Bruno Kreisky – Erinnerungen. Oliver Rathkolb über das Vermächtnis des Jahrhundertpolitikers
Styria Verlag Wien
504 Seiten, 18,00 Euro
Erinnerung, Landschaft, Verfall
Neu herausgegeben: Das Wichtigste aus den Erinnerungen Bruno Kreiskys, die er 1986 auf Tonband sprach. Tief gegraben: Martin Pollak recherchiert grausame Geschichten. Unverhältnismäßig kritisch: Günther Lachmanns Gesellschaftsanalyse.
Bruno Kreisky war ein Freund Willy Brandts. Beide Sozialdemokraten, der österreichische wie der deutsche, wurden durch den Widerstand gegen die Nationalsozialisten geprägt und außenpolitisch vor allem durch das Exil in Skandinavien.
Beide setzten sich für eine Annäherung des Westens an Osteuropa ein, für eine europäische Zusammenarbeit und am Ende ihres Politikerlebens für fairen Umgang mit dem Süden der Welt. Und sie waren Parteivorsitzende, Außenminister und Bundeskanzler ihrer Länder.
Darüber sprach Kreisky in seinen "Erinnerungen", die er 1986 auf Tonband aufzeichnete, unter anderem im Gespräch mit dem Verleger Wolf Jobst Siedler, dem Journalisten Joachim Fest und mit dem Historiker Oliver Rathkolb, der sie damals herausgab und nun nochmals aus drei Bänden das Wichtigste auswählte.
Als Kreisky aufwuchs, erlebte er in Wien und Österreich alles Unglück aus Inflation und Arbeitslosigkeit, dass es zwischen den beiden Weltkriegen in Mitteleuropa zu sehen gegeben habe.
Und rückblickend bedauerte er, dass mit dem Sturz der Monarchie auch das Habsburger Reich zerfiel, dass nicht versucht wurde, daraus eine multinationale Republik zu schaffen, denn wirtschaftliche Integration und Kulturgemeinschaft seien bereits vorhanden gewesen. Es hätte so Urzelle eines gemeinsamen Europas werden können.
Aus gutbürgerlichem Hause kommend, war ihm unter deutschen Sozialdemokraten vor allem Carlo Schmid sympathisch, den er als begnadeten Redner erlebte, weshalb er beklagte, dass moderne Politik für Intellektuelle nicht mehr attraktiv sei, weil sie auf eigene Denkarbeit keinen Wert lege.
Er ist im oberösterreichischen Bad Hall geboren, war Korrespondent des "Spiegel" in Warschau und Wien, ist Übersetzer und Buchautor. Über das, was in seiner Familie und in den Orten seiner Kindheit von den Alten erzählt wurde, kam Martin Pollack zur Frage, was die so idyllische Landschaft Mitteleuropas an grausamer Geschichte freigeben würde, begänne man zu graben.
Und es sei eine Pflicht zu graben – mit allen Mitteln forensischer Archäologie, um verschwiegene oder vergessene Massengräber wiederzufinden, auf Waldlichtungen, in alten Bergwerken, Sümpfen oder Flussläufen, um Gedenksteine zu errichten, Näheres über Opfer und Täter zu erfahren, über Deutsche und Russen, über Kriegsgefangene und Partisanen, über Juden, Sinti und Roma.
Anders als auf Kriegerdenkmälern und Soldatenfriedhöfen sind die Namen dieser Opfer noch heute von einem politischen Tabu belegt, ist Gras über sie gewachsen, mal aus Scham, mal aus Mangel an Schuldgefühl, aber lange Zeit, um Verantwortliche zu schützen.
Umso bestürzender ist es, dass der Journalist im Online-Handel auf Fotos stieß, die wie Trophäen aus alter Zeit teuer verkauft werden, dass Grabräuber Gold und Geld vermuten, wo bekannt wird, dass Leichname jüdischer Bürger verscharrt sein sollen.
Martin Pollack über Kontaminierte Landschaften
Residenz Verlag St. Pölten
120 Seiten, 17,90 Euro
Demokratie sei längst nicht mehr das, was sie einmal war. Alle Versprechen, die mit ihr und der Marktwirtschaft verbunden gewesen sind, würden gebrochen erscheinen. Seit Mitte der siebziger Jahre habe ein Zerfall und mit ihm ein Epochenwechsel eingesetzt, von dem nicht klar sei, wohin er führen werde. Die soziale Kluft wachse, das Band der Solidarität löse sich und der Bürger kehre den Politikern enttäuscht den Rücken.
Es ist nicht dieser Befund, es ist die Tonlage, die befremdet. Günther Lachmann analysiert nach dem Muster: hier Obrigkeitsstaat und dort Untertan. Anders ausgedrückt, von der aktiven oder passiven Rolle, die Bürger und Gesellschaft spielen, spricht er nicht. Politik, so schlecht er sie auch finden mag, wird ja nicht ohne Rücksicht auf Wähler gemacht.
Befremdlich wirkt auch das Unverhältnismäßige in seiner Kritik. Es war zwischen den Weltkriegen, als alte Ordnungen zerbrachen, Werte verfielen und der gesellschaftliche Kompass verlorenging. Heute werden Demokratie und Wohlstand lediglich auf die Probe gestellt.
Erstmals erlebt Europa ein dramatisches, aber friedliches Krisenmanagement, begleitet von nationalen Parlamenten und auch dem europäischen. Lachmann befürwortet dabei ein Europa der Nationalstaaten. Doch das ist gesichert. Nicht gesichert ist der Einfluss europäischer Politik.
Ob zum transatlantischen Handelsabkommen, dem datenmissbrauchten Internet oder zur Religionsfreiheit, recht munter wird gestritten, wie denn mit unterschiedlichen Standards weltweit und akzeptabel umzugehen sei. Dahinter verbergen sich Symptome, aber nicht unbedingt des Verfalls.
Wenn eine Gesellschaft ihren inneren Kompass verliert. Günther Lachmann über Verfallssymptome
Europa Verlag Berlin
256 Seiten, 18,99 Euro