Jörg Magenau: Schmidt – Lenz. Geschichte einer Freundschaft
Hoffmann und Campe Verlag Hamburg
272 Seiten, 22,00 Euro, auch als ebook erhältlich
Zwei Beziehungen
Einen eindrucksvollen Abriss deutsch-polnischer Geschichte vom Mittelalter bis heute bietet Peter Oliver Loew in seinem Buch "Wir Unsichtbaren". Jörg Magenau beleuchtet in "Schmidt – Lenz" die langjährige Freundschaft zwischen Helmut Schmidt und Siegfried Lenz.
Ende Oktober hat er sich im Hamburger Michel von seinem toten Freund öffentlich verabschiedet. 50 Jahre lang war Helmut Schmidt mit Siegfried Lenz befreundet, redeten der Politiker und der Schriftsteller einander mit dem Vornamen an, aber ansonsten per Sie - voller Respekt und nach hanseatischer Art.
Lenz - freundlich und bescheiden, zuhörend und selten urteilend - schätzte an Schmidt, dass er mit Sprache überlegt umgehen kann, Selbstvertrauen ausstrahlt und feste Standpunkte vertritt.
Parteinahme wie der Wunsch nach Veränderung seien auch der Literatur nicht fremd. Doch anders als die Politik gehe Kunst kompromisslos vor oder bleibe mehrdeutig, liefere keinesfalls Resultate, weil sie sich eben nicht mit Realität, mit wahren Geschichten auseinandersetze. Die Gabe des Erzählens wiederum war Schmidt ein Rätsel, das Lenz ihm lösen sollte.
Literatur, Malerei und Natur - gelegentlich über Politik
Wenn sie sich trafen, sprachen sie - gemeinsam mit den Ehefrauen Loki und Lilo oder mit Freunden an jedem zweiten Freitag im Monat - über Literatur, Malerei und Natur, nur gelegentlich über Politik, weshalb Schmidt nicht verstehen mag, wie ihm der Ruf des "Machers" anhaftet. Intellektuelle Enge ist seine Sache nicht.
Zwei letzte Gespräche - im März und davor im September 2013 - konnte der Journalist Jörg Magenau noch arrangieren, um entlang ihres Dialoges auszuloten, was sie einander bedeuteten - unter anderem auch in politisch brisanten Momenten.
Schmidt lud Lenz mit Schriftstellerkollegen zu einem "gespenstischen Nachmittag" in den Kanzlerbungalow, als er im Deutschen Herbst 1977 mit der RAF rang, und er ließ sich vom Schriftsteller begleiten, als er Polen und das frühere KZ Auschwitz, jenes "furchtbare Erinnerungsmal", besuchte.
Siegfried Lenz stammte aus einer Kleinstadt im masurischen Ostpreußen. Erst nach dem Krieg ließ er sich in Hamburg nieder, das zu seiner zweiten Heimat wurde. Er empfahl seinen Landsleuten polnische Literatur zu lesen, um das Leid zu verstehen, dass Deutsche den Polen angetan haben.
Einen gedrängten, aber nicht minder eindrucksvollen Abriss gemeinsamer Geschichte vom Mittelalter bis heute bietet Peter Oliver Loew. Er ist stellvertretender Direktor des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt.
Hoffnungen auf die Nachbarn im Westen gesetzt
Fasst man es sehr kurz zusammen: dann haben die Polen zu allen Zeiten Hoffnungen auf die Nachbarn im Westen gesetzt: Adelsfamilien verheirateten ihre Sprösslinge, Kaufleute reisten zur Leipziger Messe, Arbeiter suchten immer wieder Jobs, Flüchtlinge und Intellektuelle zog es ebenfalls gen Deutschland.
Umkehrt redeten die Deutschen vorzugsweise schlecht, ja überheblich und diskriminierend von den Polen, herrschten und unterdrückten als Besatzer, verfügten über fremdes Land: die Preußen während der langen polnischen Teilung, schlimmer noch die Nationalsozialisten während des Zweiten Weltkrieges.
Menschen aus polnisch-sprachigen Familien stellten heute hierzulande hinter den Türken und vor den Russen die zweitgrößte Gruppe unter den Migranten. Es müssten etwa zwei Millionen sein, rechnet Loew vor, die nicht auffielen, weil sie sich lautlos in die deutsche Gesellschaft eingefügt hätten.
Peter Oliver Loew: Wir Unsichtbaren. Geschichte der Polen in Deutschland
C.H. Beck Verlag München
336 Seiten, 18,95 Euro