Cornelius Ryan: Der letzte Kampf. Berlin 1945
übersetzt von Helmut Degner, mit einem Geleitwort von Willy Brandt
Neuauflage des Konrad Theiss Verlages, 2015
544 Seiten, 29,95 Euro
Was der Krieg mit den Menschen macht
Drei Bücher über die Folgen des Zweiten Weltkriegs: Ein Panorama des Alltags im Berlin des Jahres 1945, die Geschichte einer Flucht mit Bollerwagen von Königsberg nach Köln und ein Buch über das schwierige Leben von Besatzungskindern.
Die Schlacht um Berlin, die letzte Offensive gegen das Dritte Reich begann am 16. April 1945. Grandios hat Cornelius Ryan über die Wochen und Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Reichshauptstadt geschrieben. Damals war er amerikanischer Kriegsberichterstatter, später wurde er Literaturprofessor.
Ausgebrannte, fensterlose Häuser, Berge von Schutt auf den Straßen, Regen aus Ruß und Asche nach jedem weiteren Angriff. Wie gelang es, inmitten dieser Trümmer zu leben? Briefe, Tagebücher und militärische Akten zog der Autor zur Recherche heran.
Einblicke in unterschiedlichste Einzelschicksale
Während Offiziere militärische Angriffe planten, beschafften sich Zivilisten Zyankali, um einer ausweglosen Situation zu entkommen, gleichzeitig stellten Briefträger Post zu, trugen Milchmänner ihre Flaschen aus, leerten Müllleute die Tonnen und gaben die Berliner Philharmoniker Konzerte.
Menschen aller Schichten und allen Alters kommen zu Wort: Hochrangige und einfache Soldaten, Jugendliche, Frauen, Kinder. Nazis, Fanatiker, Opportunisten, Juden, Kommunisten. Diese Heterogenität macht die Stärke des Buches aus. Es erlaubt ungewöhnliche Einblicke in das Leben einzelner und vermittelt ein Panorama des Alltags vor und nach dem Zweiten Weltkrieg.
Königsberg steht auf seinem Geburtsschein. Aber bereits als Zweijähriger verlässt Olaf Ihlau seine Heimatstadt. Denn im August 1944 wurde die Hauptstadt Ostpreußens in Schutt und Asche gebombt. Nicht nur Bombenangriffe schreiben sich in sein Gedächtnis ein, sondern auch Sätze des Großvaters, der seine Tochter beim Abschied auffordert, mit dem Enkel in den Westen zu gehen.
Dafür gibt er ihr den kleinen Bollerwagen mit. Einen Wagen aus braunen Brettern, auf vier eisenbeschlagenen Holzspeichenrädern, einen knappen Meter lang, einen halben Meter breit. Zwei Koffer und das Kind finden darauf Platz.
Ein neues Leben in Köln
Monate lang ist die Mutter mit ihm unterwegs. Sie hausen in notdürftigen Unterkünften. Hunger und Abbruch sozialer Beziehungen prägen ihr Leben als Flüchtlinge. Nach etlichen Zwischenstationen erreichen sie Köln, wo es ihnen gelingt, sich auf Dauer niederzulassen, eine Wohnung zu mieten, Arbeit zu finden, auch regelmäßige Mahlzeiten und Kinobesuche gehören dazu.
Olaf Ihlau wird erwachsen, arbeitet als Journalist, später als Auslandschef beim Spiegel. Den Bollerwagen hat er behalten, ihn als Erinnerung auf das Grundstück des Ferienhauses auf Ibiza gestellt. Um ihn herum erzählt er interessant und packend seine Lebensgeschichte voller Schicksal und zeichnet gleichzeitig intelligent eine Reise durch die deutsche Geschichte nach.
Olaf Ihlau: Der Bollerwagen. Unsere Flucht aus dem Osten
Siedler Verlag, München 15.September 2014
192 Seiten, 16,99 Euro, auch als E-Book erhältlich
Die Mutter unverheiratet. Der Vater Besatzungssoldat. Aus Liebe oder durch Vergewaltigung wurden nach dem Zweiten Weltkrieg, so wird geschätzt, 600.000 Kinder gezeugt. Sonya Winterberg hat ihnen ein Buch gewidmet.
Was heißt es, als Besatzungskind aufzuwachsen? Sie befragte Zeitzeugen aus Europa und den USA. "Ami-Kind" oder "Russenkind" wurden sie beschimpft. Aber nicht nur Denunziationen und Ausgrenzungen gehörten zu ihrem Leben. Für viele von ihnen war es schwer, ihre Identität zu klären.
Viele offene Fragen
Die Journalistin berichtet beispielsweise von einer sechzigjährigen Amerikanerin, die von ihrer minderjährigen deutschen Mutter zur Adoption freigegeben worden war. Jahre brauchte sie, um herauszubekommen, wer ihre leiblichen Eltern sind, und um zu begreifen, wieso diese sie nicht haben wollten.
Viele Besatzungskinder haben Ähnliches erfahren. Ihre Lebensläufe lassen sich nur mühsam wie in einem Puzzle zusammensetzen. Etliches bleibt ungeklärt, auch weil Pflege- und Adoptiveltern keine Auskunft geben können oder wollen.
Klug und einfühlsam
Noch als Erwachsene fühlen sich die meisten verletzt, leiden an Depressionen oder Angst vor Nähe. Tragische Lebensgeschichten erzählt dieses Buch – und zeigt, dass siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht alle Wunden geheilt sind. Es ist klug und einfühlsam geschrieben.
Sonya Winterberg: Besatzungskinder. Die vergessene Generation nach 1945
Rotbuch Verlag Berlin, 09. Oktober 2014
224 Seiten, 19,95 Euro