Kurzkritiken

Gespenster aus Vergangenheit und Gegenwart

Film: Gespensterjäger - Auf eisiger Spur
Film: Gespensterjäger - Auf eisiger Spur © picture alliance / dpa / Henning Kaiser
Von Christian Berndt |
In Vorgespult geht es heute um Filme über Gespenster: Ein französischer Psycho-Thriller mit dampfender Erotik, eine deutsche Kinderbuchverfilmung mit Anke Engelke und ein Film von Wim Wenders über die lebenslange Folge eines traumatischen Unfalls.
Filmausschnitt: "Hab ich Dir weh getan? – Nein."
Esther hat Julien in erotischer Verzückung auf die Lippe gebissen. Das Blut tropft aufs Bettlaken, auf dem sich die schweißnassen nackten Körper ineinander verkeilen.
"Ob Deine Frau Dir Fragen stellt? – Glaub ich nicht."
Ob Juliens Frau etwas ahnt von seiner Affäre mit Esther? Man weiß es nicht, es ist rätselhaft wie vieles in dem französischen Psychothriller "Das blaue Zimmer". In der nächsten Szene sieht man Julien in Handschellen sitzen. Nun wird klar – die erotische Bettszene im Hotelzimmer war ein Rückblick, Julien wird polizeilich vernommen. Warum erfährt man zunächst nicht – erst nach und nach erschließt sich, dass die Liebenden unter Mordverdacht stehen. Nicht zuletzt weil Esther kurz nach dem Tod ihres Mannes verräterische Zeilen an Julian schrieb:
"Nun Du! Würden Sie uns so genau wie möglich erklären, was Sie damit meinten? – Sind die Worte nicht klar genug? Ich war jetzt frei, das haben Sie selbst gesagt."
Esther macht sich selbst verdächtig, und es gibt – wie man im weiteren Verlauf erfährt – einen weiteren Todesfall. Regisseur und Hauptdarsteller Mathieu Amalric spielt in der Verfilmung des Krimis von Georges Simenon geschickt mit zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselnden Szenen, die das Geschehen im Nachhinein immer wieder in Frage stellen. Nie ist klar, ob die Bilder die Realität oder die Sicht des immer undurchschaubarer erscheinenden Protagonisten wider geben. Aber so souverän dieses irritierende Vexierspiel durchkomponiert ist, so kalt lässt es auch mit der Zeit. Zu sehr verschwinden die Figuren hinter dieser dauernden Handlungshinterfragung, als dass sie Wesen aus Fleisch und Blut werden könnten.
Wesen ohne Fleisch und Blut
Um Wesen ohne Fleisch und Blut geht es auch in der gleichnamigen Verfilmung von Cornelia Funkes Kinderbuch-Bestseller "Gespensterjäger". Im Zentrum steht der 11-jährige Tom – ein Außenseiter, den selbst die eigene Schwester für einen Idioten hält:
"Ist noch was von dem Rosé übrig? – Oh, Lola, sei so lieb und sieh im Keller nach, ja? – Nein, keine Chance, Psychozwerg ist dran. – Hey, nenn Deinen Bruder nicht so. – Wie soll ich ihn sonst nennen: Beklopptomat? – Er hat nur eine ausgeprägte Fantasie, also wirkt er manchmal etwas verdreht."
Keiner nimmt Tom ernst, doch das wird sich ändern, als er im Keller eine erstaunliche Entdeckung macht: Ein Gespenst aus Schleim. Anfangs hat Tom noch Angst, aber bald freunden sich die beiden an und erleben gemeinsam ein schauriges Abenteuer, das Tom zum Helden reifen lässt. Regisseur Tobi Baumann zitiert in "Gespensterjäger" Filme wie "Men in Black" oder den Klima-Katastrophenfilm "The Day After Tomorrow". Doch der aufwändige Grusel kann auf Dauer weder fesseln noch berühren, und auch das beachtliche Ensemble mit Anke Engelke als Geisterjägerin bleibt uninspiriert und kann diesem aufgemotzten Comedy-Schocker keinen Charme verleihen.
Dem kleinen Jungen passiert nichts
Gespenster, dieses Mal aber aus der Vergangenheit, sind auch das zentrale Motiv in Wim Wenders' neuem Film "Every Thing Will Be Fine". Thomas, ein Schriftsteller in der Schaffenskrise, fährt nachts im Wagen durch den Schnee, bis ihm plötzlich ein Schlitten vors Auto rast. Darauf sitzt ein kleiner Junge, dem zum Glück nichts passiert ist. Doch als Thomas den Jungen zum nahen Elternhaus bringt, folgt der Schock:
"Guten Abend. Wir hatten fast einen kleinen Unfall an der Straße unten und... - Wo ist Nicolas? Wo ist Nicolas!"
Der kleine Bruder des Jungen saß mit auf dem Schlitten – es stellt sich heraus, dass Thomas ihn überfahren hat. Der Unfall verändert sein Leben für immer, Thomas' Ehe zerbricht, aber er wird fortan bessere Bücher schreiben. "Every Thing Will Be Fine" erzählt - mit James Franco in der Hauptrolle - über einen Zeitraum von 18 Jahren vom widersprüchlichen Entwicklungsprozess eines traumatisierten Mannes. Wie in seinen letzten Dokumentarfilmen hat Wenders in 3D gedreht. Dabei entstehen Szenen von atemberaubend bedrohlicher Wirkung, die zeitweise durch das Wenderstypische Pathos an Kraft einbüßen. Franco ist hier weniger Charakter als Träger von Wenders' Symbolismus, mit dem der Regisseur nach langer Zeit wieder zu großer, visueller Spielfilmform gefunden hat.