Kyrie McCauley: "You are (not) safe here"
Aus dem amerikanischen Englisch von Uwe-Michael Gutzschhahn
dtv, München 2020
400 Seiten, 14,95 Euro
ab 14 Jahren
(K)eine ganz normale Familie
04:58 Minuten
Eindrücklich und psychologisch überzeugend: Die US-Amerikanerin Kyrie McCauley hat ein packendes Buch über die permanente und zerstörerische Bedrohung durch Gewalt in der Familie geschrieben. Einige Schwächen hat es dennoch.
Die 17-jährige Leighton lebt mit ihren beiden jüngeren Schwestern und ihren Eltern in einer amerikanischen Kleinstadt. Sie sind eine ganz normale Familie – von außen betrachtet. Aber zuhause herrschen Gewalt, Angst und Erniedrigung.
Immer wieder, ohne äußerlich erkennbaren Anlass, gerät Leightons Vater in "schiere, unkontrollierte Wut", die sich von Geschrei und Vorwürfen über heftige Drohungen bis zu Gewalt und Zerstörung steigert. Eine brutale Situation also, der die Kinder schutzlos ausgeliefert sind. Zumal die Mutter dem Vater immer wieder verzeiht, sich seinen Forderungen unterwirft und entsprechend Druck auf ihre Töchter ausübt – anstatt sie zu schützen.
Perspektive einer 17-Jährigen
Leighton, die diese Geschichte erzählt, träumt sich zwar raus aus dem Gefängnis, weiß aber auch, dass sie niemals weggehen wird, um sich ihren Wunsch zu erfüllen, an einer entfernten Universität Journalismus zu studieren. Sie darf und kann ihre Schwestern – anders als die Mutter – nicht im Stich lassen.
Ein Konflikt, der das junge Mädchen schier zerreißt und sie nach außen spröde und abweisend wirken lässt. Bis Liam – ein (etwas zu) attraktiver, sportlicher, sympathischer schwarzer Junge – sie mit seinem Charme so für sich einnimmt, dass sie sich ihm öffnet und die beiden eine für Leighton heilsame Liebesbeziehung beginnen.
Es ist geradezu körperlich bedrängend, wie Kyrie McCauley hier die Verunsicherung der Kinder, ihre Sorge um die Mutter und die latent lauernde Gefahr darstellt. Nie können sie sich sicher fühlen, die Angst vor dem nächsten Gewaltausbruch ist oft schlimmer als die Gewalt selbst.
Denn auch die nach einem Ausbruch herrschende schleimige Versöhnungsruhe ist trügerisch. Es hört einfach nie auf, sondern geht immer wieder von vorne los. Eindrücklicher, spannender und psychologisch überzeugender als hier lässt sich diese permanente und zerstörerische Bedrohung kaum schildern.
Drohende Belanglosigkeit
Die Beschreibung der Beziehung zu Liam dagegen schrammt manchmal knapp am Kitsch vorbei. Seine Familie – schwarz im bornierten weißen Umfeld – ist ein idealisiertes Beispiel an Liberalität und Liebenswürdigkeit. Mit dieser deutlichen Abgrenzung – dort gut, hier schlecht – droht die Romanhandlung ins Belanglose abzugleiten. Wie auch in den Momenten, wenn die Autorin Magie ins Spiel bringt – für die sie eine unerklärliche Sympathie zu pflegen scheint.
Nicht nur die ins Uferlose wachsenden Krähenschwärme in der Stadt – an Hitchcocks "Die Vögel" erinnernd – evozieren etwas Unheimliches, das nicht eingelöst wird. Auch das Haus der Familie hat fatale magische Kräfte. Es beseitigt alle Schäden, die der Vater anrichtet, selbständig, repariert über Nacht Fenster und kittet Risse in der Wand. Dieses Bild für die permanente Vertuschung der (praktischen und mentalen) Zerstörung ist aber zu einfach, um wirklich zu faszinieren und um ein Abbild für die Leugnung der unhaltbaren Situation darzustellen.
Gebraucht hätte es beides nicht. "You are (not) save here" ist ein packender Roman! Das Buch macht häusliche Gewalt nicht nur spürbar, sondern öffnet auch die Augen für das, was man sich nicht vorstellen mag, obwohl es vielleicht in der nächsten Nachbarschaft passiert.