Kyle Harper: "Fatum. Das Klima und der Untergang des Römischen Reiches"
Aus dem Englischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube
C.H. Beck Verlag, München 2020
567 Seiten, 32 Euro
Wenn Seuchen Imperien stürzen
05:52 Minuten
Ist das Römische Reich an Krankheiten und Klimawandel zugrunde gegangen? Kyle Harper zeigt in seiner brillanten Seuchen- und Klimageschichte, wie verwundbar Imperien sind. Seine Klimathese ist jedoch umstritten.
Kyle Harper ist der derzeit profilierteste Vertreter der Klimathese. Laut dieser These zerbrach das Römische Reich nicht an der Völkerwanderung, sondern am Klimawandel und an drei schweren Epidemien: "Germs are deadlier than Germans", dieser Merkspruch Harpers wurde in der Wissenschaft zum geflügelten Wort: "Keime sind tödlicher als Germanen."
Drei Epidemien von Rom bis Konstantinopel
Diese drei Epidemien sind bekannt als die Antoninische, die Cyprianische und die Justinianische Plage. Die Antoninische tobte Mitte des zweiten Jahrhunderts, laut Harper handelte es sich hierbei wohl um die Pocken.
Die Cyprianische traf Rom hundert Jahre später, möglicherweise war sie der erste dokumentierte Ausbruch des Ebolavirus. Dann passiert 300 Jahre lang nichts, bis im Jahr 541 Handelsschiffe in Ägypten und Konstantinopel eine Seuche einschleppen, die stellenweise bis zu 50 Prozent der Bevölkerung dahinrafft. Erst seit wenigen Jahren ist durch DNA-Proben erwiesen: Bei diesem Krankheitserreger handelte es sich um das Pestbakterium Yersinia Pestis.
Doch damit nicht genug. Ab etwa Mitte des zweiten Jahrhunderts, also zeitgleich zur ersten Epidemie, diagnostiziert Harper eine Abkühlung des mediterranen Klimas. Sie habe das warme und niederschlagreiche Römische Klimaoptimum abgelöst, das Harper etwa dadurch charakterisiert, dass – wie Quellenfunde belegen – noch in Höhenlagen Weinanbau und Ackerbau möglich gewesen seien, und das er als wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg Roms sieht.
Doch damit nicht genug. Ab etwa Mitte des zweiten Jahrhunderts, also zeitgleich zur ersten Epidemie, diagnostiziert Harper eine Abkühlung des mediterranen Klimas. Sie habe das warme und niederschlagreiche Römische Klimaoptimum abgelöst, das Harper etwa dadurch charakterisiert, dass – wie Quellenfunde belegen – noch in Höhenlagen Weinanbau und Ackerbau möglich gewesen seien, und das er als wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg Roms sieht.
Keine Zivilisation ohne das richtige Klima
Doch eine die Abkühlung, die Harper ab dem zweiten Jahrhundert sehen will, ist umstritten – der Fachwelt fehlen eindeutige Belege. Fest steht eine globale Erkaltung erst für das sechste Jahrhundert. Die sogenannte Wetteranomalie des Jahres 535 bzw. 536 nach Christus ließ die Sonneneinstrahlung merklich zurückgehen. Es kam zu Ernteausfällen und Hunger.
Das Phänomen wurde schon von Zeitgenossen beschrieben, so dem byzantinischen Geschichtsschreiber Prokop. Ursächlich war laut Harper eine Serie von Vulkanausbrüchen, deren Ascheauswurf in die Stratosphäre gelangte und dort die Sonneneinstrahlung minimierte. Es begann die sogenannte Kleine Eiszeit der Spätantike.
Das Römische Reich allerdings, das just zu dieser Zeit unter Kaiser Justinian durch den Sieg über die Goten ein letztes Mal vereinigt wird, war zu diesem Zeitpunkt schon seit über zwei Jahrhunderten in zwei Reichshälften geteilt und faktisch zerfallen. Klar ist also: Die Epidemien haben ihren Teil zum Untergang Roms beigetragen. Für das Klima aber lässt sich das nicht mit Sicherheit sagen.
Brillante Klima- und Seuchengeschichte
Doch das mindert nicht den generellen Wert des Buches. Denn "Fatum" ist vor allem eine über weite Strecken brillante Klima- und Seuchengeschichte des Römischen Reiches, die die Forschungsstände der vergangenen Jahrzehnte einem breiten Publikum zugänglich macht.
Für die Gegenwart lernen wir daraus vor allem zweierlei. Zum einen: Erst die globale Erwärmung seit Beginn des Holozäns vor knapp 12.000 Jahren ermöglichte überhaupt unsere Zivilisation. Erderwärmung schuf einst den Boden für die Hochkulturen der Antike, während wir uns heute sehnlichst eine globale Abkühlung herbeiwünschen.
Zum anderen: Corona ist nicht die erste Pandemie, die eine Weltordnung – in unserem Fall die westliche Ordnung – gefährdet. Schon einmal brachte eine Pandemie – nämlich die Justinianische Pest – ein Weltreich zum Einsturz.