Himmler privat. Briefe eines Massenmörders
Herausgegeben von Katrin Himmler und Michael Wildt
Piper Verlag München, 400 Seiten
24,99 Euro, auch als ebook erhältlich
Hitler als Nachbar
Heinrich Himmlers Briefe und Tagebücher erlauben einen Blick in die Privatsphäre des nationalsozialistischen Führungspersonals. Über die Willkür des Volksgerichtshofes sowie der Kriegsgerichte, schreibt Ingo Müller. Die Lesart unser Politisches Buchmagazin.
Die Herausgeber warnen bereits in der Einleitung. Und wirklich, die Briefe, die sich Heinrich Himmler und seine Frau Marga zwischen 1927 und 1945 geschrieben haben, müsste man eigentlich nicht gelesen haben. Denn sie raspeln Süßholz und verbreiten Langeweile.
Würden nicht Katrin Himmler als Großnichte und Michael Wildt als Historiker die Texte kommentierend begleiten, die Stationen dieser Ehe historisch einordnen und dabei die beiden portraitieren. Dass sie ehrgeizig und spießbürgerlich, gefühlskalt und ohne Interesse an ihrem Partner waren, vermittelt sich dem Leser leicht.
Ihr politisches Denken, wie feindlich sie der Demokratie und den Juden gesonnen waren, bricht in den privaten Mitteilungen höchst selten durch, häufiger schon die Klage über die viele Arbeit, einmal gepaart mit der Larmoyanz, wie anstrengend Massenerschießungen seien.
Heinrich Himmler sah seine Familie selten. Er war viel auf Reisen - vor 1933 als Parteiredner und danach als Reichsführer der SS und Chef der Polizei, als Organisator des Mordes an deutschen und europäischen Juden.
Für die Herausgeber sind Briefe und Tagebücher der Himmlers etwas Besonderes, weil sie einen Blick in die Privatsphäre des nationalsozialistischen Führungspersonals erlauben.
Der Mann, der gegenüber wohnte am Münchner Prinzregentenplatz, bestimmte seine Kindheit. Erst waren es nur die heftigen politischen Debatten der Erwachsenen im Wohnzimmer, denen er neugierig lauschte, beispielsweise als Onkel Lion Feuchtwanger auftrumpfte, dass sich sein Roman "Jud Süß" weitaus besser verkaufe als das Buch "Mein Kampf".
Dann lernte sein Neffe, der kleine Edgar allmählich selbst, was ein Jude ist. Bis er sich zu langweilen begann, weil es einsam um ihn wurde, da sich seine Schulfreunde von ihm abwandten, die Eltern immer trauriger wurden und er fürchtete, sie könnten verhaftet werden. Und der Vater wurde wirklich vorübergehend eingesperrt.
Zuvor blieb irgendwann das geliebte Kindermädchen weg, der Onkel und dessen Freunde setzten sich ins Exil ab, während Vater und Mutter unentschieden schwankten. Schließlich schickten sie den 14-jährigen allein nach England und kamen wenig später nach.
Das Unheil, das sich zwischen 1929 und 1939 über ihm zusammenbraute, hatte sich früh draußen auf der Straße bemerkbar gemacht. Anhänger wie Gegner marschierten vorbei, grüßend oder die Fäuste zum Fenster hinauf schüttelnd, wo Adolf Hitler wohnte.
Und das Unheil platzte in eine wohlbehütete, großbürgerliche Welt: der Vater war Verleger gewesen, die Mutter Pianistin. Er selbst lehrte später als Historiker in Southampton und Frankfurt am Main deutsche und britische Geschichte.
Als Hitler unser Nachbar war
Edgar Feuchtwanger über Erinnerungen an seine Kindheit im Nationalsozialismus
Siedler-Verlag München, 224 Seiten
19,99 Euro, auch als ebook erhältlich
Er schreibt nicht nur über die Justiz der Jahre 1933 bis 1945, über den Einfluss nationalsozialistischer Gesetze auf die Rechtsprechung, über die Willkür des Volksgerichtshofes und anderer Sondergerichte sowie der Kriegsgerichte. Sondern Ingo Müller bezieht die Vor- und auch die Nachgeschichte ein, die Weimarer Zeit und die Phase bis zur deutschen Einheit, um detailliert die düstere, unbewältigte Vergangenheit deutscher Justiz darzustellen.
Schon die Juristen der Weimarer Republik hätten begonnen, die Rechtsordnung zu zerstören, weil sie demokratiefeindlich und obrigkeitsstaatlich eingestellt waren. Und ein Übriges tat die Schule des Rechtspositivismus, die der Justiz nicht zugestand, gesetzliche und zudem fragwürdige Normen im Einzelfall zu hinterfragen.
Der Berliner Strafrechtler hat sein Geschichtsbuch von 1987 noch einmal ergänzt und nunmehr neu herausgegeben. Denn erst 1998 und 2002 hob der Bundestag nationalsozialistische Unrechtsurteile auf, obschon er bereits 1985 einstimmig festgestellt hatte, der Volksgerichtshof sei eben kein Gericht, sondern eine Unrechtsbehörde, ein Terrorinstrument gewesen.
Viel zu spät, als sie schon nicht mehr belangt werden konnten, setzte sich die Einsicht durch, dass frühere NS-Richter nicht durch das Richterprivileg geschützt werden dürfen, das dem Strafvorwurf der Rechtsbeugung enge Grenzen zieht. Zuletzt wurde die Debatte schließlich durch die Frage forciert, warum ein Fehlverhalten von Richtern der ehemaligen DDR schärfer beurteilt werde als zuvor eines von Richtern des Dritten Reiches.
Furchtbare Juristen
Ingo Müller über die unbewältigte Vergangenheit der deutschen Justiz
Eine Neuauflage in der Edition Tiamat, Verlag Klaus Bittermann Berlin
400 Seiten, 22,00 Euro