Herbert Maurer: Und Gott spricht Armenisch. Zwischen Menschen und Sprache
Klever Verlag, Wien 2015
132 Seiten, 16,90 Euro
Einblicke in die armenische Realität
Das Buch "Und Gott spricht Armenisch" ist der sperrige und rätselhafte Versuch Herbert Maurers, die armenische Realität ins Poetische zu übersetzten. "Verlust und Vermächtnis" von Mihran Dabag und Kristin Platt wiederum ist eine unverzichtbare Quelle zum selben Thema.
Der österreichische Schriftsteller Herbert Maurer hat so etwas wie 'literarische Versuche' zum Thema Armenien vorgelegt. Er möchte die Realität ins Poetische übersetzen, sagt er. Herausgekommen sind 20 kurze Texte über "die Menschen", so die Kapitelüberschrift, dazu ein paar Versuche zur armenischen Sprache sowie ein Glossar. Immer mal wieder geistert Thomas Bernhard durch die Zeilen, doch man weiß nicht, wieso.
Der Autor gefällt sich in Geheimniskrämerei, schreibt schwer begreifliche Texte über die Wichtigkeit von Unterhosen und Brillen als Mangelware, fügt ein paar neugierig machende Dichterporträts hinzu, sowie viele Andeutungen für Eingeweihte. Das kann dann so klingen, Zitat:
"Nichts ist erfunden"
"Nur das Verstehen, das einander Verstehen hält uns am Leben, das 'einander Lesen'. Die Armenier haben diese Kunst verinnerlicht und deshalb leben sie trotz aller Verfolgung inmitten vieler Kulturen noch weiter. (…) Alles ist wirklich, nichts ist erfunden."
Ein kleines, sprödes, merkwürdiges Buch, sperrig und rätselhaft. Eher die Spielerei eines selbstverliebten Autors, als die erhellende Sicht auf armenische Menschen und Kultur.
Ein ausgezeichnetes und wichtiges Buch hingegen ist der Sammelband "Verlust und Vermächtnis". Ein Buch, das zum Zuhören einlädt. Die Herausgeber haben Zeitzeugenaussagen von sieben Überlebenden vorgelegt, ausdrücklich unkommentiert und wenig bearbeitet. Denn das Schweigen soll überwunden, die "Zeugnisse individueller Personen" unverfälscht wahrgenommen werden.
Der Genozid an den Armeniern geriet im politischen Gedächtnis der westlichen Staaten rasch in Vergessenheit und Opfern werden die Ungeheuerlichkeiten ohnehin selten geglaubt. Manche der Augenzeugen öffneten sich für dieses Projekt erstmals in ihrem Leben, häufig waren sie die einzigen Überlebenden ihrer Familie.
Wir vernehmen Stimmen aus einer spurlos zerstörten Welt im Osmanischen Reich kurz vor dem Ersten Weltkrieg: von Kindheit und Jugend wird erzählt, von Deportationen und Massakern, vom Überleben und dem Leben "danach". Über den Völkermord wird reflektiert, über Geschichte, Tradition, Familie, Religion. Verlust und Entwürdigung werden in Worte gefasst, Scham und Zukunftslosigkeit, Traumatisierung und nie endender Schmerz. Eine ewige Trauer ohne ein Ziel, denn es gibt keine Gräber und keine Erinnerungsstätten.
Am Ende haben die Herausgeber ein Glossar zusammengestellt sowie einen historischen Überblick.
"Verlust und Vermächtnis" ist eine unverzichtbare Quelle und eine einzigartige Dokumentation, um einen Begriff vom Unerklärlichen zu bekommen. Ein Schatz für folgende Generationen.
Mihran Dabag, Kristin Platt: Verlust und Vermächtnis. Überlebende des Genozids an den Armeniern erinnern sich
Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015
388 Seiten, 29,90 Euro