über die Odenwaldschule und den sexuellen Missbrauch, Rowohlt Verlag Reinbek.
Das katholische Klostergymnasium Ettal und die reformpädagogische Odenwaldschule gleichen sich. Sie sind elitäre Internate, die ihren eigenen Prinzipien nicht gerecht wurden. Sie sind an sich selbst gescheitert. Für Jürgen Oelkers, Pädagogikprofessor in Zürich, liegt der Fehler darin, dass nie die Praxis solcher Vorzeigeschulen unter die Lupe genommen wurde. Denn sie seien allein durch ihre glanzvolle Selbstdarstellung und die Lobreden ihrer Anhänger berühmt geworden.
Nachdem die Fälle sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule bekannt wurden, hat er sich zum dritten Mal daran gemacht, die Quellen der Reformpädagogik zu studieren. Er beschränkt seine Analyse auf vier Landerziehungsheime und auf den Zeitraum von 1889 bis 1933.
Modellschulen, so sein Resümee, seien nicht erfolgreicher als andere Schulen. Reformpädagogik beschränke sich nicht auf ihre Gralshüter. Echten Fortschritt macht Jürgen Oelkers auch nicht an privaten, sondern an staatlichen Schulen aus. Er lobt engagierte Volksschullehrer der damaligen Zeit, welche Standards setzten, die uns heute selbstverständlich erscheinen.
Dem antik angehauchten Bildungsideal selbsternannter Reformer kann er dagegen nur wenig abgewinnen. Wo nicht Irrtümer festzuhalten sind, fehlt ihm der Nachweis des Erfolgs.
Eros und Herrschaft. Jürgen Oelkers über die dunklen Seiten der Reformpädagogik, Beitz Verlag Weinheim und Basel.
Anschließend recherchierten sie viele der erschreckenden Opfergeschichten, um einen umfassenden Bericht zu schreiben und auch wirklich zu veröffentlichen – so wie es ursprünglich die Mönche selbst versprochen hatten mit ihren eigenen Untersuchungen.
Einer kurzen, vielleicht auch belanglosen Passage gelingt es ganz besonders nachzuwirken. Da will ein Mönch einem Jungen drohend vor Augen führen, dass Gott dessen Verhalten nicht billige. Im Kontrast dazu erfährt der Leser aus den Lebensläufen, dass die geistlichen Lehrer des Klostergymnasiums an renommierten theologischen Hochschulen studiert haben.
Obschon fachlich hoch anspruchsvoll, führten sie sich selbst als religiöse Einfaltspinsel vor, die nie gelernt zu haben scheinen, dass sie "Gott" nicht instrumentalisieren dürfen. Nicht nur theologisch, auch pädagogisch überschritten sie ihre Grenzen. Sie verfügten weder persönlich noch als Gruppe über eine wirksame Selbstkontrolle und Offenheit, waren schließlich nicht in der Lage, sich ihre Schuld einzugestehen.
Bruder, was hast Du getan? Bastian Obermayer und Rainer Stadler über das Kloster Ettal - Die Täter, die Opfer, das System, Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln.
"Wie laut soll ich denn noch schreien?, klagt Jürgen Dehmers fragend die Lehrer der Odenwaldschule nahe der hessischen Stadt Heppenheim an. Vergeblich hatte er von ihnen verlangt, sie sollten vergangene Schulzeiten umfassend aufarbeiten, sich auch zu den Fehlern ihrer Reformpädagogik bekennen, zum Missbrauch von Macht und Sex im Umgang mit Jugendlichen.
Seine Klage wurde zwar gehört, aber er lief ins Leere, sah sich als Opfer zum Störenfried gemacht. Nun hat er sich von seinen Erwartungen an die alte Schule gelöst und selbst ein Buch geschrieben.
Jürgen Dehmers erzählt, wie er vom damaligen Schulleiter Gerold Becker sexuell belästigt wurde, wie ihn die Erinnerung daran bis heute verfolgt, wie er sich zu therapieren versucht – erst durch den Sport, dann durch das jahrelange Ringen um Aufklärung, das zum Anrennen gegen die Mauer des Schweigens wurde.
Es war vergeblich, weil mittlerweile alle Straftaten verjährt sind, ohne dass sie verfolgt wurden. Es war erfolgreich, weil er das reformpädagogische Konzept der Odenwaldschule nunmehr als "Heucheldemokratie" entlarvt sieht, in der Schüler systematisch von ihren Lehrern und Erziehern missbraucht wurden.
Wie laut soll ich denn noch schreien? Jürgen Dehmers über die Odenwaldschule und den sexuellen Missbrauch, Rowohlt Verlag Reinbek.
Das katholische Klostergymnasium Ettal und die reformpädagogische Odenwaldschule gleichen sich. Sie sind elitäre Internate, die ihren eigenen Prinzipien nicht gerecht wurden. Sie sind an sich selbst gescheitert. Für Jürgen Oelkers, Pädagogikprofessor in Zürich, liegt der Fehler darin, dass nie die Praxis solcher Vorzeigeschulen unter die Lupe genommen wurde. Denn sie seien allein durch ihre glanzvolle Selbstdarstellung und die Lobreden ihrer Anhänger berühmt geworden.
Nachdem die Fälle sexuellen Missbrauchs an der Odenwaldschule bekannt wurden, hat er sich zum dritten Mal daran gemacht, die Quellen der Reformpädagogik zu studieren. Er beschränkt seine Analyse auf vier Landerziehungsheime und auf den Zeitraum von 1889 bis 1933.
Modellschulen, so sein Resümee, seien nicht erfolgreicher als andere Schulen. Reformpädagogik beschränke sich nicht auf ihre Gralshüter. Echten Fortschritt macht Jürgen Oelkers auch nicht an privaten, sondern an staatlichen Schulen aus. Er lobt engagierte Volksschullehrer der damaligen Zeit, welche Standards setzten, die uns heute selbstverständlich erscheinen.
Dem antik angehauchten Bildungsideal selbsternannter Reformer kann er dagegen nur wenig abgewinnen. Wo nicht Irrtümer festzuhalten sind, fehlt ihm der Nachweis des Erfolgs.
Eros und Herrschaft. Jürgen Oelkers über die dunklen Seiten der Reformpädagogik, Beitz Verlag Weinheim und Basel.