"Liberalismus als Feindbild", herausgegeben von Ewald Grothe und Ulrich Sieg
Wallstein Verlag, Göttingen 2014
308 Seiten, 34,90 Euro
Freiheit hat kein Prestige
Hartnäckige antiliberale Stereotypen - nur der Spekulant, der Kapitalist, der Hasardeur machten sich die Freiheit zunutze - versuchen die Herausgeber des Aufsatzbandes "Liberalismus als Feindbild" aufzuhellen. Dass die Vorurteile verschwinden, damit rechnen sie aber nicht.
Von der "Scheißliberalen"-Schmähung der 68er bis zum Triumphgeheul der Medien über den Niedergang der FDP scheint eines klar: Freiheit hat kein Prestige, jedenfalls nicht als politisches Konzept. Das ist allerdings schon lange so. Nur für kurze Zeit erfuhr der deutsche Liberalismus als Abwehrbewegung gegen den absolutistischen Staat breite Akzeptanz.
Im wilhelminischen Kaiserreich verschmolzen dann antisemitische und antiliberale Feindbilder: "Judentum gleich Liberalismus und Liberalismus gleich Judentum", hieß ein konservativer Wahlkampfslogan 1881. Denn wer machte sich Freiheit schamlos zunutze? Doch nur der Spekulant, der Kapitalist, der Hasardeur. Dieses Vorurteil hält sich beständig in den antiliberalen Köpfen, und so seufzen die Herausgeber des Aufsatzbandes "Liberalismus als Feindbild" bereits im Vorwort: "In Anbetracht der langen Geschichte, der Selbstverständlichkeit und Vehemenz antiliberaler Stereotype ist mit ihrem plötzlichen Verschwinden nicht zu rechnen."
Ressentiments haben leichtes Spiel
Wie gut, dass sie diese Stereotypen wenigstens aufzuhellen versuchen. Eine an Wissenschaftlichkeit orientierte Politik mit "optimistischen Fortschrittsvorstellungen" forderte im 19. Jahrhundert die dominierenden rückwärtsgewandten Kräfte heraus. Dass diese dann mit ihren Ressentiments leichtes Spiel hatten, lag an der vom Liberalismus propagierten Selbstverantwortung, die weite Teile der Bevölkerung überforderte. So fuhr der Zug in eine andere Richtung: Um 1900 wurde die "Weltanschauungsliteratur" völkisch, rassistisch, irrational. Beeindruckend der Aufsatz des Historikers Jens Hacke über die Zwischenkriegszeit. Bürgerliche Intellektuelle sägten rechts und links den Ast ab, auf dem sie selbst saßen. "Dieser Feldzug gegen den Liberalismus gehorchte den bekannten Regeln eines Selbsthasses" schreibt Hacke, "der sich – revolutionär gebend – gegen das eigene Herkunftsmilieu richtete."
Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten des Regierens
Als besonders widerwärtig erscheint dabei der Fall Carl Schmitt, der im Privatleben ein sexbesessener Bohemien war, in der Öffentlichkeit aber der Diktatur das Wort redete. Gegen Schmitts Freund-Feind-Denken nehmen sich die Worte seines jüdischen Mentors Moritz Julius Bonn wohltuend gelassen aus. Er schrieb 1926: "Es würde um die Politik viel besser stehen, wenn man sich zu der bescheidenen Erkenntnis durchgerungen hätte, dass Regierungen durchaus imstande sind, ihre Völker totunglücklich zu machen, dass aber, einerlei, welches ihre Zusammensetzung ist, die Beglückungsmöglichkeiten sehr gering sind. Der Glaube an die unbegrenzten Möglichkeiten des Regierens überhaupt ist die tiefste Ursache für die Kritik an den begrenzten Möglichkeiten der bestehenden Regierungen."
Moritz Julius Bonn kennt heute keiner mehr, Carl Schmitt ist immer noch präsent. Wie wäre es wohl, wenn Bonns Diktum in unsere Schulbücher Eingang fände? Na, wie wohl? "Scheißliberal" wäre es.