Grace Paley

Auf dem Schlachtfeld des Alltags

29:50 Minuten
Grace Paley, eine ältere Frau mit grauen Locken, dreckigen Sneakers und einem blauen Halstuch, sitzt in ihrem Zuhause in einem hölzernen Schaukelstuhl, umgeben von Büchern, Pflanzen und Kartons voller Zeitschriften.
In ihren preisgekrönten Geschichten schrieb Grace Paley - inspiriert von einer Kindheit in der Bronx - über das Leben in der Stadt. © Getty Images / Derek Hudson
Von Tina Hammesfahr |
Audio herunterladen
Drei schmale Bände mit Kurzgeschichten - mehr brauchte Grace Paley nicht für den literarischen Ruhm. Doch er kam erst spät für die Tochter russischer Einwanderer in die USA, die auch politisch aktiv war und deswegen von den Behörden beobachtet wurde.
Der Titel machte kaum Aufhebens, und von allzu vielen wurde das Buch „Die kleinen Widrigkeiten des Lebens“ zunächst auch nicht wahrgenommen. Zumal die darin enthaltenen Kurzgeschichten von Kindern, Frauen jeden Alters und jüdischen Einwanderern in New York erzählten, also von Menschen, die nicht gerade im Brennpunkt des öffentlichen Interesses standen. Die Verfasserin, hieß es in einer Rezension gönnerhaft, eine gewisse Grace Paley, sei eine „Ermutigung für jede Hausfrau mit literarischen Ambitionen“.

Jüdische Weihnacht

Paley, 1922 geboren, lebte damals, 1959, mit ihrer russisch-jüdischen Einwandererfamilie in Greenwich Village. In ihrer Story „Die lauteste Stimme“ übernimmt ein jüdisches Mädchen den Part der Erzählerin in einer Schultheateraufführung zum christlichen Weihnachtsfest. Sie ist nicht die einzige, die bei der Inszenierung mitwirken darf, was zu Aufregung in der jüdischen Gemeinde führt.

Mittlerweile mussten sich auch die Nachbarn überlegen, was sie dazu meinten. Martys Vater sagte: „Mein Junge, der hat eine sehr wichtige Rolle.“ „Meiner auch“, sagte Mr. Sauerfeld. „Mein Junge nicht!“, sagte Mrs. Klieg. „Ich hab nein zu ihm gesagt. Die Antwort ist nein. Wenn ich nein sage, meine ich nein.“ Die Frau des Rabbi sagte: „Es ist empörend!“ Aber keiner hörte auf sie. Unter dem engen Himmel von Gottes unermesslicher Weisheit trug sie eine rotblonde Perücke.

Aus "Die lauteste Stimme" von Grace Paley

Häusliche Provinzialität

Einhellig wurden der besondere Ton und der Witz der Debütantin gelobt. Ebenso einig war man sich allerdings auch darin, dass die Geschichten „provinziell“ seien, „ohne allzu viel Tiefgang“ und mit einem nur „begrenzten Themenspektrum“. Es brauchte die Zweite Frauenbewegung, um den sogenannten häuslichen Themen Gewicht zu verleihen, sie literaturfähig werden zu lassen.
Schwarzweißfoto von Grace Paley als junger Frau in weißer Bluse und mit zusammengebundenem Haar. Hinter ihr vor einem Hausaufgang sind unscharf weitere junge Frauen mit Kindern auf dem Arm zu sehen.
Sie setzte sich für Bürgerrechte und gegen Aufrüstung ein: Grace Paley wurde deswegen mehrfach festgenommen. Das FBI führte über 30 Jahre lang eine Akte über sie.© Archiv Sarah Lawrence College, USA
Grace Paley war wie Millionen Amerikanerinnen Hausfrau und Mutter, wenn auch nicht in den Vororten, den Suburbs, sondern in der Metropole New York City. Sie wuchs als drittes und mit großem Abstand jüngstes Kind ihrer Eltern in der Bronx auf, wo sich Anfang des 20. Jahrhunderts viele osteuropäische Juden niedergelassen hatten.

Ich war ein ziemlich schlaues kleines Mädchen, und als ich zur High School kam, fing ich an, mich wie ein ziemlich dummes kleines Mädchen zu verhalten. Ich verließ das College nach ungefähr einem Jahr ohne Abschluss. Es sah so aus, als würde ich das Potential nicht einlösen, das meine Eltern in mir gesehen hatten.

Grace Paley

Manche Hoffnungen der Eltern erfüllten sich dann doch noch. Obwohl Grace Paleys entschiedenes Engagement gegen Atomwaffen und die Militarisierung der USA sie auch ins Gefängnis brachte.
(pla)
Das Manuskript der Sendung können Sie hier herunterladen.

Es sprechen Nina Weniger, Meike Rötzer und Gabriele Blum
Ton: Martin Eichberg
Regie: Giuseppe Maio
Redaktion: Dorothea Westphal

Mehr zum Thema