Zu Hause in der Ferne. Historische Essays von Fritz Stern
C.H. Beck Verlag München, 222 Seiten
19,95 Euro, auch als E-Book erhältlich
Erkämpfte Bürgerrechte und intolerante Ungleichheit
Für Bürgerrechte und faire Streitkultur setzt sich der Historiker Fritz Stern ein. Vor einer autoritär neorepublikanischen Solidarität mit "Charlie Hebdo" warnt der Soziologe Emmanuel Todd. Für eine Aussöhnung von SPD und Die Linke wirbt der Journalist Albrecht von Lucke.
Schon 2010 wünschte er sich eine Gedenkstätte des Europäischen Widerstandes in Straßburg, nahe dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Der Vorschlag findet sich in zehn historischen Essays wieder, die Fritz Stern nochmals herausgegeben hat.
Eine Gedenkstätte könnte unter Völkern Versöhnung stiften und all jenen Oppositionellen danken, die sich Diktaturen widersetzt haben. Der amerikanische Historiker mahnt seine Leser, sich andauernd zu erinnern, unter welchen Opfern Freiheit und Aufklärung gegen Staat und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert durchgesetzt worden seien.
Europa vor zerstörerischem Nationalismus bewahren
Jetzt müssten die erkämpften Rechte der Bürger geübt werden. Denn Demokratie und freie Märkte seien stets gefährdet, Krisen durch autoritäre Führung begegnen zu wollen. Nach dem Ende des Kommunismus sei zudem der Nationalismus wieder erstarkt, der in Europas Geschichte so zerstörerisch gewirkt habe.
Fritz Stern ist in Breslau geboren, in die USA emigriert und durch Freunde ständiger Gast in Deutschland geworden. Gern verweist er auf politische Köpfe wie Alexis de Tocqueville, Heinrich Heine, Friedrich Nietzsche, Theodor Mommsen, Ralf Dahrendorf und Bronislaw Geremek, die wie er vielerorts unterwegs waren, dabei grenzüberschreitend – europäisch und liberal – gedacht haben.
Und er betont die transatlantischen Bande, weil die USA in der Tradition des Westens Hort der Aufklärung und Gründerväter eines modernen Europas gewesen seien, auch wenn er das politische Geschehen in seiner amerikanischen Heimat ebenso kritisch sieht wie anderswo. Heutzutage vermisst er eine gerechte, liberale Streitkultur, die auf Ressentiments verzichtet und nicht nur oberflächlich bleibt.
Er war nicht solidarisch mit der Satire des Magazins "Charlie Hebdo" und die Demonstrationen in den französischen Innenstädten nach dem 7. Januar des vergangenen Jahres machten Emmanuel Todd misstrauisch.
Da habe sich für einen Moment eine große bürgerliche Koalition gebildet, aus Sozialisten wie Konservativen, aus Führungskräften wie Händlern und Angestellten. Unter dem Slogan "Je suis Charlie" hätten sie sich zwar liberal und egalitär gegeben.
Neorepublikaner sind weder liberal noch egalitär
Genauer betrachtet aber werde die neorepublikanische Bewegung von Einstellungen getragen, die autoritär seien und ausgrenzen würden. Nicht für Meinungsfreiheit, sondern für ein Recht auf Blasphemie habe sie sich stark gemacht.
Ein solches Recht aber, das sich aggressiv herausnimmt, religiöse Gefühle einer Minderheit wie der Muslime zu missachten, spricht der Soziologe dem Laizismus ab. Vielmehr entpuppe sich gerade in der Krise die viel gepriesene multikulturelle Gleichheit als intolerante Ungleichheit.
Aus Angst vor dem erlebten oder erwarteten Abstieg würden Sündenblöcke gesucht. Die einen zeigten sich islamophob, die anderen antworteten darauf antisemitisch.
Das eigentliche Problem sieht Emmanuel Todd jedoch in der sozialen Kälte des Mittelstandes. Er habe sich dem europäischen, deutsch geprägten Wirtschaftsmodell verschrieben, ignoriere die Arbeitslosigkeit der Jugend und habe Migranten wie Arbeiterschaft gesellschaftlich an den Stadtrand gedrängt, dabei die einen in die Hände religiöser Verführer, die anderen in die des rechtsextremen Front National getrieben.
Konfrontation in Frankreich wird chaotisch zunehmen
Und beide Gruppen hätten sich deshalb demonstrativ den Kundgebungen verweigert. Obschon die religiöse Bindung abnehme, übertöne derzeit der konservativ-katholische Einfluss den liberal-republikanischen. Und die Schuld gibt der Soziologe dem Schwenk der Sozialisten zu einer wirtschaftlich angepassten Partei.
Deswegen werde die gesellschaftliche Konfrontation chaotisch zunehmen, selbst wenn am Ende das Weltwunder gelänge, dass sich Migranten derart unters Volk mischten, dass sie Frankreich zwingen würden, sich selbst treu zu bleiben. Doch dieses gelobte Land werde er, der am Institut für demographische Studien arbeitet, nicht mehr erleben.
Wer ist Charlie? Emmanuel Todd über die Anschläge von Paris und die Verlogenheit des Westens
Aus dem Französischen von Enrico Heinemann
C.H. Beck Verlag München, 236 Seiten, 14,95 Euro, auch als E-Book erhältlich
Angela Merkel und die christdemokratischen Schwesterparteien stünden als Wahlsieger des Jahres 2017 bereits fest. Diese Vorhersage teilt er mit Torsten Albig, dem Ministerpräsidenten Schleswig-Holsteins. Doch den Grund hält er für verheerend: Es fehle eine regierungsfähige Alternative zur schwarzen Republik.
Die SPD sei keine Volkspartei mehr, sondern diene wie Bündnis 90/DieGrünen und FDP nur noch als Mehrheitsbeschafferin – jedenfalls im Bund. In den Länder stellt sie dagegen neun Regierungschefs.
2017 werde, so Albrecht von Lucke, eine einmalige Chance für eine schwarz-grüne Koalition, für eine bürgerliche Wiedervereinigung, bieten, zugleich aber auch eine Chance für die SPD, soziales Profil zurückzugewinnen und sich mit der Partei Die Linke auf den Oppositionsbänken auszusöhnen.
Gegenmodell im Sinne Willy Brandts entwickeln
Die Schuld am Desaster der linken Parteien gibt der Berliner Politologe und Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" den egoistischen Gegenspieler Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine. Der eine habe die SPD mit der Agenda 2010 in die wirtschaftsliberale Mitte getrieben. Der andere mit seinem Populismus in eine antiwestliche Fundamentalopposition.
Linke Politik müsste stattdessen ein solidarisches Gegenmodell zu neoliberalem, rein kapitalistischem Wirtschaften entwerfen. Sozialgerecht wie ökologisch, kompromissbereit wie prinzipientreu sollte es national, europäisch wie international ausgerichtete Antworten auf die Frage geben, was Willy Brandt heute Sozialisten empfehlen würde.
Und das hieße, europäische Demokratie ebenso stärken wie Vereinte Nationen, gemeinsame Verteidigung ebenso wenig scheuen wie atlantische Allianz, wirtschaftliche und soziale Krisen ebenso gemeinsam lösen wie Folgen der Migration.
Albrecht von Lucke über die Schwarze Republik und das Versagen der Linken
Droemer Knaur Verlag München
240 Seiten, 18,00 Euro, auch als E-Book erhältlich